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Richtig ernst genommen hat Johannes S. seine Covid-Erkrankung anfangs nicht. "Ich hatte ja keinen dramatischen Verlauf, sondern war einfach nur erkältet", sagt er. Erst als Husten und Schnupfen auch nach Wochen nicht verschwinden wollen und sich Kurzatmigkeit, Erschöpfung und Gedächtnisprobleme dazugesellen, wird ihm klar: Etwas stimmt nicht.

Vor allem der Husten quält den 62-jährigen Bauingenieur, der vor seiner Erkrankung ein aktives Leben führte. Ein paar Wochen nach der Infektion wollte er seine Hauswanderung machen, hundert Höhenmeter. Eigentlich ein Klacks für ihn, dieses Mal aber niederschmetternd: "Ich musste ständig Pausen machen und mich vom vielen Husten sogar übergeben." Es ist der Tag, an dem S. beschließt: So geht es nicht weiter. Drei Monate nach seiner Infektion holt er sich eine Überweisung zu einer Lungenfachärztin. Nach einigen Wochen Behandlung schickt sie ihn in eine Reha-Klinik nach Bayern. Grund: Verdacht auf Long Covid.

Johannes S.
"Wandern, Joggen, Motorrad fahren, Weinbau – nach meiner Infektion ging nichts mehr. Mein Schlafbedürfnis war riesig, und ich konnte mich nicht mehr gut konzentrieren. Auch jetzt fallen mir Wörter manchmal nicht sofort ein. Es ist Wahnsinn, was diese Krankheit mit einem macht. Man muss geduldig sein und sich über kleine Schritte freuen: Ich kann jetzt wieder neun Stockwerke gehen. Meine Hauswanderung auf den Schönerstein, bei mir daheim hundert Meter den Berg hoch, schaffe ich auch wieder ohne Pause. Aber der Weg zu meinem alten Ich wird länger als diese Wanderung."

Unter dem Begriff Long Covid fassen Mediziner Beschwerden zusammen, die über die akute Phase einer Covid-19-Erkrankung hinaus andauern oder neu hinzukommen und womöglich mit der Infektion zusammenhängen. Bestehen sie länger als vier Wochen, spricht man von Long Covid. Sind sie nach zwölf Wochen noch da, spricht man vom Post-Covid-Syndrom. "Schätzungsweise 15 bis 20 Prozent aller Erkrankten leiden unter Ersterem, 5 bis 10 Prozent unter Letzterem", sagt Dr. Michael Stegbauer, ärztlicher Direktor der BG Klinik für Berufskrankheiten in Bad Reichenhall. Dort werden Patientinnen und Patienten behandelt, die sich bei der Arbeit angesteckt haben – so wie Johannes S., der sich bei einer Besprechung im Büro infizierte.

Noch müde nach vier Wochen

Long Covid ist ähnlich vielfältig und unberechenbar wie eine akute Covid-19-Erkrankung auch. Zu den Beschwerden zählen Müdigkeit bis hin zur Erschöpfung, Kopfschmerzen, Atemnot, Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen, Depressionen, Angstattacken, Haarausfall, ein gestörter Geruchs- und Geschmackssinn. Im Februar zeigte eine globale Analyse, dass Müdigkeit mit 58 Prozent an der Spitze der Symptome nach vier Wochen steht, gefolgt von Kopfschmerzen mit 44 und Aufmerksamkeitsstörungen mit 27 Prozent. Viel wichtiger ist aber eine andere Zahl dieser Studie: Nach 90 Tagen sind die meisten Patientinnen und Patienten beschwerdefrei.

Dass viele Beschwerden sich wieder bessern oder verschwinden, entspricht auch der Erfahrung von Dr. Simone Riedle vom Zentrum für Innere Medizin Fünf Höfe (ZIM) in München. Dort gibt es seit Februar eine Sprechstunde für Menschen mit Langzeitsymptomen. "Wir hatten auf einmal sehr viele Patientinnen und Patienten, die keine passende Anlaufstelle für ihre Beschwerden gefunden haben. Deshalb haben wir selbst eine spezielle Sprechstunde entwickelt", sagt Riedle. Menschen mit schwerem Verlauf und ebensolchen Folgeschäden kommen in Kliniken und werden dort gut versorgt, aber für solche mit milderem Verlauf und diffusen Folgen gebe es nach wie vor zu wenig Angebote. "Viele sind sehr verunsichert und fühlen sich alleingelassen", so die Internistin, die mit dem Begriff Langzeitschäden vorsichtig umgeht. "Er impliziert, dass die Symptome nicht mehr weggehen. Aber nach eineinhalb Jahren Pandemie ist es einfach zu früh, um gesichert von Langzeitschäden zu sprechen." Das Leid der Betroffenen kleinreden will sie aber keineswegs: "Es ist wichtig, die körperlichen Ursachen für die Erschöpfung zu finden und zu behandeln."

Nicht nur für Betroffene, auch für Mediziner ist Long Covid eine Herausforderung. "Die Studien- und Informationslage ändert sich stetig, wir lernen quasi täglich dazu", sagt Dr. Per Otto Schüller, Chefarzt der MEDIAN Klinik in Flechtingen. Die vielleicht wichtigste Lektion: Covid-19 ist eine multisystemische Erkrankung, kann also unterschiedliche Organe befallen – etwa Lunge, Herz, Hirn, Gefäße, Leber, Nieren, Darm.

Senioren mit erhöhtem Risiko

Was man mittlerweile auch weiß: Long Covid kann jeden treffen. "Wir hatten hier Patienten zwischen 20 und 99 Jahren, sowohl mit schweren als auch milden Verläufen", sagt Michael Stegbauer von der Klinik in Bad Reichenhall. Pneumologe Schüller stimmt zu: "Das sieht bei uns in Flechtingen ähnlich aus." Es gebe allerdings durchaus Faktoren, die das Risiko für Long Covid erhöhen. "Dazu gehören Vorerkrankungen, ein schwerer Krankheitsverlauf, Übergewicht, ein hohes Lebensalter und das Auftreten von fünf oder mehr Symptomen während der akuten Phase", so Schüller. Frauen sind wohl häufiger betroffen als Männer.

Ilona P. ist eine von ihnen. Die 63-jährige Richterin war fit und gesund, bis sie Anfang März positiv auf Corona getestet wurde. Eigentlich wollte sie sich zu Hause auskurieren, doch ihre Hausärztin schickte sie ins Krankenhaus.

Dr. Ilona P.
"Ich bin im März 2021 an Covid-19 erkrankt. Eigentlich wollte ich mich zu Hause auskurieren, aber dann bin ich bei meiner Hausärztin zusammengebrochen. Von dort ging es mit dem Rettungswagen direkt in die Klinik. Derzeit erhole ich mich in einer Reha-Einrichtung. Vor allem das Lungentraining zeigt Wirkung. Wenn ich nach Hause komme, freue ich mich am meisten darauf, meine Kinder nach all der Zeit wiederzusehen und so richtig abzuknutschen."

16 Stunden am Tag geschlafen

"Ich hatte starke Atemnot. Maschinell beatmet werden musste ich glücklicherweise nicht, aber ich habe Sauerstoff aus einer Maske bekommen, weil meine Blutgaswerte so schlecht waren", sagt P.. Das Gefühl, nicht genug Luft zu bekommen, sitzt ihr noch in den Knochen. "Als ob eine Klappe in der Brust sitzt, die dichtmacht, wenn man einatmen will. Es ist furchtbar." Vier Wochen verbringt sie in der Klinik, doch nach der Entlassung bleiben viele Probleme. Allen voran: Atemnot, Erschöpfung und Kopfschmerzen. "Ich habe teilweise 16 Stunden am Tag geschlafen, es gerade so in den ersten Stock zu meiner Wohnung geschafft und konnte wegen der Luftnot manchmal weder sprechen noch essen", sagt sie.

Besserung dank Reha

Mitte Mai begann sie deshalb eine vierwöchige Reha in der MEDIAN Klinik in Flechtingen. Die Abläufe dort ähneln den Erfahrungen, die Johannes S. in Bad Reichenhall gemacht hat. Auf dem Programm stehen zum Beispiel moderater Sport und Lungentraining, Atem-Physiotherapie, Entspannungsübungen, psychologische Begleitung sowie Gedächtnis- und Koordinationstraining. "Ich habe damit enorme Fortschritte gemacht", sagt Ilona P., "aktuell schaffe ich schon wieder drei Etagen zu Fuß." "Bei mir sind es acht bis neun", sagt Johannes S., der einige Wochen Reha-Vorsprung hat. Obwohl die Richtung stimmt: Beide sind noch weit von ihrem Zustand vor der Krankheit entfernt.

Für alle Betroffenen gilt: Während und nach einer Covid-19-Erkrankung sollte man sich schonen und nur stufenweise und behutsam wieder belasten – ähnlich wie nach anderen schweren Viruserkrankungen wie Grippe oder Gürtelrose auch. Wer unsicher ist, kann sich ärztlich durchchecken lassen. Expertin Riedle rät allen, die nach der Erkrankung einfach nicht wieder in Schwung kommen, sich Hilfe zu suchen – wenn möglich bei einer Post- oder Long-Covid-Sprechstunde, ansonsten beim Hausarzt oder über eine Selbsthilfegruppe. "Noch muss man etwas hartnäckig sein, um Unterstützung zu finden. Aber es lohnt sich und hilft, sich Lebensqualität und Gesundheit wieder zurückzuerobern."

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