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Roboter, die Medikamente an die Stationen liefern oder Labore, die Urin- und Blutproben vollautomatisch analysieren – was nach Science-Fiction klingt, ist in einigen Kliniken in Deutschland zumindest teilweise bereits Realität. Doch ein digitales Krankenhaus bietet mehr als den Einsatz von Robotern. Smart Hospital, so der englische Begriff für das digital vernetzte Krankenhaus, bedeutet, dass viele Prozesse von der Verwaltung bis zur Patientenversorgung digital unterstützt ablaufen. Computer werden da eingesetzt, wo sie einen Mehrwert bringen. Das soll dem Personal Zeit und der Klinik Geld sparen – und nicht zuletzt die Versorgung der Kranken verbessern.

Wie das digitale Krankenhaus der Zukunft funktionieren kann, zeigt das Beispiel des Uniklinikums Essen. Seit 2015 befindet sich die Einrichtung im Umbauprozess zum Smart Hospital.

Die elektronische Patientenakte speichert alle medizinischen Daten

Kernstück ist die elektronische Patientenakte. Sie wird für jede Patientin und jeden Patienten bei der Aufnahme ins Krankhaus angelegt und während des Aufenthaltes weiter befüllt. In die elektronische Patientenakte kommen zum Beispiel die Krankengeschichte, Laborwerte, radiologische Aufnahmen, Diagnosen, verabreichte Arzneimittel, Operationsberichte oder Berichte von Behandlungen. Diese Daten werden zentral gespeichert. Das ärztliche Team, Pflegekräfte und die Therapieabteilungen des Krankenhauses können jederzeit auf diese Informationen zugreifen. Papierakten, die man zum Beispiel zur Untersuchung mitnimmt, sind damit ebenso Geschichte wie unleserliche handschriftliche Verordnungen im Medikamentenplan. Die elektronische Patientenakte hilft also auch, Fehler zu vermeiden, und bringt mehr Sicherheit für Patientinnen und Patienten.

Wichtige medizinische Informationen können mitunter bereits vor der Patientenaufnahme auf elektronischem Weg ins Krankhaus geschickt werden. „Die Feuerwehr in Essen hat eine spezielle App, mit der sie bereits aus dem Rettungswagen heraus Daten von Schlaganfallpatienten an die Notaufnahme schicken kann“, erklärt Dr. Anke Diehl, Chief Transformation Officer und Leiterin der Stabsstelle Digitale Transformation an der Universitätsmedizin Essen. Das hat einen entscheidenden Vorteil: Wenn die Kranken ankommen, können sie sofort gezielt versorgt werden.

Die digitale Notaufnahme behält die Wartenden im Blick

In der Notaufnahme des Smart Hospitals erfolgt ein durchgängiger elektronischer Aufnahme- und Betreuungsprozess. „Das System zeigt nicht nur die erfolgte Ersteinschätzung, also ob es sich um einen extremen Notfall handelt, der sofort behandelt werden muss oder nicht, sondern registriert auch, wer bereits wie lange wartet“, so Diehl. „Dass man 24 Stunden später noch jemanden entdeckt, der vergessen wurde, passiert damit nicht mehr.“

Künstliche Intelligenz wertet Röntgenbilder aus

Welche Verbesserungen Digitalisierung bringen kann, zeigt sich auch an anderen Stellen, zum Beispiel in der Radiologie, also der Abteilung medizinische Bildgebung, in der unter anderem Röntgenbilder, Kernspin- und Computertomographien aufgenommen werden. Bilder und Befunde werden dort direkt digital abgespeichert und können per Knopfdruck in der Datenbank abgerufen, ausgewertet, systematisch abgelegt und weitergegeben werden. Diehl, die selbst elf Jahre in der Radiologie tätig war, weiß wovon sie spricht: „Ich war damals jeden Tag eineinhalb Stunden nur damit beschäftigt, Aufnahmen zu suchen und zu sortieren.“

Ein weiterer Pluspunkt: Künstliche Intelligenz hilft dabei, bessere Diagnosen zu stellen – auch wenn bei der Beurteilung einer Aufnahme letztlich immer Ärztinnen und Ärzte das letzte Wort haben. „Ein Algorithmus ermüdet nicht, ist sehr exakt und schnell. Damit erhält man zum Beispiel viel rascher Hinweise darauf, ob ein Tumor geschrumpft ist und eine Therapie tatsächlich angeschlagen hat“, erklärt Diehl.

Im Kliniklabor übernehmen Roboter Routinearbeiten

Im Zentrallabor wiederum kommen täglich circa 5.000 Urin-, Blut- und Liquorproben an. (Bei Liquor handelt es sich um Nervenwasser.) Die Röhrchen werden mit Hilfe von Transportbändern und Pipettier-Robotern automatisiert bearbeitet. 90 Prozent der Ergebnisse für Notfall-Anforderungen erscheinen nach spätestens 60 Minuten auf dem Bildschirm – und sind für jeden Berechtigten sofort zugänglich.

Maschine mischt personalisierte Medikamente

Ein Highlight im Essener Zentrallabor ist „Mathilde Dosenfänger“, benannt nach dem Roboter aus der Zeichentrickserie „Dr. Snuggles“. Die Maschine bereitet Medikamente zur Behandlung von Krebs zu, sogenannte Chemotherapeutika, die immer ganz individuell hergestellt werden müssen – ein normalerweise sehr aufwendiges Verfahren, das mehrere Personen und die Arbeit unter sterilen Bedingungen erfordert. „Mathilde“ macht alles vollautomatisch: Sie wiegt ab, rechnet aus, pipettiert, mischt die einzelnen Substanzen und füllt schließlich alles in Fläschchen. Mittels Barcode lassen sich die Mixturen den jeweiligen Patientinnen und Patienten zuordnen.

„Mathilde Dosenfänger“ heißt die Maschine, die am Universitätsklinikum Essen Medikamente nach individuellem Bedarf mischt. Der Prozess läuft automatisch, Menschen müssen nur die Kontrollen abnehmen.

„Mathilde Dosenfänger“ heißt die Maschine, die am Universitätsklinikum Essen Medikamente nach individuellem Bedarf mischt. Der Prozess läuft automatisch, Menschen müssen nur die Kontrollen abnehmen.

Die Infos für Ihre Arbeit erhält Mathilde von der Klinikapotheke, an die die Ärzteteams über eine Software alle wichtigen Daten übermitteln. Bevor der Roboter mit der Produktion beginnt, überprüft das pharmazeutische Personal diese nochmal. Auch die fertigen Mixturen werden noch einmal durchgecheckt. Der Vorteil: Alles ist genau dokumentiert und jeder kann per Computer die einzelnen Schritte jederzeit und von jedem Ort im Klinikum nachprüfen. Fehler werden so schnell gefunden – oder passieren erst gar nicht.

Menschen haben wieder mehr Zeit für Menschen

Und das wichtigste: Personal, das Mischroboter „Mathilde“ ersetzt hat, ist an anderer Stelle tätig. „Es gibt jetzt mehr Apotheker, die direkt auf die Stationen gehen und individuell betreuen können“, sagt Diehl. Die Digitalisierung der Klinik, richtig umgesetzt, führe ihrer Meinung nach also keineswegs zu einer Entmenschlichung der Medizin, sondern verschaffte mehr Zeit für persönliche Patientenversorgung. Und das sei entscheidend. „Denn der Behandlungserfolg hängt unter anderem wesentlich davon ab, wie das Verhältnis zwischen Personal und Patienten ist“, so Diehl.

Nicht nur in Essen versucht man die Digitalisierung zu fördern. Als Vorreiter gilt auch das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, das bereits 2011 die elektronische Patientenakte eingeführt hat. Weitere Einrichtungen in Deutschland ziehen nach.

Deutsche Krankenhäuser hinken bei der Digitalisierung hinterher

Wie es um die Digitalisierung deutscher Krankenhäuser tatsächlich bestellt ist, ermittelt aktuell das Konsortium „DigitalRadar“ im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit. Erste Ergebnisse zeigen, dass es vor allem in den Bereichen klinische Prozesse, Informationsaustausch, Telehealth und Patiententeilhabe noch Entwicklungsbedarf gibt. Laut Diehl ist aber vor allem eines problematisch: „Die Reise der Patient:innen beginnt und endet ja nicht im Krankenhaus. Das größte Manko in unserem Gesundheitssystem ist, dass interoperable Schnittstellen fehlen, um alle erhobenen Daten zentral zugänglich zu machen.“ Im Klartext heißt das: Kommen die Patient:innen nach ein paar Monaten erneut in die Klinik, muss das Personal dort alle in der Zwischenzeit erhobenen Werte und Daten von Apotheken, aus ärztliche Praxen oder Sanitätshäusern per Hand ins System eingeben.

Andere Länder sind diesbezüglich schon viel weiter, wie das Beispiel Estland zeigt, einer der Spitzenreiter in Europa für die Digitalisierung. Dort erfasst das Informationsaustauschnetzwerk ENHIS die gesamte Krankengeschichte der Bevölkerung von der Geburt bis zum Tod. 100 Prozent aller Ärzte, Fachärzte, Krankenhäuser und Apotheken sind daran angeschlossen. „Technisch wäre es sogar möglich, Informationen von Gesundheits-Apps, Digitalen Gesundheitsanwendungen oder Fitness-Trackern in diese professionell erfassten Gesundheitsdaten miteinzubetten. Mithilfe bestimmter Algorithmen könnten Patienten so zum Beispiel früh einen Hinweis darauf erhalten, dass etwas nicht in Ordnung ist“, so Diehl.

Diese Form der personalisierten Präventionsmedizin, um Krankheiten vorzubeugen oder möglichst früh zu erkennen, ist allerdings – wie vielerorts in Deutschland auch die elektronische Patientenakte – noch Zukunftsmusik.

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