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Da ist noch dieses Bild vor meinen Augen, als wäre es gestern gewesen. Ich liege mit meiner gerade geborenen Tochter im Arm im Krankenhausbett. Mein Körper fühlt sich an wie ein einziger Muskelkater, die Brüste sind heiß, prall und schmerzen. Mein Bauch ist noch dick, der Wochenfluss hat ­begonnen, durch die Geburtsverletzungen habe ich Angst, zur Toilette zu gehen. Autsch, ich fühle mich wie ein Wrack. Und mein Mann? Der sitzt bei mir wie aus dem Ei gepellt. Als wäre nichts gewesen: Kein einziges Kilo ­zugenommen, alle seine Klamotten passen ihm wie angegossen. Sogar ­rasiert hat er sich. Und das Beste: Er kann kommen und gehen, wann er möchte – weil er dieses kleine Wesen ja nicht stillt. Schon in diesem sehr frühen Moment meiner Mutterschaft stellte ich mir die Frage: Wann werde ich ­wieder ich selbst sein?

Es ist doch so: Als Schwangere gehen wir ins Kranken- oder Geburtshaus – und kommen als Mutter wieder hinaus. ­Vorher machen wir uns keinen Begriff, was es bedeutet, 24/7 Verantwortung für einen Mini-Menschen zu tragen. „Aus der Nummer komme ich nie wieder heraus“ ist ein Gedanke, der vielen Müttern ziemlich bald nach der Geburt durch den Kopf schießt. Absolutes Wunschkind hin oder her: Diese endgültige Verbindlichkeit, dieses Sich-ständig-kümmern-Müssen macht etwas mit einem.

Elternsein ist ein Stück Selbstaufgabe

Ich möchte es genauer wissen und frage bei Psychologieprofessorin Eva Asselmann nach. Sie forscht an der HMU Health and Medical University in Potsdam. Wann fühlen sich Mütter wieder wie sie selbst? „Die Anpassungsphase nach der Geburt ist ein schrittweiser Prozess, der von der Persönlichkeit der Eltern und vom Temperament des Kindes abhängt. Hat man beispielsweise ein Schreikind, kann der Anfang ­besonders anstrengend sein“, sagt sie.

Sie erzählt auch, dass das Selbstwertgefühl nach der Geburt bei Müttern tendenziell stärker abnimmt als bei Vätern und viele frischgebackene ­Eltern anfangs das Gefühl haben, ihre Selbstbestimmtheit aufzugeben. „Hormonelle Veränderungen können einen Einfluss darauf haben, wie es Müttern nach der Geburt geht. Wie stark dieser Einfluss genau ist, lässt sich aber schwer beziffern“, so Asselmann.

Was interessant ist: In einer Studie hat sie herausgefunden, dass sich grundlegende Merkmale unserer Persönlichkeit – darunter wie gewissenhaft, verträglich und emotional stabil wir sind – im Übergang zur Elternschaft im Mittel kaum verändern. „Unseren Studien zufolge spielen berufliche Erfahrungen wie der erste Job eine größere Rolle für Veränderungen in diesen Merkmalen als die Geburt des ersten Kindes“, sagt Eva Asselmann.

Jetzt wird es spannend: Die Psychologin hat sich auch angeschaut, inwiefern unsere Persönlichkeitsmerkmale vorhersagen, ob man überhaupt Mutter oder Vater wird. „Personen, die weniger offen sind, gründen eher eine Familie. Vielleicht, weil sie eher bereit dazu sind, zugunsten einer Familie auf andere Dinge wie Reisen oder nächtliche Kulturevents zu verzichten“, erklärt Eva Asselmann. „Offenheit beschreibt, wie vielseitig ­interessiert wir sind und ob wir uns ­beispielsweise für Musik, exotisches Essen und fremde Länder begeistern.“ Das sind ja mal Erkenntnisse!

Wir können uns vor der Geburt noch so sehr vorstellen, was für Eltern wir mal werden – sicher wissen wir es erst, wenn wir es tatsächlich sind. Aus „Niemals wird unser Kind im Elternbett schlafen“ wird mit der Zeit „Leg dich zu uns in die Mitte. Dann muss ich nachts nicht so weit laufen“. Aus „Ich werde mein Leben nicht nach dem Baby richten und weiterhin abends in Restaurants essen“ wird „Vor 22 Uhr schlafen gehen ist der größte Luxus, den ich mir vorstellen kann“. Und selbst wenn wir uns in buntesten ­Farben ausmalen, was für glückliche Mütter und Väter wir einmal sein werden, ist das keine Garantie, nicht hier und da mit dem Elternsein zu hadern.

Veränderungen meistern: Wie anpassungsfähig bin ich?

Schwangerschaft, Geburt, Hochzeit, Umzug, Jobverlust – das sind alles Beispiele für kritische Lebensereignisse, die uns sowohl körperlich als auch seelisch Großes abverlangen. In herausfordernden Situationen bleibt ein Anteil in uns gleich, ein anderer muss in Bewegung kommen, um die Veränderung zu meistern. „Die Frage ist dabei immer: Wie anpassungsfähig bin ich bei kritischen Einschnitten?“, sagt Sabrina Stempin, Fachärztin für Frauenheilkunde und Psychotherapeutin in Berlin.

Die 43-Jährige meint: „Natürlich wird man in gewisser Weise niemals wieder die Alte werden, weil man beispielsweise die Geburt als absolute Grenzerfahrung erlebt hat. Oder ­erkennt, welche Kompetenzen man neu erworben hat, etwa ein Baby zu ­beruhigen. Man erlebt einen neuen Schliff seiner Persönlichkeit.“ Fazit: Es kann so oder so laufen. Die einen ­umarmen ihre neue Lebensphase und sind stolz auf alles, was sie mit der Mutterschaft dazugewonnen haben. Die anderen blicken wehmütig zurück auf durchtanzte Nächte, Backpacking und die Zeit, als das Leben spontaner und unverbindlicher war.

Die Themen verändern sich, aber: Es wird leichter

Für eben diese Frauen kann es hilfreich sein, mit Müttern zu sprechen, deren Kinder bereits eingeschult sind. Oder den zehnten Geburtstag gefeiert haben. Denn: Die Themen werden andere, aber insgesamt wird es leichter. Irgendwann kann man das Haus ohne Windeln, Feuchttücher, Wickelunterlage, Ersatzkleidung, Kinderwagen, Gläschen, Trinkflasche, Sonnenhut, Lieblingsstofftier und Krabbeldecke verlassen. Einfach Schuhe an und los, herrlich.

Irgendwann sieht es nach einer Mahlzeit unterm Tisch nicht mehr nach ­Tohuwabohu aus – und die Kinder bringen sogar mal ihren schmutzigen Teller vom Esstisch in die Küche. Irgendwann kommen sie alleine nach Hause und müssen nicht mehr überall hingebracht und wieder abgeholt werden. Und ja: Irgendwann planen sie sogar ihre ­Ferien ohne uns.

Das ist der Moment, in dem es vielen Müttern wehmütig ums Herz wird – ganz egal, wie schwer ihnen die Umstellung anfangs gefallen ist. Denn so verrückt das Leben mit Kindern und so anstrengend der Alltag mit all den 100 000 Handgriffen zuweilen ist – wenn die Kleinen flügge werden, geht auch ein Lebensabschnitt zu Ende. Das ist ein Abschied, der wehtun kann. Aber auch ein Neuanfang, der ein paar hübsche Freiheiten mit sich bringt.

Und wenn es noch acht Jahre dauert, bis das jüngste Kind in der ­Familie aus dem Gröbsten raus ist? Mir hilft folgender Gedanke: Dass ich mein Leben vor den Kindern mit all seinen Möglichkeiten und der vielen Zeit für mich vermisse, zeigt doch, dass ich es schön hatte. Dieses Leben kommt wieder. Mit großen Kindern. Besser geht es doch nicht.

„Fremdbestimmt zu sein ist meine größte Herausforderung“

Lina, 33, aus Hamburg, Mutter von zwei Kindern, 4 und 9: Je älter Kinder werden, desto mehr bekommen wir unsere Freiheit zurück. Das ist toll. Meine Tochter bewegt sich mittlerweile selbstständig durch die Stadt und muss nicht mehr ständig begleitet werden. Gleichzeitig sehe ich an meinem ­Kleinen noch, wie fremdbestimmt man mit Kindern im Alltag oft ist. Dieser Aspekt fordert mich am meisten heraus, ich würde meine Tage häufig anders planen.

Mit 23, mitten im Studium, bekam ich meine Tochter. Die Beziehung zu ihrem Vater ging danach in die Brüche, ich war zwei Jahre alleinerziehend. Als die Uni geschafft war, schrieb ich mehr als 50 Bewerbungen, bekam nur Absagen – bis ich meine Elternzeit aus dem Lebenslauf strich. Das war ernüchternd, der Arbeitsmarkt schien nicht bereit für Mütter, trotz gutem Abschluss. Heute bin ich glücklich verheiratet. Meine Tochter lebt die Hälfte der Zeit bei ihrem Papa. Ich gönne mir regelmäßig kleine Auszeiten, um aufzutanken. Dann übernimmt mein Partner. Bald bekommen wir noch ein Kind. Ohne die Erfahrung, nach den intensiven Kleinkindjahren wieder selbstbestimmter leben zu können, hätte ich diesen Schritt nicht gewagt.

„Entwickelt man sich nicht sowieso immer weiter?“

Katrin, 50, aus München, Mutter von zwei Töchtern, 13 und 15: Auch ohne Kinder wäre ich heute nicht mehr dieselbe. Man entwickelt sich doch laufend weiter. Aber klar, auch mich hat die Verantwor-tung umgehauen: Da liegt dieses kleine Wesen, das komplett von dir abhängig ist. Zuerst hat mir die Einsamkeit zu schaffen gemacht. Ich hatte nicht eine Freundin mit Baby. Das wurde erst mit der Krabbelgruppe besser.

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Nach neun Monaten ging ich wieder Teilzeit arbeiten, zwei Tage die Woche hatte ich Open End im Büro – da habe ich mich wie ich selbst gefühlt. Heute sind meine Töchter Teenager und ich kann sagen: Die Verantwortung geht niemals weg. Ich habe mehr Handlungsspielraum, aber die Themen werden andere: Mit Pubertierenden kann der Klamottenkauf zum Riesenkonflikt werden. Besonders viel Freiraum hatte ich, als die Mädchen in der Grundschule und danach in der Mittagsbetreuung waren. Mein Tipp an Baby-Mütter: Nehmt die Väter in die Pflicht! Der erste Kinoabend hat mir fast körperliche Schmerzen bereitet. Es ist aber wichtig, mal etwas ohne Kind zu machen.

„Ich fühle mich manchmal zwiegespalten“

Julia, 42, aus Hörnum auf Sylt, Mutter einer Tochter, 2: Es war ein langer und komplizierter Weg, bis ich endlich schwanger war. Mein Herz könnte heute noch platzen, wenn ich meine Tochter sehe. Sie ist abenteuerlustig, neugierig, aktiv. Und doch fühle ich mich häufig zwiegespalten. Die Lautstärke und das ständige Bereit-­stehen-Müssen strengen mich an. Ich will Zeit mit meiner Tochter verbringen und gleichzeitig alleine sein. Vielleicht würde mir vieles leichterfallen, wenn ich früher Mutter geworden wäre. So hatte ich lange Zeit, völlig selbstbestimmt zu leben.

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Mich selbst spüre ich eigentlich nur zweimal in der Woche, wenn ich mit anderen Frauen Sport mache. In der restlichen Zeit fühle ich die Verantwortung für mein Kind stark. Ist es nicht merkwürdig, dass man auf der einen Seite das absolute Wunschkind bekommen hat, das man so sehr herbeigesehnt hat – und auf der anderen Seite von der Anstren­gung und den langen Tagen überrascht ist? Es wird wohl noch lange dauern, bis ich wieder ganz bei meinem alten Ich ankomme.

„Ich möchte mein altes Ich gar nicht zurück“

Denise, 36, aus Gronau, Mutter von sieben Kindern, 1 bis 16: Ich war 20, als ich mein erstes Kind bekam; alle zwei Jahre folgte das nächste. Im Laufe der Zeit habe ich mich zur Vollblutmama entwickelt, ich richte das ganze Leben nach den Kindern aus. Mein altes Ich möchte ich überhaupt nicht zurückhaben, für mich ist das Leben mit vielen Kindern genau richtig. Wenn ich mal Zeit für mich brauche, übernimmt mein Mann abends, dann gehe ich mit meinen Freundinnen essen. Die Kinder sind dann kein Thema.

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Vielleicht bin ich deshalb so glücklich, weil ich gar nicht erst versuche, mein altes Leben so gut es geht aufrechtzuerhalten. In der Pandemie fing ich an, auf Instagram über unsere Großfamilie zu berichten. Ich dokumentiere die Hausarbeit, welche Frisuren ich den Kindern morgens mache und wie wir in den Dino-Park gehen. Es macht mir Freude zu zeigen, dass man mit vielen Kindern nicht in prekären Verhältnissen leben muss – dieses Bild haben ja viele. Mittlerweile verdiene ich sogar Geld damit. Übrigens: Unsere Familienplanung ist noch nicht abgeschlossen.

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Quellen:

  • Asselmann E und Specht J: Testing the Social Investment Principle Around Childbirth: Little Evidence forPersonality Maturation Before and After Becoming a Parent. In: European Journal of Personality: 01.01.2020, https://doi.org/...
  • Amboss: Wochenbett. Online: https://www.amboss.com/... (Abgerufen am 26.05.2023)
  • Frauenärzte im Netz: Wochenbett & Rückbildung. Online: https://www.frauenaerzte-im-netz.de/... (Abgerufen am 26.05.2023)
  • Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA): Nach der Geburt: Erste Monatsblutung (Menstruation) . Online: https://www.familienplanung.de/... (Abgerufen am 23.08.2023)
  • Netzwerk "Gesund ins Leben" : Reif für die Beikost , Der Brei-Fahrplan. Online: https://www.gesund-ins-leben.de/... (Abgerufen am 23.08.2023)
  • Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ): Kindertagesbetreuung Kompakt , Ausbaustand und Bedarf 2022. Online: https://www.fruehe-chancen.de/... (Abgerufen am 23.08.2023)
  • Berufsverband der Kinder- und Jugendärzt*innen e.V.: Wie viele Infekte sind bei kleinen Kindern noch „normal“?. Online: https://www.kinderaerzte-im-netz.de/... (Abgerufen am 23.08.2023)
  • Jenni O: Vom Ich zum Wir: die soziale und emotionale Entwicklung. In: Die kindliche Entwicklung verstehen. Praxiswissen über Phasen und Störungen 01.01.2021, 1: 142-143