Cybermobbing: Was hilft betroffenen Jugendlichen?

Durchschnittlich 241 Minuten pro Tag verbrachten Jugendliche 2021 online.
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Unterhaltungen mit Freunden, Online-Spiele oder sogar der Unterricht: Das Leben von Kindern und Jugendlichen spielt sich zunehmend im Internet ab. Das hat viele Vorteile, kann aber auch Risiken bergen. 1,8 Millionen Schülerinnen und Schüler in Deutschland geben an, dass sie mindestens einmal online gemobbt worden sind[1]. Das heißt, dass im Schnitt in jeder Schulklasse mindestens ein Kind sitzt, das Cybermobbing erfährt. Die Auswirkungen auf die psychische Gesundheit können die Opfer bis ins Erwachsenenalter begleiten[2].
Kinder nutzen das Internet früh und lange
Gezieltes Beleidigen, Ausgrenzen und Bloßstellen, das alles fällt unter Mobbing – online, aber auch in der analogen Welt. „Kinder und Jugendliche trennen nicht mehr so stark zwischen den Welten, das überlappt sich“, sagt Ruth Wendt, Professorin am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Der Ort spielt eine untergeordnete Rolle. „Wer auf dem Schulhof gemobbt wird, wird häufig auch online gemobbt – und umgekehrt“, sagt Wendt. Der Unterschied sei aber, dass sich die Opfer von Mobbing im Internet noch schwerer der Situation entziehen könnten. Auf dem Handy, Tablet oder Computer sind sie potentiell rund um die Uhr erreichbar und daher nicht einmal zuhause vor Beschimpfungen oder Verleumdungen geschützt.
Kinder und Jugendliche starten immer früher ihr virtuelles Leben. Mehr als die Hälfte der Sechs- bis Dreizehnjährigen besitzt ein eigenes Smartphone[3]. Ab zwölf Jahren sind nahezu alle Jungs und Mädchen in Deutschland im Internet unterwegs. Im Jahr 2021 lag die Dauer, die Jugendliche online verbrachten bei durchschnittlich 241 Minuten pro Tag[4].
Es hilft, wenn Lehrer:innen eingreifen
Zwar gibt es Fälle, in denen schon Grundschüler schikaniert worden sind, doch in der Regel sind Jugendliche zwischen elf und 15 Jahren am stärksten von Mobbing betroffen. „Das ist die Zeit, in der die soziale Gruppe wichtiger wird“, sagt Saskia Fischer. Die Psychologin von der BTU Cottbus-Senftenberg beschäftigt sich vor allem mit Mobbing an Schulen und unterstützt Lehrpersonal mit Handlungsstrategien. Lehrinnen und Lehrer sieht sie nämlich in der Pflicht, wenn es darum geht, einzugreifen. „Entgegen mancher Vorstellungen wird das Mobbing in den meisten Fällen nicht stärker, nachdem Lehrkräfte eingegriffen haben“, sagt sie. Positioniere sich eine Lehrperson klar gegen Gewalt sei das für das Opfer, aber auch für den Rest der Gruppe ein wichtiges Zeichen. Dies gelte auch, wenn die Ausgrenzung einer Schülerin oder eines Schülers abseits des Schulgeländes, zum Beispiel in einem Klassenchat, stattfinde. „Da sollten Eltern nicht zögern, die Daten durch Screenshots sichern und die Schule mit ins Boot holen“, rät Fischer.
Eltern sollten auf Vertrauen setzen statt auf Verbote
Das sei allerdings keine Einladung an die Eltern, das Online-Verhalten ihrer Kinder streng zu kontrollieren oder das Internet komplett abzuschalten. „Man darf sich Plattformen zeigen oder erklären lassen, aber am Ende sind Eltern darauf angewiesen, dass die Beziehung zum Kind so gut ist, dass es bei einem Problem auf sie zukommt“, sagt die Psychologin. Die Fähigkeit, auch online mit Herausforderungen umzugehen, lernten Kinder und Jugendliche schließlich nur, wenn sie auch in digitalen Räumen unterwegs seien.
Medienforscherin Ruth Wendt sieht das ähnlich: „Ein komplettes Smartphone-Verbot im Jugendalter halte ich für nicht sinnvoll, weil so die Teilhabe stark eingeschränkt wird, die auch für die soziale Entwicklung extrem relevant ist“, sagt sie. Das Internet biete ja nicht nur das Risiko, Opfer von Mobbing zu werden, sondern Jugendliche hätten dort auch die Chance, sich auszuprobieren. Heranwachsende sollten daher lernen, Medieninhalte kritisch zu hinterfragen und auch im Internet einem moralischen Kompass folgen. „Damit sind Dinge gemeint, die wir auch aus der Offline-Welt kennen: Wie gehe ich mit anderen Menschen um? Zeige ich Mitgefühl und beleidige ich nicht einfach Jemanden, weil mir seine Meinung nicht gefällt? Schreite ich auch einmal ein und stehe Jemandem bei, auch wenn ich nicht direkt beteiligt bin?“, sagt Wendt.
Das ist gar nicht so leicht, weil es in Chats und Apps zuweilen sehr schnell zugeht. Ein Daumen für eine zugespitzte Aussage, ein lachender Smiley über ein neues Gerücht: Mit Gefühlen kann im Internet viel Reichweite erzielt werden. Soziale Netzwerke zeigen Beiträge, über die heftig diskutiert wird, mehr Nutzern an als jene mit wenig Interaktion. Die Zahl der Likes beeinflusst wiederum das Belohnungszentrum im Gehirn. Wer Zustimmung bekommt, fühlt sich besser[5].
Bewusstsein für die Folgen eines Kommentars entwickeln
All diese Mechanismen zu durchdringen fällt schon Erwachsenen schwer. Doch gerade Jugendliche sind sich oft nicht bewusst, was eine einzige Nachricht anrichten kann. Die kann sich nämlich leicht verselbständigen und eine breite Öffentlichkeit erreichen. Selbst wenn kurze Zeit später Reue einsetzt, ist es meist zu spät, um einzugreifen. „Hat ein Post plötzlich 100 Likes, vermittelt das dem Opfer ein ganz anderes Bild, als wenn man sich gegenübersteht und noch drei Andere bei einer blöden Bemerkung zustimmend nicken“, sagt Medienforscherin Wendt. Das kann massive Auswirkungen auf das Wohlbefinden der Opfer haben [6]– ihre Leistungsfähigkeit sinkt unter Umständen, sie bekommen eventuell schlechtere Noten oder auch mentale Probleme. Noch im Erwachsenenalter kann die psychische Gesundheit von Menschen, die früher einmal gemobbt worden sind, leiden. Sie haben häufiger Probleme im Job, bei der Partnersuche. Und ihnen fällt es schwerer, Freundschaften aufrecht zu halten[7].
Das alles kann ein Ohnmachtsgefühl bei den Beteiligten auslösen. Doch auch wenn Eltern mitbekommen, dass ihr Kind andere mobbt, sollten sie zunächst das Gespräch suchen, rät Medienforscherin Wendt. „Es ist zwar keine Entschuldigung, aber wir wissen, dass viele Täter und Täterinnen im Internet selbst schon Opfer von Mobbing geworden sind“, sagt sie.
Ein positives Miteinander schützt vor Mobbing
Zwar greifen Jungs online laut Wendt mehr auf Beleidigungen zurück und Mädchen sind diejenigen, die eher Gerüchte verbreiten. Den typischen Mobber oder die typische Mobberin gibt es aber nicht. „Häufig sind es Menschen, die das Gefühl haben, sie müssten ihren sozialen Status verteidigen“, sagt Psychologin Saskia Fischer. Manchmal seien das Jugendliche, die ziemlich beliebt seien und Unterstützer hätten. 19 Prozent der bei einer Krankenkassen-Studie befragten Jugendlichen berichten, dass sie bei einer Attacke keine Hilfe erhalten hätten[8]. Deshalb gilt es in Gruppen – auch im Internet – ein gutes Miteinander zu etablieren. „Mobbing funktioniert nämlich nicht, wenn es keinen gibt, der das witzig findet“, sagt Fischer.
Quellen:
- [1] Bündnis gegen Cybermobbing: Cyberlife IV, Cybermobbing bei Schülerinnen und Schülern. Online: https://www.buendnis-gegen-cybermobbing.de/... (Abgerufen am 13.01.2023)
- [2] Georges Steffgen & Matthias Böhmer : Cybermobbing und die gesundheitlichen Folgen für Kinder und Jugendliche. Wohlbefinden und Gesundheit im Jugendalter: https://link.springer.com/... (Abgerufen am 13.01.2023)
- [3] Egmont Ehapa Media, Gruner + Jahr Deutschland, SUPER RTL, EDEKA Media und Panini Verlag: Kinder Medien Monitor 2022. https://kinder-medien-monitor.de/... (Abgerufen am 13.01.2023)
- [4] Medienpädagogischer Forschungsverband Südwest: JIM-Studie 2021. https://www.mpfs.de/... (Abgerufen am 13.01.2023)
- [5] D. Guna Graciyal & Deepa Viswam: Social Media and Emotional Well-being: Pursuit of Happiness or Pleasure. Deepa Viswam: https://journals.sagepub.com/... (Abgerufen am 13.01.2023)
- [6] Saskia M. Fischer, Nancy John, Wolfgang Melzer, Anne Kaman, Kristina Winter, Ludwig Bilz: Mobbing und Cybermobbing bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland – Querschnittergebnisse der HBSC-Studie 2017/18 und Trends. Journal of Health Monitoring: https://www.rki.de/... (Abgerufen am 13.01.2023)
- [7] European Society for Child and Adolescent Psychiatry: Die Langzeitfolgen von Bullying, Dieter Wolke: „Wichtige Entwicklungseinflüsse wurden übergangen“. https://www.escap.eu/... (Abgerufen am 13.01.2023)
- [8] SINUS-Institut: Ergebnisse einer Repräsentativ-Umfrage unter Jugendlichen 2022/2023, Eine SINUS-Studie im Auftrag der BARMER. https://www.sinus-institut.de/... (Abgerufen am 13.01.2023)
- [9] Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Das Erste und ZDF, sowie AOK – Die Gesundheitskasse: Umgang mit Cybermobbing – Elternwissen kompakt. SCHAU HIN!: https://www.schau-hin.info/... (Abgerufen am 13.01.2023)
- [10] Bündnis gegen Cybermobbing: Gefangen im Netz, Erste Hilfe Anleitung für Eltern. https://www.buendnis-gegen-cybermobbing.de/... (Abgerufen am 13.01.2023)
- [11] Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Das Erste und ZDF, sowie der AOK – Die Gesundheitskasse: WhatsApp-Gruppenchats: Was es für Eltern zu beachten gilt. SCHAU HIN!: https://www.schau-hin.info/... (Abgerufen am 13.01.2023)
- [12] Zentrum Bayern Familie und Soziales: Sexting. Bayerischer Erziehungsratgeber: https://www.baer.bayern.de/... (Abgerufen am 13.01.2023)