Wie lange darf mein Kind fernsehen oder Videos gucken?
Die Regel ist einfach: Kleinkinder sollen nicht fernsehen, raten Medienpädagogen unisono. Sie können die Eindrücke auf der Mattscheibe noch nicht verarbeiten. Dafür müssen sie zunächst die reale Umwelt mit allen Sinnen begreifen: tasten, fühlen, schmecken, sehen, riechen.
Setzen Eltern ihre Kleinkinder vor den Fernseher, überfordert dies das kleine Gehirn mit einem Gewitter an audiovisuellen Reizen. Erst wenn Kinder wissen, wie die Welt, in der sie leben, funktioniert, was echt ist und was nicht, ist Fernsehen in Maßen gute Unterhaltung.
Was gilt für Videos auf Tablets und Smartphones?
Also alles ganz einfach? Von wegen! Denn bei Tablets, Smartphones und Co. verschwimmen die Grenzen: Schon neun Monate alte Babys sehen private Videos auf Mamas iPhone und Papas Android, zwei Jahre alte Knirpse tanzen zum Pippi-Langstrumpf-Song auf youtube. Für Eltern stellt sich damit die Frage, wo Fernsehen eigentlich anfängt und wie man Kinder in unserer WLAN-Welt zu kompetenten Mediennutzern erzieht.
Private Handyfilme für die Kleinsten?
Michael Gurt arbeitet am JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis in München und ist verantwortlicher Redakteur von "Flimmo – Programmberatung für Eltern". "Das Medium", sagt er, "ist nicht entscheidend." Ob Plasma-Bildschirm, Laptop oder Handy – Dauerberieselung schadet der Entwicklung.
Was aber ist mit privaten Handyfilmen, auf denen der Knirps allein oder mit den Eltern zu sehen ist, etwa beim Schaukeln im Park, beim Spielen zu Hause oder bei seinen ersten Schritten? Diese hält der Medienpädagoge auch bei Babys ab neun Monaten für unproblematisch – wenn die Filme kurz sind, nicht ständig wiederholt und nicht täglich gezeigt werden. "Babys und Kleinkinder finden es faszinierend, ihre Stimme und ihr Gesicht in einem Film zu hören und zu sehen. Genauso wie sie von ihrem eigenen Spiegelbild fasziniert sind."
Im Netz: Youtube meiden, ausgewählte Kinderseiten sind besser
Schwieriger ist es mit der Videoplattform youtube, allerdings nicht so sehr der Filmchen wegen. Gegen den Pippi-Langstrumpf-Song auf dem Tablet ist für Zweijährige im Prinzip nichts einzuwenden. Auch "Piggeldy und Frederick", die zwei Schweinchen aus dem "Sandmännchen", dürften sie ab und zu mal ansehen. Wäre da nicht die Konsequenz: Auf youtube werden automatisch weitere Clips vorgeschlagen. Eine Verführung, mit der Kleinkinder nicht umgehen können. Warum bitte dürfen sie jetzt nicht weiterschauen?
Eine weitere Gefahr: Unter den Empfehlungen können auch Videos mit verstörenden Fotos sein, etwa Horror-Clips. Bilder, die sich in das Gedächtnis der Kleinsten einbrennen. Besser also die Seite wechseln, beispielsweise zu www.sandmann.de. Der Vorteil bleibt erhalten: Die Filme sind jederzeit verfügbar und müssen nicht zu einer festgelegten Zeit gesehen werden – die vielleicht so gar nicht zum trubeligen Familienleben passt.
Eltern müssen den Kleinen aber klarmachen, dass sie nicht selbstständig herumklicken oder etwas herunterladen dürfen. Wichtig auch hier: altersgerechte Spiele und Apps auswählen. Informationen dazu, aber auch zu Sicherheitseinstellungen und Communitys sowie Suchmaschinen für Kinder finden Eltern zum Beispiel unter www.schau-hin.info, einem Angebot des Bundesfamilienministeriums, das unter anderem in Kooperation mit den beiden öffentlich-rechtlichen Sendern Das Erste und ZDF erstellt wird.
Mediennutzung: Eltern sind Vorbilder
Stellt sich die Frage: Wie können moderne Regeln aussehen, um Kinder zu kompetenten Mediennutzern zu erziehen? "Das Wichtigste sind medienkompetente Eltern", sagt die Medienwissenschaftlerin Dr. Maya Götz, die das internationale Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen leitet.
Denn Eltern sind die Vorbilder, an denen sich die Kleinen orientieren. "Kinder von Zappern zappen selbst, sie kennen es nicht anders", erklärt die Expertin. Der erste Schritt zu kindlicher Medienkompetenz ist deshalb, den eigenen Umgang mit Medien zu hinterfragen: Lieber Sendungen bewusst aussuchen statt Abend für Abend den Fernseher laufen lassen, egal was auf der Mattscheibe flackert. Eine medienfreie Familienzeit festlegen, in der keine E-Mails auf dem Smartphone gecheckt und keine Anrufe entgegengenommen werden.
Ein guter Zeitpunkt dafür ist zum Beispiel, wenn das Kind gerade aus der Krippe, dem Kindergarten oder der Schule kommt und während des gemeinsamen Essens. Darüber hinaus gelten zwei Regeln: begrenzen und auswählen.
Wie lange dürfen Kinder fernsehen oder Videos gucken?
Vorschulkinder sollten nicht länger als 20 bis 30 Minuten am Tag fernsehen, Grundschulkinder maximal 45 Minuten. Letztere dürfen auch schon Kinderfilme anschauen, die manchmal länger dauern, allerdings nicht täglich.
Michael Gurt rät Eltern, sich von der täglichen Fernseh-Dosis zu verabschieden. "Medien sollen Spaß machen und nicht den Tag strukturieren", erklärt der Medienpädagoge. Deshalb ruhig an manchen Tagen ganz pausieren, an einem anderen mal eine DVD ansehen. Das steigert auch die Vorfreude: Die bewegten Geschichten bleiben etwas Besonderes, die Kinder schielen nicht ständig auf die Uhr oder unterbrechen das Spiel mit Freunden für eine Sendung.
Sinnvolle Sendungen auswählen
Gezielt ausgewählte Sendungen können die Entwicklung von Kindern unterstützen. Wissenssendungen beispielsweise spielen mit der kindlichen Neugier. Altersgerechte Geschichten wie die "Sendung mit der Maus", "Shaun, das Schaf" oder "Pettersson und Findus" liefern Anregungen, um mit Kindern über Werte und selbst Erlebtes (etwa im Kindergarten oder bei Freunden) zu sprechen.
Eine Entscheidungshilfe bietet www.flimmo.de. Medienexperten bewerten hier das aktuelle und für Kinder relevante Programm. "Für den Anfang empfehle ich die öffentlich-rechtlichen Programme, da die Kleinen nicht mit Werbung konfrontiert werden", sagt Götz. Erst ab dem Grundschulalter begreifen Kinder den Mechanismus von Werbung. Und selbst dann unterliegen sie noch deren Faszination. "Sensibilisieren Sie Ihr Kind dafür, indem Sie ihm immer wieder zeigen, wie sich die Botschaft von Werbung entschlüsseln lässt und wie manipulativ sie ist", so die Medienpädagogin.
Machen Sie Ihren Kindern Angebote, und lassen Sie diese dann selbst entscheiden, was sie davon sehen möchten. Wer selbst entscheidet, lernt Kompetenz und Verantwortung. Das gilt natürlich auch für den Umgang mit Medien.
Auch FSK-Freigaben hinterfragen
Streaming-Plattformen oder DVDs sind durchaus eine Alternative zum TV. Allerdings gilt auch hier: Nicht alles, was ab null Jahren freigegeben ist, eignet sich auch für junge Zuschauer. "Unsere Untersuchung zu den Disney Classics zeigte zum Beispiel, dass diese sehr beliebten Filme Kindern oft Angst machen. Sie sollten frühestens mit sechs Jahren geguckt werden", sagt Götz. Denn Themen wie der Tod der Eltern bewegt Kinder sehr und wühlt sie auf. Und: 90 Minuten Film sind eine lange Zeit, unbedingt in Häppchen ansehen! Selbst wenn Eltern Sendungen gut auswählen, kann es passieren, dass Kinder Angst bekommen oder Fragen haben. Deshalb sollten Eltern unbedingt mitgucken. Und im besten Fall liegt zwischen Ausschalten und Schlafengehen ein bisschen Zeit – zum Vorlesen etwa, damit das Kind zur Ruhe kommt.
Kinder mit unterschiedlichen Interessen
Wer Kinder mit einem größeren Altersabstand oder unterschiedlichen Interessen hat, kennt das Dilemma: Wie organisiert man nun das Fernsehen? "Jedes Kind sollte zu seinem Recht kommen", sagt Maya Götz. Nacheinander gucken wäre eine Option. Eine andere: Während das Große zum Beispiel eine Sendung im Fernsehen sieht, darf das Kleine einen Videoclip am Computer oder auf dem Tablet anschauen. "Ab der dritten Klasse kann man ein Kind auch schon mal alleine gucken lassen", sagt die Expertin. Für gemeinsame Zeiten von Groß und Klein vorm Fernseher eignen sich Wissenssendungen oder Tierdokumentationen.