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Wenn Eltern mit ihrem kranken Kind zu Hautärztin Dr. Reem Alneebari kommen, kann sie ihren kleinen Patienten oft schon nicht mehr helfen. "Der Neurodermitis-Schub ist nach ein paar Tagen vorbei, und bis die Kinder hier in der Praxis sind, sieht ihre Haut bereits wieder gesund aus", erzählt die Berliner Dermatologin. Für die Familien sei das oft unbefriedigend – und für sie selbst auch. "Das wollte ich gerne ändern", sagt Reem Alneebari. Mit einem Team der Charité Berlin und zwei Unternehmern entwickelte sie die App Nia.

Mit KI Muster erkennen

"Sie soll Neurodermitis-Patienten täglich begleiten und Eltern helfen, die Auslöser von Schüben zu erkennen, um sie sofort bestmöglich zu behandeln", sagt die Hautärztin. Die erhobenen Daten werden mittels künstlicher Intelligenz aufbereitet, um den Patienten und den Arzt zu unterstützen. "Tagebuchfunktionen haben viele Apps, aber die Verbindung mit künstlicher Intelligenz ist innovativ", sagt Nia Health Co-Gründer Tobias Seidl.

Als künstliche Intelligenz (KI) versteht die Forschung eine Reihe von Technologien, die komplexe Muster in großen Datenmenge erkennen und dadurch neue Erkenntnisse liefern. Bei der Neurodermitis-App funktioniert dies so: Die App wird zurzeit mit Tausenden Bildern von entzündeten, schuppenden, trockenen, gesunden Hautstellen bestückt sowie mit den Leitlinien und Empfehlungen der Arbeitsgemeinschaft Neurodermitisschulung (AGNES), die einen bewährten Standard bei Neurodermitis bilden.

Wenn Eltern nun im Tagebuch ein Foto der geröteten Haut ihres Kindes hinterlegen und weitere Informationen eingeben (zum Beispiel, was es gegessen hat, wie es den Tag verbracht hat, wie das Wetter ist), wird die App Vergleiche zu ähnlichen Fällen erstellen und somit einem Arzt oder einer Ärztin ermöglichen, eine zielgerichtetere Behandlungsempfehlung zu geben.

Zugleich handelt es sich um ein lernendes System: "Je mehr Daten man eingibt, umso besser kann die App helfen, weil sie die persönliche Krankheitsgeschichte einbezieht", so Seidl. Die gesammelten Daten stehen den Nutzenden, also etwa auch dem Behandelnden, zur Verfügung. "Das hilft mir in der Praxis enorm, um die beste Therapie für das Kind zu empfehlen", sagt Alneebari.

Mit KI Daten sortieren und bewerten

Auch Kinderkrebsspezialistin Professor Dr. Angelika Eggert von der Charité in Berlin setzt zunehmend auf künstliche Intelligenz. "Wir können mittlerweile die Oberflächen von Tumorzellen, das Erbgut und viele Proteine charakterisieren – und so die bestmögliche Therapie für jeden einzelnen Patienten finden", erklärt sie. Allerdings: Bei der Analyse fallen riesige Datenmengen an, zu viele, um sie ohne technische Unterstützung auszuwerten. Mit künstlicher Intelligenz können die Daten sortiert und bewertet werden.

Ebenso hilft KI Tumorbilder, die durch Magnetresonanztherapie (MRT) oder Computertomografie (CT) entstehen, zu analysieren. "Das ist oft schneller und zuverlässiger, als wenn ein Mensch die Bilder prüfen würde. Man kann bessere Prognosen geben, da man dank der Daten einschätzen kann, wie die Erkrankung auf die Therapie an- spricht", sagt Eggert. Künstliche Intelligenz macht es auch einfacher, seltene Krankheiten zu diagnostizieren. "In dem Bereich kann KI einen echten Mehrwert leisten.

Mit KI Wissen vernetzen

Es gibt Hunderte Erkrankungen, die weltweit so wenige Personen betreffen, dass ein einzelner Arzt, wenn überhaupt, meistens nur einmal in seinem Berufsleben einen solchen Patienten sieht", erklärt Prof. Dr. Peter Krawitz, Leiter des Instituts für Genomische Statistik und Bioinformatik des Universitätsklinikums Bonn. Damit Mediziner solche Krankheiten erkennen können, brauche es "eine weltweite Vernetzung des Wissens", so Krawitz.

In einer Studie an 679 Patienten mit 105 verschiedenen seltenen Krankheiten zeigten der Forscher und sein internationales Team, dass mit künstlicher Intelligenz die Diagnosen effizienter, sicherer – und früher erfolgten. Für betroffene Familien ein Segen. "Aktuell durchlaufen viele Familien eine diagnostische Odyssee, bei der es bis zur Diagnosestellung acht Jahre dauern kann. Dadurch geht wertvolle Zeit verloren", sagt Krawitz. "Je schneller mit der Behandlung begonnen wird, desto geringer ausgeprägt sind die Schädigungen."

Die Grenzen der digitalen Helfer

Damit die digitalen Assistenten effektiv arbeiten können, müssen sie mit vielen Daten gefüttert werden. Die Wissenschaftler um Krawitz trainierten das Computerprogramm Face2Gene mit rund 30 000 Bildern. Auch die Neurodermitis-App kann nur gute Ergebnisse liefern, wenn sie regelmäßig mit entsprechenden Daten beliefert wird.

Aber die KI hat auch Grenzen: "Künstliche Intelligenz kann uns unterstützen, aber nicht ersetzen", ist Alneebari überzeugt. Auch Onkologin Eggert meint: "In die Bewertung der Daten und die Entscheidung für eine Therapie spielen sehr viele Dinge mit hinein, die auf zwischenmenschlicher Ebene passieren, und das wird auch so bleiben. Die biologische Intelligenz ist höher als die künstliche."

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