Chorionzottenbiopsie (Entnahme von Mutterkuchengewebe)
Chorionzottenbiopsie und Fruchtwasserpunktion (Amniozentese) gehören zu den invasiven vorgeburtlichen Untersuchungsverfahren (Pränataldiagnostik). Sie ermöglichen dem Arzt, in einem relativ frühen Stadium der Schwangerschaft Zellen des werdenden Kindes zu gewinnen und dessen Erbgut zu untersuchen. Durch die Chorionzottenbiopsie erhält er sogar so viele Zellen, dass das Labor in einer Direktpräparation bereits am nächsten Tag die Anzahl der kindlichen Chromosomen und ihre grobe Struktur bestimmen kann. Damit spürt es Veränderungen der Chromosomenzahl wie Trisomien (zum Beispiel Down-Sndrom, Trisomie 21) oder Monosomien (zum Beispiel Turner-Syndrom, Monosomie X) auf beziehungsweise schließt sie weitestgehend aus. Durch das Anlegen von Zellkulturen sind anschließend noch genauere Untersuchungen der Chromosomenstruktur sowie einzelner Gene möglich. Dadurch kann das Labor auch seltene Erbkrankheiten wie beispielsweise die Mukoviszidose ausschließen.
Was sind Chorionzotten?
Um zu verstehen, was Chorionzotten sind, ist ein kurzer Ausflug in die Embryologie nötig: Nach der Befruchtung teilt sich die Eizelle rasch in sehr viele Zellen. Nach wenigen Tagen teilen sich diese Zellen auf in das eigentliche Kind und weiteres sogenanntes extraembryonales Gewebe. Dort, wo die Frucht auf die innere Wand der Gebärmutter trifft, verdickt sich das extraembryonale Gewebe, und es entsteht das sogenannte Chorion frondosum. Später verwächst das Chorion frondosum mit mütterlichem Gewebe zum sogenannten Mutterkuchen (Plazenta). Bereits im frühen Stadium entwickelt das Chorion bäumchenartige Verästelungen, die sogenannten Chorionzotten.
Diese Chorionzotten bestehen also aus kindlichen Zellen. Deshalb tragen sie (mit wenigen Ausnahmen) dieselbe Erbinformation wie das Kind, und eine Untersuchung von Chorionzottengewebe gibt Aufschluss über eventuelle Veränderungen des Erbgutes.
Welche Gründe sprechen für vorgeburtliche Untersuchungen?
Nach Bekanntwerden der Schwangerschaft bespricht der Arzt in der Regel mit der werdenden Mutter, in welchem Ausmaß eine vorgeburtliche Diagnostik angebracht erscheint und gewünscht wird. Das hängt unter anderem davon ab, ob ein erhöhtes Risiko für Fehlbildungen des Kindes bestehen könnte. Für intensive frühe Untersuchungen des Kindes kann zum Beispiel sprechen, dass Erbkrankheiten in der Familie bekannt sind oder die Eltern bereits ein Kind mit einer Chromosomenveränderung haben.
Viele Schwangere entscheiden sich zunächst für ein Ersttrimesterscreening. Dabei führt der Arzt per Ultraschall unter anderem eine sogenannte Nackentransparenzmessung durch. Zusätzlich werden durch eine Blutentnahme bei der Mutter zwei von der Plazenta produzierte Hormone bestimmt. Aus diesen Daten kann man errechnen, wie hoch statistisch betrachtet die Wahrscheinlichkeit einer Chromosomenveränderung beim Kind ist. Wenn eine erhöhte Wahrscheinlichkeit besteht, kommen zur weiteren Abklärung invasive Untersuchungen wie die Chorionzottenbiopsie oder die Amniozentese in Frage.
Auch ein neuartiger Bluttest bei der Mutter auf eine Trisomie 13, 18 oder 21 des Kindes kann ein Grund für eine Abklärung mittels einer invasiven Untersuchung sein, wenn er ein auffälliges Ergebnis liefert.
Überlegungen vor einer invasiven vorgeburtlichen Untersuchung
Jede invasive Untersuchung geht mit (wenn auch kleinen) Risiken für Mutter und Kind einher. Deshalb sollten die Eltern zunächst mit dem Arzt besprechen, ob das Ergebnis der Untersuchung überhaupt für sie eine Konsequenz haben wird. Denn beeinflussbar sind Chromosomenveränderungen des Kindes nicht.
Chorionzottenbiopsie oder Fruchtwasserpunktion?
Vorteil der Chorionzottenbiopsie gegenüber der Fruchtwasserpunktion ist die frühere Verfügbarkeit des Ergebnisses. Erstens kann sie schon ab Ende der 11. Schwangerschaftswoche erfolgen, zweitens erhält der Arzt soviel Gewebe, dass bereits am nächsten Tag ein vorläufiges Ergebnis feststeht. Die Fruchtwasserpunktion erfolgt hingegen erst ab der 16. Schwangerschaftswoche, und die Auswertung dauert länger.
Nachteil der Chorionzottenbiopsie: Hin und wieder gibt es sogenannte Chromosomen-Mosaike. Hier hat im Verlauf der Zellteilungen eine Mutation stattgefunden, die kindlichen Zellen tragen nicht alle dieselbe Erbinformation. Dann können beispielsweise die Zellen der Chorionzotten anders ausgestattet sein als die eigentlichen Zellen des Kindes. Dementsprechend zeigt die Chorionzottenbiopsie dann ein nicht eindeutiges Ergebnis an und muss durch einen weiteren invasiven Eingriff ergänzt werden. Diese Gefahr ist bei der Amniozentese geringer.
Außerdem kann der Arzt bei einer Amniozentese auch das Alpha-Fetoprotein im Fruchtwasser bestimmen. Dessen Konzentration gibt Hinweise auf bestimmte Entwicklungsstörungen wie einen Neuralrohrdefekt. Allerdings können diese Erkrankungen meist bereits durch einen hochauflösenden Feinultraschall erkannt werden.
Auf jeden Fall sollte der Facharzt die Eltern ausführlich über das Für und Wider der Untersuchungen beraten.
Wie führt der Arzt die Chorionzottenbiopsie durch?
Der Eingriff erfolgt in der Regel ambulant. Die Patientin braucht nicht nüchtern zu sein. Der Arzt verwendet für den Eingriff eine Punktionsnadel. Diese führt er nach einer örtlichen Betäubung der Bauchdecke unter Ultraschallkontrolle in das Chorion ein. Dabei wird im Unterschied zur Amniozentese die Fruchtblase nicht tangiert. Die Lage der Nadel wird kontinuierlich mittels Ultraschall kontrolliert. Je nachdem, an welcher Stelle der Gebärmutter das Chorion angewachsen ist, kann diese Methode einfach bis unmöglich sein.
Nach der Untersuchung kann die Patientin nach kurzer Zeit die Praxis wieder verlassen. In den nächsten Tagen sollte sie schwere körperliche Belastungen vermeiden. Wenn Schmerzen auftreten oder Blut oder Fruchtwasser abgehen, sollte sie sich unverzüglich an ihren Arzt wenden.
Welche Gefahren birgt die Chorionzottenbiopsie?
Ungefähr jede zweihundertste Chorionzottenbiopsie löst eine Fehlgeburt aus. Andere mögliche Folgen sind ein vorübergehender Abgang von Fruchtwasser oder Blutungen. Diese können die Ärzte in aller Regel gut in den Griff bekommen. Sehr selten treten Verletzungen von benachbarten Organen wie Blase oder Darm auf. Ein weiteres Risiko jedes invasiven Eingriffes ist die Verursachung einer Infektion. Dieser Gefahr beugt der Untersucher so gut wie möglich vor, indem er sterile Arbeitsmaterialien verwendet und die Regeln der Hygiene beachtet.
Beratende Expertin: Dr. med. Mareike Pöllmann, Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe. Praxis für Pränatale Diagnostik München, Qualifikation Pränataldiagnostik / gynäkologische Sonographie (Degum II). Bis 2010 Oberärztin in der Universitätsfrauenklinik Düsseldorf, zuvor in der 1. Frauenklink der LMU München.
Wichtiger Hinweis: Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder –behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen. Die Beantwortung individueller Fragen durch unsere Experten ist leider nicht möglich.