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Fällt das Stichwort Mangelerscheinung, dann muss ich automatisch an Ingrid und Egon denken. Das alte Ehepaar lebte in der Schweiz und war unserer Familie mit den Jahren so sehr ans Herz gewachsen, dass wir Kinder sie bald Onkel und Tante nannten.

Als die beiden in die Jahre kamen, übernahm unsere Familie übers Telefon und mit regelmäßigen Besuchen die gesundheitliche Überwachung der beiden Senioren. Das war über Jahre hinweg eine dankbare, da nicht besonders aufwändige Aufgabe – die beiden erfreuten sich bester Gesundheit.

Eines Tages mussten wir allerdings feststellen, dass Egon und Ingrid ihre Ernährung umgestellt hatten. Sie lebten zu diesem Zeitpunkt quasi ausschließlich von Pumpernickeln mit Hüttenkäse.

Eine derartig einseitige Ernährung ist natürlich katastrophal ungesund. Schwarzbrot ist zwar an sich ein wunderbares Lebensmittel. Es liefert Ballaststoffe, Vitamine, Eiweiß, Mineralstoffe und es sättigt mit vollem Korn vorhaltend. Auch gegen Hüttenkäse gibt es nichts einzuwenden. Aber eine Ernährung, die ausschließlich auf diesen zwei Nahrungsmitteln beruht, ist alles andere als empfehlenswert. Ganz im Gegenteil – über längere Zeit hinweg praktiziert – wird sie definitiv zu starken Mangelerscheinungen führen.

Doch all unser gutes Zureden fiel bei den Schweizer Asketen auf unfruchtbaren Boden "Ach, da weiß ich genau wo das im Supermarkt im Regal liegt", erklärte mir Ingrid. "Und außerdem schmeckt uns das gut." In Wirklichkeit vermuteten wir allerdings einen anderen Grund für die drastische Auswahlbeschränkung: Seit dem Tag, an dem zwei fliegende Händler, beziehungsweise Scharlatane, dem alten Ehepaar einen besonders scheußlichen und überteuerten Teppich aufgeschwatzt hatten, verließ Ingrid ihre Wohnung nur noch so selten wie möglich.

Die Angst vor den Gaunern konnten wir dem Ehepaar nicht nehmen. Trotzdem starteten wir die zweite Überredungsrunde: "Ihr braucht Kraft, nur so könnt ihr euch verteidigen." Im Alter verliert der Mensch immer mehr Muskelmasse. Entgegenwirken kann man mit Bewegung und der richtigen Kost. Und diese umfasst mich Sicherheit wesentlich mehr Lebensmittel als Hüttenkäse und Pumpernickel.

Per Telefon gab sich Ingrid irgendwann geschlagen und versprach, den Einkaufszettel wieder aufzustocken. Kurze Zeit später verstarben unsere zwei Freunde. Allerdings waren die Gründe weder bei Ingrid noch bei Egon ernährungsbedingt. Aber jedes Mal, wenn ich mir heute Hüttenkäse auf mein Schwarzbrot lege, sende ich in Gedanken ein paar Grüße gen schweizer Himmel.