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Doris Schaeffer ist Leiterin des „Nationalen Aktionsplans Gesundheitskompetenz“. Sie beantwortet unsere Fragen und erklärt, warum fehlende Gesundheitskompetenz auch für die Gesellschaft zum Problem werden kann:

Frau Professorin Schaeffer, seit gut zehn Jahren untersuchen Sie die so genannte Gesundheitskompetenz in Deutschland. Bevor wir über die Ergebnisse sprechen: Was ist eigentlich Gesundheitskompetenz?

Mit Hilfe von Befragungen mit einem international abgestimmten Fragebogen, den wir im Laufe der Jahre weiterentwickelt haben, versuchen wir zu verstehen, inwieweit Menschen mit Gesundheitsinformationen umgehen und was für sie schwierig ist – dies insbesondere bei der Gesundheitsversorgung/Krankheitsbewältigung als auch der Prävention und Gesundheitsförderung.

Doris Schaeffer, Professorin für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld und Leiterin des „Nationalen Aktionsplans Gesundheitskompetenz“

Doris Schaeffer, Professorin für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld und Leiterin des „Nationalen Aktionsplans Gesundheitskompetenz“

Wir stellen Fragen wie: Wie einfach oder schwierig ist es für Sie, Packungsbeilagen von Medikamenten zu verstehen oder aber Angaben auf Lebensmittelverpackungen? Wo versuchen Sie, Informationen darüber zu finden, wie sie mit psychischen Problemen umgehen können? Anhand welcher Kriterien beurteilen Sie, ob Sie eine zweite Meinung von einem weiteren Arzt benötigen? Auch um Patientenrechte oder das Thema Impfen drehen sich unsere Fragen. Wir fragen auch nach den Informationskanälen oder Quellen, über die man sich informiert. Die so genannten Medien-Fragen schneiden durchgängig schlecht ab. In diesem Bereich haben wir ein grundlegendes Problem.

Also nicht allein in der Corona-Pandemie?

Nein, Informationen aus den Medien zu verstehen und ihre Vertrauenswürdigkeit einzuschätzen wird in allen Untersuchungen, die wir durchgeführt haben, für sehr schwierig gehalten. Dazu hat die mit der zunehmenden Digitalisierung entstandene Flut und Vielfalt an Informationen ganz sicher beigetragen. Denn nicht nur seriöse Informationen haben zahlenmäßig zugenommen, auch fragwürdige und falsche Informationen. Dass manch einer in Anbetracht dieser Entwicklung immer orientierungsloser und unsicherer wurde – aber auch anfällig für manipulierte Informationen - ist eigentlich nicht verwunderlich.

2018 hat eine Expertengruppe unter Ihrer Leitung einen „Nationalen Aktionsplan Gesundheitskompetenz“ entwickelt. Fachleute aus Wissenschaft und Praxis haben über ein Jahr lang alle wissenschaftlichen Studien zum Thema gesichtet und 15 Empfehlungen daraus abgeleitet. Im Kern geht es darum, wie die Gesundheitskompetenz gefördert werden kann und auch, wie Gesundheitsinformationen verständlich, nutzerfreundlich und damit wirksam gestaltet werden können.

Ja, die 15 Empfehlungen setzen früh an, bei den Kindern, Kindertagesstätten und dem Bildungssystem. Wir halten es zum Beispiel für wichtig, Gesundheit langfristig als Schulfach einzurichten und Schulgesundheitspflege in den Schulen zu verankern. Wichtig finden wir auch, neu über Informationen nachzudenken und sie lebensweltnah zu gestalten, sie in einer einfachen, verständlichen Sprache zu verfassen. Wir brauchen klare Botschaften, für sämtliche Lebenswelten: Von der Arztpraxis über die Behörde bis hin zum Supermarkt. Der Aktionsplan enthält hier zahlreiche Vorschläge.

Ihre Vorschläge kamen wie gesagt 2018. 2019 kam Corona. Liest man den Katalog mit Ihren Empfehlungen, klingt vieles bereits da wie direkt auf die Pandemie bezogen. Haben Ihre Vorschläge denn geholfen - beim Umgang mit Corona?

Die Resonanz war insgesamt positiv, in der Politik war sie aber teilweise eher verhalten. Leider, denn die unerwartete Pandemie wurde nicht nur zu einer schweren Gesundheitskrise, sondern zu einer regelrechten „Infodemie“. Jeder musste sich mit neuen, unbekannten Sachverhalten auseinandersetzen. Wann immer man den Fernseher eingeschaltet oder die Zeitung aufgeschlagen hat, wurde man mit Informationen über das neuartige Virus versorgt. Das war gut, hatte aber auch Schattenseiten.

In den zahlreichen Talkshows saßen und sitzen Epidemiologen, Virologen, Hygienemediziner, aber sehr selten Kommunikationsexperten, die dabei helfen, den Wust aus mit Fachbegriffen gespickten Informationen zu verstehen. So kam es zu Situationen, in denen abendfüllend etwa über den Umgang mit einer „Sieben-Tage-Inzidenz“ oder in Fachbegriffen diskutiert wurde, ohne dass ein einziges Mal hinterfragt wird, wer von den Zuhörern überhaupt weiß, was das ist.

Inwiefern könnten Kommunikationsexperten helfen?

Wichtig ist, Informationen so zu gestalten, dass der Sachverhalt fachlich richtig und klar dargestellt wird, aber auch der Mensch, der die Information aufnehmen und verarbeiten soll, beachtet und mitbedacht wird. Mein Eindruck ist, dass er oft vergessen wird und Information nicht adressaten- oder zielgruppengerecht gestaltet und zugeschnitten wird. Von Jugendlichen wissen wir zum Beispiel, dass sie generell weniger vertraut sind mit Gesundheitsthemen. Und wir wissen auch, dass etwa Menschen mit einem geringen Bildungsgrad oder im höheren Lebensalter sich schwerer tun. Das heißt aber nicht, dass sie nicht an Gesundheitsthemen interessiert sind – im Gegenteil! Aber wenn man sie erreichen will, müssen Gesundheitsinformationen auf sie zugeschnitten sein.

Natürlich, auch der beste Kommunikationsexperte wird es nicht schaffen, sämtliche Zielgruppen gleichzeitig ins Boot zu holen. Aber wir können über neue Formate und Formen nachdenken, die den Bedürfnissen und Gewohnheiten der jeweiligen Adressaten- oder Zielgruppe entsprechen. Wieso bietet man beispielsweise nicht einfach spezielle Sendungen an? Gerade beim Thema Corona wäre das aus meiner Sicht sinnvoll gewesen. Man hätte viel gezielter, differenzierter auf die Leute zugehen müssen.

Auf Kinder und Jugendliche, um beim genannten Beispiel zu bleiben?

Ja, oder auch: auf ihre Eltern, auch auf ihre Großeltern beziehungsweise generell ältere Menschen. Kommunikation ist keine Einbahnsprache, es gibt einen Sender und einen Empfänger und wo lediglich gesendet und nicht gehört oder darauf geachtet wird, ob das Gesagte auch wirklich ankommt und aufgenommen wird, da läuft was schief. Da kann es passieren, dass im Extremfall ganze Bevölkerungsgruppen von Informationen und Wissen, die für ihr Leben von essentieller Bedeutung wären, abgeschnitten werden. Die Folgen fehlender Gesundheitskompetenz sind vielfältig. Die Betroffenen ernähren sich oft ungesünder, bewegen sich weniger. Sie gehen auch nachweislich häufiger zum Arzt und ins Krankenhaus. Gesundheitskompetenz ist nichts Corona-spezifisches, das möchte ich betonen.

Können Sie ein bisschen genauer werden? Von wie vielen Menschen, die mit Gesundheitsinformationen nicht gut umgehen können, sprechen Sie?

Wir haben hier ein gesellschaftliches Problem: Klagten 2014 noch etwa 54 Prozent der Befragten über große Schwierigkeiten, sich im Dschungel der Angebote medizinischer Informationen zurecht zu finden, so waren es 2020 fast 60 Prozent. Man muss sich das mal klarmachen: Die Mehrheit der Bevölkerung fühlt sich nicht ausreichend in der Lage, mit Gesundheitsinformationen umzugehen und vor allem sie einschätzen und beurteilen zu können!

Klingt fast so, als hätte Corona die Verwirrung komplett gemacht…

Vorsicht, hier müssen wir differenzieren. Tatsächlich scheint es einen kleinen Lichtblick zu geben, wie eine zusätzliche Befragung zeigt, die wir während der Pandemie durchgeführt haben. Sie zeigt, dass sich die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung während der ersten sechs Monate der Pandemie um drei Prozent Punkte verbessert hat.

War die Auseinandersetzung mit dem neuartigen Virus also Herausforderung und Lernfeld zugleich?

So könnte man es sagen. Auf jeden Fall hat es so viel Gesundheitsinformation wie nie zuvor gegeben, wenn auch zu einem speziellen Thema. Dennoch lässt sich das Ergebnis so interpretieren, dass es zeigt, dass viel Information offenbar wirkt. Und noch etwas: Informationen hatten hier oft eine klare Botschaft, siehe etwa die AHA-Regeln. Die sind so erklärt worden, dass jeder, wirklich jeder sie verstehen konnte und sie sind so breit und oft gestreut worden, dass sie jeder kennt, was leider nicht heißt, dass er sie auch anwendet.

Besonders hat sich übrigens die digitale Gesundheitskompetenz verbessert. Allerdings sind es vor allem die Jüngeren, die sich zunehmend für Apps und Podcasts und ähnliches begeistern und aus diesen Medien offensichtlich einen positiven Nutzen ziehen. Menschen über 65 weisen zu 86 Prozent eine sehr geringe digitale Gesundheitskompetenz auf. Auch diese gehört zu den Herausforderungen, die wir angehen müssen.

Woran merke ich eigentlich, ob ich gesundheitskompetent bin?

Finde ich geeignete Information für meine Frage, mein Problem? Habe ich die Informationen ausreichend verstanden? Habe ich sie geprüft und hinterfragt? Kenne ich die Quelle, aus der sie kommen? Ist die Quelle seriös? Wer gesundheitskompetent ist, fragt sich sowas. Übrigens immer wieder neu, denn Gesundheitskompetenz ist kein anhaltendes oder immerwährendes Gut. Selbst wenn ich an dieser Kompetenz in einem Bereich bereits intensiv gearbeitet habe, kann ich überrascht werden. Nicht nur durch neuen Viren-Varianten, auch durch eine Tumorerkrankung etwa, mit der ich unerwartet in der Familie konfrontiert bin. Möglich, dass ich dann das Gefühl habe, nochmal ganz von vorne anfangen zu müssen mit meiner Art, medizinisches Wissen abzufragen, einzuschätzen und zu bündeln.

Was macht Gesundheitskompetenz mit mir in der aktuellen Situation: Die Inzidenzen sind niedrig, wir haben viele Freiheiten zurückgewonnen. Und gleichzeitig ist da die Unberechenbarkeit der Delta-Variante.

Gesundheitskompetenz macht, dass ich genieße, was wieder möglich ist und gleichzeitig sensibel und wachsam bleibe. Ich weiß schließlich, dass dieses Virus weder harmlos, noch aus der Welt verschwunden ist.

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