Was bekommt das Ungeborene alles mit?
Geschützt schwimmt der Fötus in der Fruchtblase, versorgt über die Nabelschnur, behütet und abgeschirmt von Einflüssen von außen. Was kann ihm hier schon groß passieren?
Offenbar eine ganze Menge. Der Lebensstil der Mutter wirkt sich erheblich auf die Zukunft des ungeborenen Kindes aus. Ob es Umweltgiften ausgesetzt war, welche Lebensereignisse der Mutter während der Schwangerschaft widerfahren sind – all das hinterlässt seine Spuren in Leib und Seele des Kindes. Krebs, Diabetes, Depressionen, Herzinfarkt: Das Fundament vieler Leiden wird bereits im Mutterleib gelegt. "Diese sogenannte pränatale Programmierung bestimmt später die gesamte Lebensspanne", sagt Forscher und Geburtsmediziner Holger Stepan aus Leipzig.
Gewicht der Mutter hat großen Einfluss auf das Kind
Beispiel Gewicht: In den vergangenen Jahren zeigten viele Studien, dass es einen großen Einfluss auf das Kind hat, wie viel die Mutter vor und während der Schwangerschaft wog. Kinder von sehr übergewichtigen Frauen mit einem Body-Mass-Index (BMI) von mehr als 30 laufen Gefahr, später selbst dick zu werden. Das Gleiche gilt für Kinder von Müttern, die unter Schwangerschaftsdiabetes leiden. Durch die gestörte Insulinproduktion der Mutter wird das Ungeborene quasi mit zu viel Zucker überschwemmt. Die Bauchspeicheldrüse des Kindes muss folglich mehr Insulin bilden, um den hohen Blutzuckerspiegel zu bewältigen. Das wiederum regt das Wachstum des Fettgewebes an. "Ein pränataler Jojo-Effekt", sagt Stepan dazu.
Baby profitiert von gesunder Ernährung
Offenbar beeinflusst die Ernährung der Mutter sogar, wie leistungsfähig der Nachwuchs später sein wird. Das zeigte eine Studie des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung in Potsdam-Rehbrücke. Forscher fütterten einen Teil ihrer Versuchsmäuse mit fettreicher Nahrung, die anderen Nager erhielten fettarmes Futter. Das Ergebnis: Die Nachkommen der fettreich ernährten Mütter waren später bei einem Ausdauertest nur halb so fit wie die anderen. Die Leistungsschwäche, so die Erklärung, hinge vermutlich mit Störungen des Fett- und Zuckerstoffwechsels zusammen.
Dick werden nicht nur die Kinder von schwergewichtigen Müttern. Auch solche, die zu klein auf die Welt kommen, weil sie etwa über die Plazenta nicht optimal versorgt wurden, tragen ein größeres Risiko für Adipositas und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. So ergab eine britische Studie, dass Kinder mit einem Geburtsgewicht von weniger als 2500 Gramm im späteren Leben häufiger unter Bluthochdruck leiden. Eine mögliche Erklärung: Schädigungen an der Niere, die durch die Mangelversorgung im Mutterleib entstanden sind.
Ärzte können Risiken gegensteuern
Die gute Nachricht: "Die fetale Programmierung lässt sich zum Teil abwenden", sagt Stepan. Er rät allen sehr übergewichtigen Müttern, schon vor der Schwangerschaft abzunehmen. "Leichtes Übergewicht ist dagegen kein Problem", so der Forscher. Bei einem Schwangerschaftsdiabetes ist es wichtig, gute Blutzuckerwerte zu erreichen – dann wirkt er sich auch nicht auf das Kind aus. Leicht geborene Kinder wurden früher möglichst schnell hochgepäppelt. Davon raten Ärzte wie Stepan heute ab: "Wir wissen inzwischen, dass das kontraproduktiv ist, weil der Körper sich an eine viel zu hohe Kalorienaufnahme gewöhnt."
Stress und Schadstoffe sind schädlich fürs Kind
Was Forscher heute auch wissen: Schon Ungeborene sind kleine Seelchen. Sie speichern ab, wenn es ihrer Mutter nicht gut geht, diese zum Beispiel etwas Belastendes erlebt, unter zu viel Stress leidet oder psychisch krank ist. "Wie es der Mutter geht, spielt eine wichtige Rolle für die spätere Stressregulation des Kindes", sagt Dr. Margarete Bolten von der kinder- und jugendpsychiatrischen Klinik der Universität Basel. Will heißen: Ist die Mutter gestresst, führt das dazu, dass das Kind später eher unruhig und weinerlich reagiert, häufiger schreit und schlechter schläft als andere Kinder. Messbar schütten diese Kinder mehr Stresshormone aus als andere – ein Effekt, der lebenslang anhalten und später zu psychischen Problemen, etwa Depressionen, führen kann.
"Alkohol, Nikotin und andere Drogen wirkten sich ähnlich aus", erklärt Margarete Bolten. Studien zeigen aber auch: Die vorgeburtlichen Erfahrungen lassen sich im späteren Leben abmildern. Geht eine Mutter beispielsweise feinfühlig auf die Bedürfnisse ihres neugeborenen Kindes ein, dann lernt es mit der Zeit auch, seine Gefühle besser zu kontrollieren. Auch wenn sich viel im Mutterleib entscheidet: "Die Prägung nach der Geburt ist mindestens so nachhaltig wie während der Schwangerschaft", sagt die Expertin.