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Herr Schwartze, Studien zufolge kennen rund zwei Drittel der Patientinnen und Patienten ihre Rechte nicht oder nur teilweise. Was läuft da schief?

Ich denke, wir müssen noch besser aufklären und informieren. Das ist ein Grund, warum wir 2023 zum Jahr der Patientenrechte ausgerufen haben. In diesem Zusammenhang müssen wir auch Anlaufstellen wie die Unabhängige Patientenberatung noch bekannter machen, bei denen jeder auf Wunsch Informationen, Beratung und Unterstützung finden kann. Es ist wichtig, dass Patientinnen und Patienten wissen, welche Rechte sie haben, um die auch einfordern zu können. Darüber hinaus müssen wir aber auch schauen, wie wir ihre Rechte weiter stärken. Das Bundesministerium für Gesundheit arbeitet derzeit an Eckpunkten für ein neues Gesetz. Das Patientenrechtestärkungsgesetz von 2013 war ein Meilenstein, aber es läuft noch lange nicht überall rund.

2013 wurden unter anderem die Aufklärungspflichten für Ärztinnen und Ärzte rechtlich festgeschrieben. Häufig werden Patientinnen und Patienten aber gar nicht umfassend informiert. Was bringt denn so ein Recht auf Aufklärung, wenn es in der Praxis gar nicht gelebt wird?

Das Recht auf Aufklärung und Information ist die Voraussetzung für ein Verhältnis auf Augenhöhe zwischen Arzt beziehungsweise Ärztin auf der einen und Patient oder Patientin auf der anderen Seite. Nicht immer wird umfassend informiert und aufgeklärt, das stimmt. Dafür gibt es sicher viele Gründe, einer davon ist sicherlich der Personal- und Zeitmangel in den Praxen. Umso bedeutender ist dann aber, dass Patientinnen und Patienten ihre Rechte einfordern und Nachfragen stellen.

Auch der neue IGeL-Report hat erst kürzlich wieder gezeigt, dass Ärztinnen und Ärzte ihren Aufklärungspflichten häufig nicht nachkommen. Zum Teil üben sie demnach sogar Druck aus, die Individuellen Gesundheitsleistungen zu kaufen. Muss die Politik da nicht eingreifen?

Ich bin froh, dass der IGeL-Report auf diese Probleme aufmerksam macht. Patientinnen und Patienten stehen in der Arztpraxis vor einer schwierigen Situation. Natürlich möchten sie nichts versäumen, wenn es um Vorsorge und die eigene Gesundheit geht. Daher stimmen viele zu, wenn ihnen eine IGeL angeboten wird. Der Report zeigt allerdings ganz deutlich, dass viele dieser Leistungen gar nicht sinnvoll sind. Ich fände es gut, wenn Ärztinnen und Ärzte verpflichtet würden, eine kleine Broschüre mit evidenzbasierten Informationen auszuhändigen, wenn sie eine IGeL anbieten wollen. Das würde Patientinnen und Patienten die Möglichkeit geben, die angebotene Leistung besser einordnen zu können.

Die Einsicht in Behandlungsdokumente ist keine Selbstverständlichkeit, obwohl Patientinnen und Patienten ein Recht darauf haben. Der Bundesgesundheitsminister ist der Meinung, dass die ePA an dieser Stelle vieles verändern wird und das Selbstbestimmungsrecht der Patientinnen und Patienten stärkt. Teilen Sie diese Hoffnung?

Es ist tatsächlich ein großes Problem, dass Patientinnen und Patienten selbst auf Nachfrage oft nur bedingt Einsicht in ihre Patientenakte bekommen. Ich hoffe sehr, dass uns die ePA in diesem Punkt entscheidend voranbringt, wenn jeder seine Patientenakte ganz selbstverständlich auf dem Handy bei sich tragen kann. Davon ganz unabhängig müssen wir die Einsichtsrechte aber auch deutlich ausweiten. Patientinnen und Patienten sollten auch die Möglichkeit haben, zum Beispiel in Dienst- oder Hygienepläne Einsicht zu nehmen, wenn sie ein berechtigtes Interesse nachweisen können. Das kann beispielsweise im Streit um Behandlungsfehler für die Rechtsdurchsetzung von entscheidender Bedeutung sein.

Einen Behandlungsfehler nachzuweisen ist für Patientinnen und Patienten derzeit tatsächlich häufig schwer.

Genau, hier muss sich unbedingt etwas tun. Aktuell müssen Patientinnen und Patienten den Nachweis erbringen, dass der gesundheitliche Schaden ohne Zweifel durch die medizinische Behandlung verursacht worden ist. Das ist in komplexen Fällen häufig kaum möglich. Wir müssen das Beweismaß für die Patientinnen und Patienten reduzieren, dafür sprechen sich auch die Ampel-Parteien im Koalitionsvertrag aus. Wir brauchen aber auch eine ganz neue Fehlerkultur im Gesundheitswesen. Wenn wir offen und ehrlich mit Fehlern umgehen, hilft uns das, Problemen vorzubeugen und Fehler zu vermeiden. Daher spreche ich mich schon lange für ein Register aus, das sogenannte Never Events dokumentiert.

Welche Fehler werden damit erfasst?

Never Events sind schwerwiegende Fehler, die niemals hätten passieren dürfen, zum Beispiel die Verwechslung von Patienten im Krankenhaus. Ein Register könnte helfen zu verstehen, wie solche Fehler passieren, wie man sie in Zukunft verhindern könnte und wie wirksam die bisher getroffenen Maßnahmen wirklich sind. Zudem lässt sich aus „großen“ Fehlern vieles für die Patientenscherheit insgesamt ableiten und lernen. Ich denke, davon würden nicht nur Patientinnen und Patienten profitieren, sondern auch die Behandelnden. Denn niemand möchte, dass diese Fehler passieren.

Im Gespräch ist auch immer wieder ein Härtefallfonds. Wer könnte denn davon in welchen Fällen profitieren?

Wir sprechen hier über einen Fond, der die sozialen Härten nach einem Behandlungsfehler vom Verdacht bis hin zu einer Gerichtsentscheidung abfedern würde. Solche Verfahren können sich mitunter sehr stark in die Länge ziehen. Wenn ein Patient oder eine Patientin beispielsweise nach einem Behandlungsfehler im Rollstuhl sitzt und nicht mehr arbeiten kann, könnte er oder sie vorübergehend Geld aus dem Härtefallfonds beziehen. Entscheidet das Gericht, dass tatsächlich ein Behandlungsfehler vorliegt, müsste der Verursacher das Geld an den Fonds zahlen. Ist der Behandlungsfehler nicht nachzuweisen, würde die Allgemeinheit die Kosten tragen und der Betroffene müsste nichts zurückzahlen.

In Entscheidungen im Gesundheitswesen sind Patientinnen und Patienten bislang nur bedingt eingebunden. Im Gemeinsamen Bundesauschuss (G-BA) zum Beispiel dürfen sie zwar mitberaten, nicht aber abstimmen. Brauchen wir mehr aktive Mitsprache als eine Art kollektives Patientenrecht?

Im G-BA sind derzeit 280 Patientenvertreterinnen und Patientenvertreter tätig. Sie leisten tolle Arbeit, sind aber ehrenamtlich im Ausschuss und damit den Vertretern von Krankenkassen, Kliniken und Ärzten nicht gleichgestellt. Wir brauchen mehr professionelle Unterstützung für die Patientenvertretungen im G-BA, damit sie ihre Rechte noch besser wahrnehmen können. Wenn wir das geschafft haben, könnte man auch über ein Stimmrecht für Patientenvertreterinnen und Patientenvertreter im G-BA und in den anderen Gremien des Gesundheitswesensdiskutieren.

In Deutschland ist die Arzthaftung bereits vergleichsweise streng geregelt. Nun wird darüber diskutiert, die Haftung noch strenger zu regeln. Das klingt natürlich erst mal patientenfreundlich, Kritiker warnen allerdings, das könnte auch kontraproduktiv sein. Gewinnorientierte Krankenhäuser könnten aufgrund steigender Versicherungsprämien bestimmte Behandlungen dann vielleicht gar nicht mehr anbieten, sagen sie. Wie stehen Sie dazu?

Das ist eine sehr schwierige Frage. Natürlich wollen wir, dass Patientinnen und Patienten Anspruch auf Entschädigung haben, wenn es zu einem Behandlungsfehler kommt. Auf der anderen Seite kann ein verschärftes Haftungssystem aber natürlich auch zu steigenden Versicherungsprämien führen. Das haben wir sehr deutlich in der Geburtsmedzin und bei den Hebammen gesehen. Ich denke, im Mittelpunkt sollte immer die Frage stehen, wie wir die Patientensicherheit stärken können. Und da ist es natürlich am besten, wenn Fehler erst gar nicht passieren. Die Förderung einer neuen und offenen Fehlerkultur sollte daher der erste und wichtigste Schritt sein. Und nicht zuletzt erhöhen steigende Versicherungsprämien den Druck mehr im Risikomanagement zu tun, wodurch die Patientensicherheit gestärkt und die Arbeit der Gesundheitsberufe attraktiver wird.

Was Minderjähjrige betrifft, sind die Patientenrechte in Deutschland recht diffus. Teils widersprechen sich Sozial- und Zivilrecht. Neben dem Alter spielt bei Entscheidungen auch die Einwilligungsfähigkeit eine Rolle. Das macht auch ältere minderjährige Patientinnen und Patienten bei heiklen Themen wie Schwangerschaftsabbruch oder Impfungen von ihren Eltern abhängig. Finden Sie die Rechte von Jugendlichen sollten gestärkt werden?

Wir müssen junge Menschen ernst nehmen und auf Augenhöhe in Entscheidungen einbeziehen. Das werden wir aber nicht unbedingt über Gesetze regeln können, stattdessen müssen wir immer schauen, wie ist die Situation im konkreten Fall. Häufig ist es auch eine kulturelle Frage, wie stark man Minderjährige in Entscheidungsprozesse einbezieht. Über die Rechte junger Menschen werden wir aber sicher auch mit Blick auf ein neues Patientenrechtegesetz noch einmal diskutieren.