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Das Steißbein führt in vielerlei Hinsicht ein Schattendasein. Als unterster Teil der Wirbelsäule sitzt es versteckt im Becken, ohne besondere Funktion. Kein Wunder, dass es heute nicht mehr viel Beachtung findet – auch nicht bei Medizinern. Wenn es hier allerdings einmal zu Beschwerden kommt, kann genau das ein großes Problem sein.

Ob die Wurzel des Übels im Steißbein liegt, erkennt Professor Achim Benditz oft schon an der Art, wie der Patient oder die Patientin im Behandlungszimmer Platz nimmt.  "Wenn jemand auf der Stuhlvorderkante, nach vorne gebeugt sitzt, dann ist es meist das Steißbein", sagt der Leiter der Sektion Wirbelsäule am Asklepios-Klinikum in Bad Abbach. Denn diese Schonhaltung nimmt etwas Druck vom Knochen.

Benditz widmet sich regelmäßig dem knöchernen Relikt aus der Urzeit und behandelt viele Patienten, die jahrelang unter Steißbeinschmerzen leiden. Manche haben eine Ärzte-Odyssee hinter sich, von der Darmspiegelung bis hin zu neurologischen Checks – aber niemand konnte ihnen helfen.

Einer der Gründe: Ob das Steißbein beschädigt ist, lässt sich nur schwer  herausfinden. MRT und CT finden im Liegen statt und sind damit zur  Diagnose eines Steißbeinschadens nicht geeignet, und eine normale  Röntgenaufnahme bildet das untere Wirbelsäulenende nicht ausreichend ab.  Und da Steißbeinschmerzen zwar unangenehm sind, aber sonst in der Regel  keine großen Risiken für ausgeprägte Folgeschäden bergen, werden sie  eben oft kaum behandelt.

Tücken in der Diagnostik

Dabei lasse sich mit etwas Mühe schon eine Diagnose stellen, sagt Orthopäde Benditz: "Für eine Steißbeindiagnostik brauchen wir zwei spezielle Röntgenaufnahmen, eine im Sitzen und eine im Stehen." So lasse sich eine Schädigung am ehesten erkennen – aber selbst dann nicht immer.

Schätzungsweise bei weniger als der Hälfte aller Steißbeinverletzungen lässt sich überhaupt eine Ursache finden. Infrage kommen etwa Ermüdungserscheinungen der Knochen, meist aber Stürze. "Ein Sturz in der Kindheit kann sogar erst im fortgeschrittenen Erwachsenenalter Probleme verursachen – dann erinnert sich nur niemand mehr daran", so Benditz.

Besonders bei älteren Menschen kann oft ein Sturz als eindeutige Ursache  im Nachhinein ausgemacht werden. Anfangs denken viele Betroffene an  eine Prellung. Doch in den folgenden Wochen lassen die Schmerzen häufig  nicht nach, sondern nehmen zu.

Dehnen und mobilisieren

Natürlich ignorieren Orthopäden das Steißbein und seine Beschwerden nicht. Sie setzen auf entzündungshemmende Mittel wie Ibuprofen, um die Schmerzen zu lindern. Liegen den Beschwerden anatomische Ursachen wie etwa Muskelverhärtungen im Becken zugrunde, wird häufig auch Physiotherapie verschrieben.

"Es geht darum, die Muskeln zu dehnen, die am Steißbein und am Beckenboden ansetzen. So wird die Reizung des Steißbeins positiv beeinflusst", erklärt Physiotherapeutin Felicitas van de Weyer aus München, die sich wie ihr Kollege Yoshio Hass auf die Behandlung von Steißbeinschmerzen spezialisiert hat. Beide arbeiten zudem mit Osteopathie, um das umliegende Gewebe zu mobilisieren.

Die wissenschaftliche Datenlage hierzu ist jedoch dünn. Ob und in welchem Umfang die Krankenkassen die Kosten dafür übernehmen, variiert je nach Kasse. Fast allen Patienten wird zudem ein ringförmiges Sitzkissen empfohlen, das den Druck vom Steißbein wegverlagern soll.

Den allermeisten Patienten helfen die genannten konservativen Maßnahmen so weit, dass die Schmerzen spürbar abnehmen. Erst wenn Physiotherapie und Sitzkissen auch nach mindestens einem halben Jahr keine deutliche Besserung bringen, könne man über einen operativen Eingriff nachdenken, sagt Orthopäde Benditz. Dabei wird der schmerzhaft veränderte Teil des Steißbeins entfernt. Die Operation käme aber nur infrage, wenn die Diagnose eindeutig und im Röntgenbild nachweisbar ist. Außerdem birgt jeder Eingriff Risiken, und die gilt es, gerade bei älteren Patientinnen und Patienten gut abzuwägen.