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Stimmt es, dass Sie Deutschlands ältester noch aktiver Kinderstar sind?

Das wird so sein. Ich stand 1946 zum ersten Mal vor der Kamera, im zweiten Film, der überhaupt im Nachkriegsdeutschland gedreht wurde: "Irgendwo in Berlin". Da war ich elf Jahre alt.

Wie sind Sie zu Ihrer ersten Rolle gekommen?

Der Regisseur Gerhard Lamprecht sprach mich in der Straßenbahn an. Am nächsten Tag war ich zum Vorsprechen auf einem Trümmergrundstück. Wir sollten aus dem Stand irgendwas machen. Ich zog so ein Porzellanding von einem Telefonmast aus dem Schutt, tat so, als sei es ein Mikrofon, und machte eine Reportage über einen Boxkampf. So einen, wie ich ihn mir mit meinem Vater im Berliner Friedrichstadtpalast einige Tage zuvor angeschaut hatte. Das kam offenbar gut an.

Gab’s für den Film eine ordentliche Gage?

Wenn ein Pfund Butter auf dem Schwarzmarkt 800 Reichsmark kostet, ist Geld sehr relativ. Aber weil Künstler bei den Lebensmittelkarten die beste Kategorie zugestanden bekamen, konnte ich für unsere Familie zusätzliche Rationen nach Hause bringen.

Sie hatten damals einen Zweijahresvertrag bei der DEFA und spielten gleichzeitig Theater.

Ja, am Schifferbauerdamm. Mit 17 habe ich noch eine Schauspielschule besucht, die habe ich gar nicht richtig zu Ende gemacht, weil es mich nach Hamburg verschlug. Ich hatte Glück, spielte an mehreren Hamburger Theatern und wurde 1956 ans Deutsche Schauspielhaus engagiert.

Die finanzielle Sicherheit kam aber erst mit "Familie Schölermann", der ersten Familienserie im Fernsehen …

Erst dank der Schölermanns, die 1954 starteten, konnte ich meine Miete zahlen und einigermaßen leben.

Hatten Sie überhaupt einen Fernseher, um sich die Serie auch mal anzuschauen?

Nein. Meiner Mutter hatte ich damals einen geschenkt. Den ersten eigenen Fernseher hatte ich, als die Zwillinge drei Jahre alt waren, also Ende der 1960er-Jahre.

Charles war 1935 sicherlich kein gängiger Vorname?

"Wie können Sie Ihrem Sohn einen so undeutschen Namen geben?", musste sich meine Mutter in der Charité anhören. "Das müssen Sie schon mir überlassen", sagte die. Auf Charles waren meine Eltern gekommen, weil mein Vater Karl hieß und Charlie genannt wurde. Ich hatte damit nie Probleme. Nur meinen Nachnamen, Knetschke, habe ich mir in den Geburtsnamen meiner Mutter ändern lassen. Erik Ode, der später als "Der Kommissar" bekannt wurde, hatte gemeint, als Charles Knetschke hätte ich höchstens Komiker werden können. Die Änderung kostete 180 Euro, ein Drittel meiner Brutto-Gage.

Sie spielen Theater, sprechen Hörbücher ein ... Ruhestand ist wohl kein Thema für Sie?

Mir geht es gut, ich habe Spaß dabei, ich mache das freiwillig – warum sollte ich meinen Beruf nicht mehr ausüben? Wenn ich merken würde, der Kopf funktioniert nicht mehr, dann würde ich zu Hause bleiben.

Die politischen Diskussionen, wie lange man bis zur Rente arbeiten soll, müssen Ihnen fremd erscheinen …

Ja, weil die Differenzierungen fehlen. Wenn jemand Jahrzehnte auf dem Bau gearbeitet hat, warum soll er nicht ohne Abzüge früher in Rente gehen dürfen? Und warum sollte ein Kaufmann oder ein Professor nicht länger arbeiten dürfen, als er muss?

Sie machen viele Lesungen – was bedeuten Ihnen Bücher?

Sehr viel. Abgesehen von den Menschen, die mich umgeben, sind Musik und Bücher mein Leben.

Hat Ihr Elternhaus Sie entsprechend geprägt?

Bei der Musik schon – mein Vater war Schlagzeuger und spielte Tanzmusik, bis ihm die Nazis das verboten. Zur Literatur bin ich dadurch gekommen, dass ich so früh mit so vielen erwachsenen Schauspielern zu tun hatte. Und ich hatte das Glück, dass die erste wichtige Liebe in meinem Leben – sie war ein bisschen älter – unglaublich belesen war.

Ihre Gesangseinlagen mit Manfred Krug im "Tatort" haben viel Furore gemacht ...

Wenn wir beim Dreh auf unsere Einsätze warteten, trällerte Manfred irgendwas und ich pfiff. Das hörte die Fernsehspielchefin und sagte: "Warum nutzen wir das eigentlich nicht!" Und bei "Tod auf Neuwerk" gibt es die Szene, in der sich Manfred ans Klavier setzt und wir "Some-where Over The Rainbow" singen. Von da an haben wir in jeden unserer "Tatorte" so ein Anderthalb-Minuten-Stück eingebaut.

Wenn Sie in Ihrem Leben zurückreisen könnten, wohin wäre das?

Ich möchte auf keinen Fall mehr 25 sein. Auch nicht mehr 35. Aber wenn mich eine gute Fee fragen würde, könnte ich mir 45 gut vorstellen. Die Jugendzeiten waren zum Teil so anstrengend, mit ihren Irrungen und Wirrungen. Man macht ja nicht auf Anhieb alles richtig und gut, sondern auch furchtbare Fehler.

Welche Fähigkeit würden Sie gern noch erwerben?

Ich würde wahnsinnig gerne toll Klavier spielen können. Ich hatte als Kind ein bisschen Unterricht, aber dann war ich zu faul und habe aufgehört. Heute wird der Unterricht ja viel freier gestaltet, da wird die Lust am Spiel geweckt und nicht erstickt, das sehe ich bei meiner Enkelin.

1986 starb Ihre damalige Lebensgefährtin mit nur 35 Jahren an Krebs. Wie sind Sie mit diesem Schicksalsschlag umgegangen?

Das war heftig damals. Irgendwie hofft man ja, dass sich das Schicksal noch wendet. Das Herz begreift es nicht und doch: Wir müssen alle irgendwann gehen. In meinem Alter vergeht sowieso kein Tag, an dem du nicht an den Tod denkst. Du musst zusehen, dass du bewusst lebst, dir jeden Tag so reich wie möglich gestaltest. Und dich nicht grämst über Dinge, die vollkommen sinnlos sind.

Spüren Sie, dass das Alter mehr Gelassenheit mit sich bringt?

Wenn ich so sehe, was auf der Welt geschieht, regt mich das nach wie vor auf und bedrückt mich auch. Aber ich gehe sicherlich milder mit den Menschen um mich herum um.

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Zur Person:

  • Charles Brauer wurde am 3. Juli 1935 in Berlin als Charles Knetschke geboren
  • Theaterblut: Brauer gehörte 20 Jahre zum Ensemble des Hamburger Schauspielhauses und war zuletzt an den Münchner Kammerspielen verpflichtet. Mit "Familie Schölermann" und dem Hamburger "Tatort" erreichte er ein Millionen-Fernsehpublikum.
  • Dreifacher Vater: Aus zweiter Ehe mit der Schauspielerin Witta Pohl hat er eine Tochter und einen Sohn, mit seiner dritten Frau einen weiteren Sohn. Das Paar lebt in der Nähe von Basel.

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