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Das Drama begann mit einem Klick: Die ältere Dame hatte eine persönliche Nachricht bei Facebook versehentlich auf die Pinnwand gestellt, lesbar für jedermann: "Lieschen, denk bitte dran, die Blumen zu gießen. Ich bin auf dem Weg in den Urlaub, der Schlüssel liegt hinterm Haus, unter der Mülltonne."

Rauf und runter wurden Lieschen und ihre Nachbarin von der Facebook-­ Gemeinschaft parodiert. "Wie doof kann man sein?", wurden sie öffentlich verhöhnt. Die Profilbilder der beiden älteren Frauen wurden verändert, Köpfe in Szenen montiert, bei denen Leute sich ungeschickt anstellen. Dabei saß Lieschen zum Beispiel auf einem Ast, an dem sie selbst sägte. Mit solchen sogenannten "Memes" wird oft gearbeitet, weiß Peter Sommerhalter, Leiter für Prävention beim Bündnis gegen Cybermobbing in Karlsruhe.

Die Täter bleiben meist anonym

Der 47-Jährige ist Experte für Internetgewalt und seit zwei Jahren selbst betroffen. Erst waren die Anfeindungen über soziale Netzwerke gegen ihn persönlich gerichtet. Später wurde für alle lesbar "informiert": Sommerhalter habe angeblich verbotene Bilder im Internet verbreitet, hieß es da. "Was für eine Sauerei" oder "In der Hölle sollst Du schmoren" stand in den Kommentaren, die wiederum vielfach geliked wurden. "Die Leute, die das geschrieben haben, kannte ich nicht", erzählt der Mobbing-Experte. Er hatte keine Chance, es persönlich klarzustellen.

Im festen Glauben an ihre Anonymität würden sich Menschen im Internet zu etwas hinreißen lassen, was sie sich im echten Leben nie trauen würden,weiß Dr. Catarina Katzer, Leiterin des Instituts für Cyberpsychologie und Medienethik in Köln.

Auch dass das Drangsalieren übers Handys immer und ­ jederzeit möglich sei, verändere die Qualität des Geschehens: "Smartphones werden so zu Waffen", erklärt Katzer, die von Ängsten und sogar Traumatisierungserfahrungen bei den Opfern spricht. Auch die Zahl der Suizidgefährdeten sei gestiegen: "Jeder fünfte Betroffene hegt mittlerweile solche Gedanken."

Der Arbeitsplatz als Tatort

Inzwischen werden nicht nur Jugendliche Opfer von Internet-Mobbing. Zunehmend sind Erwachsene dem Phänomen hilflos ausgesetzt. "57 Prozent der Vorfälle in Deutschland finden am Arbeitsplatz statt", berichtet Uwe ­ Leest, Vorstandsvorsitzender des Bündnisses gegen Cybermobbing. Der Verein hatte vor zwei Jahren eine Studie in Auftrag gegeben. Das Ergebnis belegt einen Anstieg der Fälle um 13,6 Prozent im Vergleich zu 2013.

Die Motive sind vielfältig: Manche Verbalattacke ist nur als Scherz gedacht, hinter anderen Kommentaren stecken persönlicher Groll oder gar Rache­ gefühle nach einer Trennung, so Katzer. Viele verletzende Worte werden im Glauben gepostet, man könne sie bei Gelegenheit schon wieder löschen. Doch auch wenn die Inhalte wieder gelöscht werden, bis dahin sind sie öffentlich – und kopierbar.

Vorsicht beim Veröffentlichen privater Informationen

Herbert Scheithauer warnt: "Es kann jeden treffen!" Der Berliner Professor für Entwicklungspsychologie und Klinische Psychologie forscht zum Thema Gewaltprävention und Cybermobbing. Ob unglückliche Urlaubsfotos im Bikini oder Kinderbilder ohne Badehose – er rät zu mehr Vorsicht beim Veröffentlichen privater Informationen. Sonst kann es zum "Blaming the victim"-Effekt kommen, den der Betroffene ungeahnt selbst verursacht. Viele Täter verstecken sich hinter Fake-Mailadressen, erklärt das Bündnis für Cybermobbing. Technisch lasse sich der Weg durchs Netz meist schwer zurückverfolgen.

Zwar will das Bundesjustizministerium "mit mehr Härte gegen Häme im Netz" vorgehen, doch die Realität sieht anders aus. "Bedrohung, üble Nachrede – all das sind bereits Straftaten nach dem Strafgesetzbuch", sagt Sommerhalter. Doch zur Verurteilung kommt es fast nie. Uwe Leest wird deutlicher: "Meinungsfreiheit wird so höher gewertet als die Würde des Menschen."

Wann soll ich mir Hilfe holen?

"Letztlich muss jeder die Grenze selbst ziehen und entscheiden, wann er sich Hilfe holt", findet Sommerhalter. Er selbst hat sich anfangs Tag und Nacht mit seinem Peiniger beschäftigt. "Das gab diesem eine Macht, die ihm nicht zustand." Heute versucht er, die Attacken zu ignorieren. Manchmal stellt er sich vor, es würde jemand mit Pfeilen auf ihn schießen: "Ich muss nicht jeden Schuss mit dem Schild abfangen. Ich kann einfach einen Schritt zur Seite gehen und die Pfeile vorbeifliegen lassen."

Lieschen und ihre Nachbarin hatten Glück: Die Kommentare hörten nach zwei Wochen von allein auf. Ihre Facebook-Profile sind inzwischen inaktiv. Heute kommunizieren sie von Angesicht zu Angesicht – ohne Mitleser.

Was Sie bei Beleidigungen in den Medien tun können

Denken Sie zweimal darüber nach, was Sie im Internet veröffentlichen.

Sicherheit: Bei manchen sozialen Netzwerken können Sie die Privatsphäre einstellen, damit Ihr Profil nicht öffentlich sichtbar ist oder in Suchmaschinen auftaucht. Vorsicht: Kontaktpersonen von Ihnen können Inhalte kopieren und weiterleiten. Werden Sie Opfer von Cybermobbing, reagieren Sie sachlich, setzen Sie Grenzen. Kontern Sie nicht mit schwerem Geschütz wie "schau doch selbst mal, was du so postest". Das befeuert die Sache bloß.

Sie werden mit Daten erpresst? Weihen Sie Dritte ein. Stellen Sie klar: Ich bin Opfer einer Straftat! 

Wird die Belastung zu groß, kann eine Pause oder auch der Ausstieg aus den sozialen Medien helfen.

Dokumentieren Sie zuerst genau, was wann passiert ist, bevor Sie die Polizei einschalten.

Opfer können sich neben der Polizei an das Bündnis gegen Cybermobbing wenden. Auch die Mobbing-Beratung Berlin-Brandenburg berät bundesweit bei Mobbing am Arbeitsplatz, in Ausbildung und Studium: https://mobbingberatung-bb.de/

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