Flammschutzmittel in Autositzen sind möglicherweise krebserregend
Forscherinnen und Forscher der Duke University in North Carolina haben Autositze auf Schadstoffe untersucht und festgestellt, dass 99 Prozent davon mit den Flammschutzmitteln TCEP und TCPP belastet sind. Diese Stoffe zählen zu den Organophosphaten und stehen in Verdacht, krebserregend zu sein.
Warum werden Flammschutzmittel eingesetzt?
Die chemischen Stoffe zum Flammschutz sollen die Ausbreitung von Bränden verlangsamen oder verhindern. Sie werden hauptsächlich in Kunststoffen, Textilien und elektronischen Geräten verwendet. Einige häufig eingesetzte Substanzen sind jedoch nachweislich gesundheitsschädlich.
Wo werden die bedenklichen Flammschutzmittel eingesetzt?
Seit August 2015 darf das Flammschutzmittel TCEP in der EU nicht mehr produziert und in Umlauf gebracht werden. „Laut Informationen der Europäischen Chemikalienbehörde ECHA ist TCEP in Europa vom Markt“, sagt Marc Tschernitschek vom Bundesinstitut für Risikobewertung.
In den USA werden die kritischen Flammschutzmittel weiterhin im Schaumstoff für Autositze verwendet, um eine Brandschutznorm aus den 1970er-Jahren zu erfüllen, die nicht einmal einen nachgewiesenen Brandschutzvorteil hat. Experten und Expertinnen fordern daher schon lange, diese Norm so zu aktualisieren, dass sie ohne entsprechende schädliche Chemikalien in Fahrzeugen erfüllt werden kann. Eine ähnliche Aktualisierung wurde in Kalifornien bereits vor zehn Jahren für Möbel und Babyprodukte erfolgreich umgesetzt.
Wie relevant sind die Studienergebnisse für Deutschland?
In Autos, die vor 2015 in Deutschland zugelassen worden sind, können Sitze mit dem Flammschutzmittel TCEP verbaut sein. Doch nach mehreren Jahren ist die Gefahr nicht mehr groß, „denn ein Teil dieser Stoffe dünstet im Laufe der Zeit aus dem jeweiligen Produkt aus und wird an die Umgebungsluft abgegeben“, erklärt Manuel Fernandez vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland. „Das liegt daran, dass sie nicht chemisch gebunden sind.“
„Insgesamt sind Flammschutzmittel seit Langem im Fokus europäischer, im Bereich der Chemikalienregulierung tätiger Behörden. Bereits vor Inkrafttreten der EU-Chemikalienverordnung REACH hatten die deutschen Behörden im Rahmen des EU-Altstoffprogramms einen entsprechenden Risikobewertungsbericht erstellt“, sagt Marc Tschernitschek vom Bundesinstitut für Risikobewertung.
Welche Gesundheitsgefahren durch Flammschutzmittel sind nachgewiesen?
„TCEP weist sowohl krebserregende als auch fortpflanzungsschädigende Eigenschaften im Tierversuch auf“, sagt Tschernitschek. „Aufgrund dieser Eigenschaften erfolgte eine innerhalb der EU verbindliche, einheitliche Einstufung von TCEP als krebserregend und als wahrscheinlich beim Menschen fortpflanzungsgefährdend gemäß der Verordnung zur Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung von Chemikalien. Darüber hinaus wurde TCEP wegen seiner reproduktionstoxischen Eigenschaften als besonders besorgniserregende Substanz identifiziert.“
Wie gelangen die Substanzen aus dem Schaumstoff von Autositzen in den Körper?
Die US-Studie zeigt, dass sich vor allem im Sommer, wenn die Temperaturen steigen, höhere Konzentrationen der Flammschutzmittel in der Luft des Auto-Innenraums nachweisen lassen. Insbesondere für Kinder ist das Risiko hoch, da sie häufiger atmen als Erwachsene und Schadstoffe sie ohnehin stärker belasten.
Wie hoch dadurch das Krebsrisiko für Autofahrer und Autofahrerinnen in den USA ist, lässt sich nicht exakt angeben, da sich die toxikologischen Daten zu TCEP auf tierexperimentelle Studien beschränken. Die Studienleiter empfehlen jedoch, Autos möglichst nicht zu lange in der Sonne zu parken und vor der Fahrt gut durchzulüften.
Da das Flammschutzmittel TCEP seit Längerem in der EU verboten ist, sollte von in Deutschland zugelassenen Autos keine Gefahr ausgehen. Dennoch empfiehlt es sich auch hier immer, Neuwagen gut zu lüften, da Autos auch andere Chemikalien ausdünsten können.
Wie gefährlich ist der Stoff TCPP im Vergleich zu TCEP?
Der ADAC hat 2022 Autositze für Kinder getestet – ein Produkt fiel durch, weil es einen hohen Gehalt an TCPP, einem verwandten Stoff von TCEP enthielt. TCPP ist im Gegensatz zu TCEP bisher noch nicht als besonders besorgniserregender Stoff eingestuft. Obwohl es eine chemisch verwandte Struktur hat, für ähnliche Zwecke eingesetzt wird und vermutlich ähnlich gefährliche Eigenschaften hat.
Seit 2015 liegt der EU-Grenzwert für TCPP in Kinderspielzeug – in dessen Kategorie auch Kinder-Autositze fallen – bei fünf Milligramm pro Kilo. Dieser Wert wurde bei der vom ADAC untersuchten Babyschale „Jané Koos i-Size R1 + iPlatform Comfy“ deutlich überschritten; der Verkehrsclub riet daher vom Kauf dieses Kindersitzes ab. Um sicherzugehen, ob es sich um ein schadstofffreies Modell handelt, können Prüfsiegel helfen. Das bekannte „Oeko-Tex Standard 100“-Siegel etwa bestätigt, dass ein Kindersitz getestet wurde und keine bedenklichen Substanzen enthält.
„Grundsätzlich kommt es auch immer auf die Summe der Chemikalien an, mit denen wir in unserem Leben in Berührung kommen“, sagt Manuel Fernandez. „Und da können wir aktiv vorbeugen, indem wir etwa beim Kauf von Alltagsgegenständen die ToxFox-App vom BUND nutzen. Die Anwendung hilft Verbrauchern und Verbraucherinnen, Kosmetik- und Alltagsprodukte auf Schadstoffe zu prüfen.“
Wie lässt sich der Einsatz gefährlicher Alternativen vermeiden?
„Um zu verhindern, dass TCEP durch ähnliche Substanzen ersetzt wird, verfolgt die Europäische Chemikalienagentur eine sogenannte ,Flammschutzmittelstrategie‘“, sagt Experte Tschernitschek. „In diesem Zusammenhang hat die EU-Kommission die Europäische Chemikalienagentur aufgefordert, ein Verfahren zur Beschränkung einer ganzen Gruppe ähnlicher Verbindungen, die ebenfalls als Flammschutzmittel infrage kommen, in die Wege zu leiten. Dies ist bislang allerdings nicht erfolgt, da noch auf den Abschluss einer Toxizitätsstudie gewartet werden musste.“ Das Beispiel der Gruppe der Organophosphate zeigt aber einmal mehr, dass es sinnvoll ist, statt der Einzelstoffbewertung ganze Chemikaliengruppen auf umwelt- und gesundheitsschädliche Eigenschaften zu prüfen.
Quellen:
- Chemisches und Veterinäruntersuchungsamt Ostwestfalen-Lippe (CVUA-OWL): Flammschutzmittel in Bedarfsgegenständen. https://cvua-owl.de/... (Abgerufen am 03.05.2024)
- Hoehn RM, Jahl LG, Herkert NJ et al: Flame Retardant Exposure in Vehicles Is Influenced by Use in Seat Foam and Temperature. In: Environ. Sci. Technol.: 07.05.2024, https://doi.org/...
- Umweltbundesamt (UBA): Zulassung. https://www.umweltbundesamt.de/... (Abgerufen am 03.05.2024)