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Kurze Tage, grauer Himmel, Nieselregen: Wir sind in der dunklen Jahreszeit angekommen. Bei vielen sinkt die Stimmung – und die Motivation für Sport. Dabei ist Bewegung jetzt wichtig, damit sich ein sogenannter Winterblues gar nicht erst breit macht.

Tageslicht etwa kurbelt die Produktion von Serotonin im Gehirn an. Bekommen wir zu wenig davon ab, sinkt der Spiegel des stimmungsaufhellenden Hormons ab und wir bekommen leichter psychische Durchhänger. Der Schritt vor die Tür kostet jetzt oft Überwindung, lieber kuschelt man sich auf dem Sofa ein. Im Extremfall droht eine saisonale Depression.

Bei Winterblues hilft aber eben nicht das Sofa, sondern Bewegung an der frischen Luft - und zwar bei Tageslicht. „Beim Spazieren gehen oder Joggen schüttet der Körper verschiedene Transmitter wie Serotonin, Dopamin und Noradrenalin aus“, sagt Christa Roth-Sackenheim, Vorsitzende des Berufsverbands Deutscher Psychiater (BVDP) mit eigener Praxis für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie in Andernach. „Das alles sind wahre Zufriedenheits- und Glückshormone.“

Bewegung verbindet Körper und Geist

Auch der Einfluss von Stresshormonen verringere sich, wenn wir uns bewegen. „In der Depression wird der Körper ständig von Cortisol und Stoffwechselprodukten überflutet – Stress pur für die Betroffenen“, sagt Roth-Sackenheim. Bewegung könne helfen, das Stresssystem wieder ins Gleichgewicht zu bringen, indem sie Körper und Geist verbinde. Zudem ist das Gehirn beim Sport gefordert, um die Bewegung zu koordinieren und ein bestimmter Teil des Gehirns, der präfrontale Kortex, wird reguliert. Dieser ist verantwortlich für häufiges Grübeln und insbesondere bei Depressionen und Ängsten aktiv. Aktivierte Muskelnkurbeln auch den Stoffwechsel an. Man spüre den Körper und fühle sich vitaler, sagt die Neurologin. „Der Körper ist ein faszinierendes Instrument, das man nutzen kann, um die Psyche im besten Sinne zu steuern.“

Diese unmittelbaren Effekte halten sechs bis acht Stunden nach einer Trainingseinheit an: „Wir fühlen uns zufrieden und sind in unserem Körper zuhause“, so Roth-Sackenheim. Bei regelmäßigem Training stellen sich außerdem Langzeiteffekte ein: „Wir werden stressresistenter, resilienter und immunstärker“.

Bewegung als Teil von Depressions-Therapie

Diese Wirkung macht man sich mittlerweile sogar bei der Behandlung von Depressionen zu nutze. Heute ist laut der Leitlinie Unipolare Depression der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) [1]Sport- und Bewegungstherapie eine wichtige ergänzende Behandlungsmethode, insbesondere in Kliniken und Selbsthilfegruppen. Laut einer Studie aus dem Jahr 2012 könnten gar 12 Prozent der Depressionen durch nur eine Stunde moderaten Sport in der Woche verhindert werden. Die WHO warnt[2], dass im Zeitraum von 2020 bis 2030 weitere 500 Millionen Menschen mangels Bewegung an unterschiedlichen Leiden erkranken werden – darunter Depressionen.

Ein Grund, warum Bewegung gegen die psychische Krankheit hilft, ist laut Roth-Sackenheim auch die Stärkung der Selbstwirksamkeit. „Menschen mit Depressionen fühlen sich meist überwältigt. Alles was das Gefühl stärkt, dass man selbst beeinflussen kann, wie man sich fühlt oder wie man sein Leben gestaltet, stärkt die Selbstwirksamkeit.“ Dazu gehöre auch Sport. Und der wirke sogar vorsorgend. Denn bei einem plötzlichen Schicksalsschlag habe jemand mit einem guten körperlichen Training bereits Übung in der Selbstwirksamkeit. „Diese Routine hat dann etwas tröstliches“. Auch bei einer primären Depression – also ohne direkten Auslöser – könne Sport die Anzahl und Schwere der depressiven Phasen mildern.

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Welcher Sport stärkt unsere Psyche?

Doch welche Art von Sport stärkt die Psyche? Zwar belegen diverse Studien, dass Ausdauersport wie Radfahren wirksam ist. „Ob joggen oder Minigolf spielen, das ist erst mal total egal“, sagt der Sportpsychologe Kai Engbert mit Praxis in Grasbrunn bei München. Wichtiger sei es, einen Sport zu finden, der Spaß macht und zu den eigenen Bedürfnissen passt. So neigt der eine beim Joggen zum Grübeln und kann nur an der Kletterwand wirklich abschalten. Die andere hingegen ärgert sich beim Klettern am Ende vor allem über die nicht gemeisterten Kletterrouten. „Selbstwahrnehmung und Selbstfürsorge sind hier viel wichtiger als irgendein Rat von außen“, sagt Engbert. Und: „Man muss nicht immer bunte Klamotten und Turnschuhe tragen.“ Ein Spaziergang mit dem Hund oder Gartenarbeit zählen ebenfalls als Sport und haben einen großen Effekt auf das Wohlbefinden.

Wer auf Sport mit anderen Menschen Lust hat, sei es in der Laufgruppe oder im Handballteam, profitiert gleich doppelt. „Der soziale Austausch und das Wir-Gefühl haben schon für sich genommen einen positiven Effekt auf die Stimmung“, sagt Neurologin und Psychologin Roth-Sackenheim. Und sollte es sportlich einmal nicht so laufen, wie gewünscht, muss man nicht frustriert nach Hause gehen: Das Gespräch oder gemeinsame Getränk nach dem Training heben die Stimmung gleich wieder.

Bewegung bei Tageslicht und im Grünen

Besonders stimmungsaufhellend wirkt Bewegung an der frischen Luft und bei Tageslicht. „Der Blick in den Himmel gibt dem Gehirn über die Netzhaut einen Aktivitätsreiz“, sagt Roth-Sackenheim. Das gelte auch, wenn der Himmel wie so oft im Winter bedeckt ist. Nochmal entspannter nach Hause kommt eventuell, wer sich dabei im Grünen aufhält. Das sogenannte Waldbaden etwa ist ein aus Japan stammender Trend, bei dem vor allem gestresste Großstädter:innen den Kontakt zur Natur suchen. Aber auch Spaziergänge im Wald oder Park tun natürlich gut. Erste Studien[3] bestätigen den Einfluss der Natur auf die psychische Gesundheit. Demnach nehmen Stress, Ängste, Depression und negative Emotionen ab, wenn wir die Bäume achtsam wahrnehmen.

Doch wie viel Bewegung sollte es sein? Die WHO-Empfehlung [4]von zweieinhalb Stunden pro Woche ist für Sportpsychologe Engbert eine gute Orientierung. Er empfiehlt kleinere, über den Tag verteilte Bewegungseinheiten, anstatt nach einem stressigen Tag den Bürostuhl gegen das Laufband zu tauschen. „Der Wechsel zwischen Anspannung und Entspannung, zwischen Sympathikus und Parasympathikus des Nervensystems, ist für den Körper viel besser.“ Steht die Entspannung im Vordergrund, sollte das Training dabei nicht allzu leistungsorientiert sein. „Da halst man sich nur einen zusätzlichen Stressfaktor auf.“ Es muss also nicht das tägliche Workout im Fitnessstudio sein. Gerade für Menschen mit Depressionen zähltschon jeder kleine Schritt oder Sport-Einheit als Erfolg. Man sollte hier keine Höchstleistungen von sich erwarten.

Der Bewegung Raum geben

Engbert rät außerdem, das Training oder die Bewegungspausen in den Terminkalender einzutragen. „Damit geben wir der Bewegung eine ganz neue Wertigkeit“. Wer sich mit anderen zum Sport verabredet oder dienstags immer Volleyballtraining hat, geht auch eher hin – schon allein, um die Mitspieler:innen nicht hängen zu lassen. Und wer etwa für eine Bergtour im Sommer fit sein will, kann sein Ziel visualisieren: Warum nicht ein Gipfel-Foto in der Wohnung aufhängen? Werden gesteckte Ziele schließlich erreicht, fallen die Glücksgefühle besonders stark aus. Wichtig ist dabei, sich ein realistisches Ziel zu setzen. Sonst überwiegt der Frust und mancher wird das Sofa wieder den Wanderschuhen vorziehen.

Und: Wer sich einfach nicht für das Fitnessstudio aufraffen kann, sollte auch mal auf seinen inneren Schweinehund hören. „Dann scheint etwas faul zu sein und das Energielevel für Sport schlicht nicht mehr auszureichen“, sagt Engbert. Hier sei es wichtig, in sich hinein zu hören und sich zu fragen: Wofür ist Motivation da? In diesem Fall ist ein entspannter Spaziergang vielleicht die bessere Wahl.

Der größte Motivationsfaktor – und laut Psychologin Roth-Sackenheim auch ein wichtiger Erfolgsfaktor in der Behandlung von schlechter Stimmung und Depressionen in ihrer Praxis – ist ohnehin der Spaß. Wer Freude an der Bewegung gefunden hat, muss sich gar nicht erst überwinden. Selbst in der dunklen Jahreszeit nicht.


Quellen:

  • [1] Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde: Unipolare Depression. Leitlinie: 2009. https://dggpp.de/... (Abgerufen am 04.11.2022)

  • [2] World Health Organization: WHO highlights high cost of physical inactivity in first-ever global report. https://www.who.int/... (Abgerufen am 04.11.2022)
  • [3] Stier-Jarmer M, Throner V, Kirschneck M et al.: The Psychological and Physical Effects of Forests on Human Health:, A Systematic Review of Systematic Reviews and Meta-Analyses. In: International Journal of environmental research and public health 11.02.2021, 18: 1770
  • [4] World Health Organization: Physical activity. https://www.who.int/... (Abgerufen am 04.11.2022)