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Annegret Köhler hat ihren Job geliebt. Die 63-Jährige lei­tete eine Apotheke im thüringischen Arnstadt. Doch Ende des Jahres 2022 war Schluss. Die Tür im Altbau mit dem hübschen zweifarbigen Mauerwerk wird vermutlich für immer geschlossen bleiben. Annegret Köhler, die hier seit 1983 Rezepte entgegennahm und Hustenmittel empfahl, ist nun in den Ruhestand gegangen.

Trotz intensiver Suche hat sie niemanden gefunden, der ihre Apotheke übernehmen wollte. „Ich habe immer wieder Anzeigen geschaltet, auch einige Bewerbungsgespräche geführt“, sagt sie. Vergeblich. Dabei lief das Geschäft gut. Meh­rere Arztpraxen und eine Klinik sind ganz in der Nähe der Apotheke. Deshalb war der Kreis von Köhlers Stammkundinnen und -kunden groß, viele kannte sie seit Jahrzehnten.

50 freie Apothekerstellen um Erfurt

Wer zu Annegret Köhler kam, bekam nicht nur eine Aufklärung über Risiken und Nebenwirkungen. Die Apothekerin fragte nach, wie es dem kranken Mann zu Hause geht oder wann das Enkelkind eingeschult wird. Warum die Leitung einer Apotheke für viele nicht mehr attraktiv zu sein scheint, darüber kann sie nur spekulieren. Natürlich kennt auch sie die anstrengenden Seiten ihres Berufs: die Notdienste und Nachtschichten. Die viele Bürokratie, die ihr oft lange Arbeitstage bescherte, manchmal 50 bis 60 Wochenstunden.

Sie kennt das Risiko einer Unternehmerin, die hohen Ausgaben für Einkauf und Personal. „Ich glaube, viele scheuen offensichtlich diese Verantwortung“, mutmaßt sie. Außerdem weiß sie, dass besonders in Thüringen wenig Nachwuchs von der Uni kommt, der Studienstandort Jena müsste dringend erweitert werden. Der Bedarf ist groß, im Umland von Erfurt sind oft weit über 50 Stellen für Apothekerinnen und Apotheker ausgeschrieben, so die Apothekenkammer Thüringen.

Köhlers Tochter, selbst Inhaberin ­einer Apotheke in der Region, könnte zwar theoretisch in ihre Fußstapfen treten. Sie wiederum findet aber keine Filialleitung – und so bleibt der Personalmangel das grundsätzliche Problem. „Wie viele Jahre ich hier verbracht habe und jeden Tag Menschen beraten habe und ihnen helfen ­konnte. Ich kann es noch gar nicht fassen, dass jetzt endgültig Schluss ist. Das wird mir wirklich fehlen, es tut mir so leid für die treue Kundschaft“, sagt Annegret Köhler wehmütig.

Günstige Lage, fester Kundenstamm und trotzdem findet sich niemand, der die Apotheke übernehmen will: Annegret Köhlers Geschichte ist kein Einzelfall. Schon 2019 hatte nach Statistiken der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände ­(ABDA) bereits ein Drittel der Apothekenleitenden in Deutschland das 55. Lebensjahr überschritten, der Trend setzt sich fort, eine Ruhestandswelle ist absehbar. Damit werden in Deutschland künftig deutlich weniger Apotheken vor Ort zu finden sein.

Seit gut zehn Jahren geht ihre Zahl zurück, bald könnte die Marke von 18 000 Apotheken bundesweit unterschritten werden. Ein historischer Tiefstand. Dem gegenüber steht ein ungebrochenes Interesse am Pharmaziestudium mit steigenden Studierendenzahlen – von 13 600 im akademischen Jahr 2011/12 auf 16 300 im Jahr 2020/21 (Quelle: ABDA). Und damit ist der Bedarf längst nicht gedeckt. Deutschlandweit kämen momentan auf jeden verfügbaren Pharmaziestudienplatz zwei Bewerberinnen und Bewerber, so Gabriele Regina Overwiening, Präsidentin der ABDA, in ­einer Pressemitteilung. Sie fordert daher ­einen deutlichen Ausbau des Studienplatzangebots und die Schaffung neuer Universitätsstandorte – sonst drohten bis 2029 etwa 10 000 unbesetzte Stellen. Nicht gerade rosige Aussichten für die Apothekenlandschaft in Deutschland.

Ihr Pharmaziestudium hat Christina Roth längst hinter sich gebracht. Inzwischen leitet sie mit gerade einmal 33 Jahren drei Apotheken. Und ist damit eine Ausnahme: Sie schätzt, dass aus ihrem Studiengang nur etwa zehn, höchstens 20 Prozent der Absolventinnen und Absolventen eine Führungsposition übernommen haben. Ein möglicher Grund: In der freien Wirtschaft locken bessere Arbeitszeiten und manchmal auch bessere Gehälter. Ob daher mehr Pharmazie-Absolventinnen und -Absolventen die Lösung gegen den Nachwuchs­mangel in Apotheken sind, ist fraglich.

Christina Roth hat eine Apotheke in Duisburg vor der Schließung gerettet.

Christina Roth hat eine Apotheke in Duisburg vor der Schließung gerettet.

Dazu passt, was ABDA-Präsidentin Gabriele Overwiening beobachtet: „Die Übernahme einer Apotheke und der Schritt in die Selbstständigkeit bedeuten gerade anfangs eine starke Arbeitsbelastung. Wir müssen deshalb daran arbeiten, jungen Kolleginnen und Kollegen die dicksten Steine aus dem Weg zu räumen. Zwei große Baustellen sind der Bürokratieabbau und die mittelfristige Planungssicherheit.“

Christina Roth hat die beiden Apotheken ihrer Eltern übernommen – und hat darüber hinaus eine Apo­theke im Duisburger Norden in letzter Minute vor der Schließung bewahrt: „Ich ­hörte, dass händeringend jemand als Nachfolge für die überraschend verstorbene Inhaberin gesucht wurde.“ Nach reifer Überlegung erklärte sich die Apothekerin bereit. „Da ich wusste, wie beliebt die Apotheke bei der Kundschaft ist und das kompetente und fleißige Team bereits kannte, dachte ich: Das wäre wirklich eine Schande, wenn hier die Lichter ausgehen!“

Ihre Tage sind voll, die Arbeit hört nie auf, doch bereut hat sie die Entscheidung nicht: „Mir wurde die Leidenschaft für den Apothekerberuf in die Wiege gelegt. Mein Großvater war Apotheker, meine beiden Eltern leiteten Apotheken und ich stand bereits als Kind in jeder freien Minute mit meinem kleinen weißen Kittel hinter der Ladentheke.“ Dass der Arbeitsaufwand enorm und die Aufgaben he­rausfordernd sind – von Finanzen über Personalplanung bis hin zu Medikamentenbestellungen –, bestreitet sie aber keineswegs.

Während früher ein Viertel aller Apotheken innerhalb der Familie weitergeführt wurden, trifft das heute nur noch auf jede sechste Übergabe zu. Und selbst wenn eine Apotheke in Familienhand bleibt, heißt das noch lange nicht, dass dieser Weg allen Beteiligten leichtfällt. Iris Dorn beispielsweise, Inhaberin zweier Apotheken in und um Coburg, hat lange mit sich gerungen. Die heute 46-Jährige studierte zunächst wie die Mutter Pharmazie, konnte sich den Einstieg in die Familienapotheke allerdings lange überhaupt nicht vorstellen. Es zog sie nach dem Abitur sofort weg aus dem heimatlichen Coburg.

Nach dem Examen startete sie in einem Pharmaunternehmen in Ulm, 2008 zog sie nach München: „Ich machte mich als Beraterin für Führungskräfte und Change Management selbstständig, arbeitete nebenbei in einer Apotheke und bekam eine Tochter.“ Die Nachfolge in der mütterlichen Apotheke schien mit einer Mitarbeiterin geregelt zu sein.

Iris Dorn ist in die Fußstapfen von Mutter Anita getreten.

Iris Dorn ist in die Fußstapfen von Mutter Anita getreten.

Im chaotischen Corona-Jahr 2020 schickte ihre Mutter Anita Dorn, 70, allerdings einen Hilferuf nach München, weil sie dringend Unterstützung brauchte. Und die Tochter kam. Erst einmal, um Personallücken zu füllen und überall auszuhelfen, wo es gerade brannte. Dann klappte die vorgesehene Nachfolge doch nicht. „Ich machte Iris klar: Ich schaffe es nicht mehr. Möchtest du die Apotheke übernehmen?“, erinnert sich Anita Dorn. Gerade weil sie bei der Mutter erlebt hatte, was die Leitung ­einer Apotheke bedeutet und wie viel Geschick und Opferbereitschaft es braucht, um Familie, Freunde und Freizeit neben dem Job zu jonglieren, fiel Iris Dorn das Ja schwer.

„Es war wahrscheinlich Schicksal, dass die Pandemie und die gescheiterte Übergabe zusammenkamen – und ich schlussendlich doch das weiterführe, was meine Mutter begonnen hat“, sagt sie. Ob der Schritt nun richtig war, stelle sie nicht infrage: „Vieles entwickelt sich noch, ich habe große Pläne für Modernisierungen. Und finanziell läuft es gut.“

Damit spricht Iris Dorn ein Thema an, das eventuell doch ein Anreiz für eine Selbstständigkeit sein kann. Denn eine gut laufende Apotheke zu übernehmen, bedeutet in den allermeisten Fällen zumindest
finanzielle Sicherheit. Während das Einstiegsgehalt laut der Apobank für angestellte Apothekerinnen und Apotheker in Vollzeit nach Tarif bei etwa 3500 Euro brutto monatlich liegt, können Apothekenleitende mit deutlich mehr rechnen. Der Preis, den sie zahlen: wenig Freizeit und kaum Urlaub.

Hilft weniger Bürokratie?

Wer eine Apotheke leitet, muss aber auch gutes Personal finden. Und das ist nicht einfach, besonders für die Leitung einer Filiale. Während der Frauenanteil bei Beschäftigten in öffentlichen Apotheken bei rund 70 Prozent liegt, machen Frauen in leitender Position nur 48,7 Prozent aus. Hilfe wünscht sich Iris Dorn hier aus der Politik: „Warum darf man in Apotheken nicht zwei Filialleitende parallel in Teilzeit einsetzen? Sogar in Krankenhäusern kann die ärztliche Stationsleitung Stunden reduzieren. Warum geht das nicht bei uns?“

Christina Roth wünscht sich eine entschlackte Bürokratie. „Den Papierkram habe ich wirklich unterschätzt, die Zeit fehlt natürlich für den Kontakt mit den Kunden“, sagt sie. „Vor allem in der Pandemiezeit fühlte ich mich oft alleingelassen von der Politik mit ständig neuen Verordnungen und Regelungen, Motto: Die Apotheken kriegen das schon hin!“ Gleichzeitig bürdet die Digitalisierung den Apothekerinnen und Apothekern immer neue Herausforderungen auf, vom E-Rezept bis zum E-Medikationsplan.

Sich mit den zeitraubenden elektronischen Updates oder gar der Konkurrenz durch Internetapotheken auseinan­derzusetzen – das wird Annegret Köhler nicht vermissen. Dass ihre jüngeren Kolleginnen und Kollegen gut gewappnet sind in der digitalen Welt, das bezweifelt sie aber nicht. Sie glaubt, dass vielmehr Lösungen fehlen, wie steigende Lohn-, Transport- und Energiekosten aufgefangen werden können und prangert Fehlentwicklungen in der aktuellen Gesundheitspolitik an.

Christina Roth, eine Vertreterin der jüngeren Generation, fürchtet die Online-Konkurrenz nicht. Sie will und kann ihren Kundinnen und Kunden viel mehr bieten als nur die bloße Arznei. „Die Vertrautheit im persön­lichen Gespräch werden Online-Versand-Apotheken trotz teilweise günstigerer Angebote kaum so schnell ersetzen können“, davon ist sie überzeugt.

Jemanden, der die Herausforderungen annimmt und ihre Apotheke weiterführt, das hätte sich auch Annegret Köhler gewünscht. Sie schließt ihre Apotheke schweren Herzens: „Das geht mir sehr nahe, ich konnte wochenlang nicht darüber sprechen, ohne dass mir die Tränen kamen.“ Ihr Wunsch für kommende Generationen? „Dass sich wieder mehr junge Menschen die Verantwortung für eine Apotheke zutrauen. Man wird jeden Tag belohnt durch zufriedene und dankbare Menschen.“


Quellen:

  • Brigitte M. Gensthaler: Mangelberuf Apotheker. Pharmazeutische Zeitung: https://www.pharmazeutische-zeitung.de/... (Abgerufen am 27.12.2022)
  • ABDA Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände e.V.: Die Apotheke. Zahlen. Daten. Fakten 2022. file:///... (Abgerufen am 27.12.2022)
  • Statista: Anzahl der Pharmaziestudenten in Deutschland in den Jahren 2002 bis 2021 . https://de.statista.com/... (Abgerufen am 27.12.2022)
  • Pressemitteilung Deutsche Apotheker- und Ärztebank: Kind und Kittel: apoBank-Studie untersucht die Vereinbarkeit von Familie und Heilberuf . https://newsroom.apobank.de/... (Abgerufen am 27.12.2022)
  • Apotheke Adhoc: Apobank: Apothekerfamilien werden immer seltener . https://www.apotheke-adhoc.de/... (Abgerufen am 27.12.2022)
  • Pressemitteilung Deutsche Apotheker- und Ärztebank: Neue apoBank-Studie: Niederlassung oder Anstellung? Bei der Work-Life-Balance scheiden sich die Geister. https://newsroom.apobank.de/... (Abgerufen am 27.12.2022)
  • Deutsche Apotheker- und Ärztebank: Gehalt und Arbeitszeit: Karriere als Apotheker. https://www.apobank.de/... (Abgerufen am 27.12.2022)
  • Pressemitteilung Deutsche Apotheker- und Ärztebank: apoBank-Studie „Generationswechsel in den Heilberufen“ – Wie kann das gut gelingen?. https://newsroom.apobank.de/... (Abgerufen am 27.12.2022)