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Welches Ziel verfolgen die Forschenden mit diesem heiklen Experiment?

Schon seit vielen Jahren experimentieren Wissenschaftler damit, tierische Organe für schwerkranke Patientinnen und Patienten nutzbar zu machen. Denn es mangelt an Ersatzorganen von menschlichen Spenderinnen und Spendern. Im Jahr 2020 standen beispielsweise über 7000 Menschen in Deutschland auf der Warteliste für eine Nierentransplantation. Doch Ärztinnen und Ärzte verpflanzten nicht einmal 2000 Nieren.

Wurden schon tierische Organe in Patientinnen oder Patienten verpflanzt?

Ja. Den ersten Erfolg damit erzielte der US-amerikanische Chirurg Dr. Keith Reemtsma in den Jahren 1963 und 1964. Er transplantierte sechs Patientinnen und Patienten Nieren von Schimpansen. Die verpflanzten Organe funktionierten. Doch alle Behandelten starben nicht lange nach dem Eingriff, beispielsweise an Infektionen. Eine Frau lebte noch neun Monate mit dem implantierten Organ.

Das Verpflanzen eines tierischen Organs in einen Menschen heißt Xenotransplantation. Eine aussichtsreiche Quelle für artfremde Organe sind Schweine. Grund: Diese Tiere lassen sich leicht züchten. Und ihre Organe haben die gleiche Größe wie menschliche und einen ähnlichen Stoffwechsel.

Wie funktionierte das aktuelle Experiment?

Das Team um Dr. Robert Montgomery von der New York University (USA) verband eine Schweineniere mit dem Blutkreislauf einer hirntoten Frau. Die Niere wurde für 54 Stunden an den Beingefäßen der Verstorbenen angeschlossen. Die Niere blieb also außerhalb ihres Körpers, damit das Team das Organ besser beobachten konnte.

Die Schweineniere nahm sofort ihre Funktion auf: Sie filterte Blut und stellen daraus Urin her. Das Organ wurde in dem beobachteten Zeitraum auch gut toleriert. Es gab also keine hyperakute Abstoßung, meldete die Pressestelle der New York University.

Die Niere stammte aus einem gentechnisch veränderten Schwein. „Durch das Ausschalten bestimmter Schweinegene wurde sie dem menschlichen Organ ähnlicher gemacht, um damit die Abstoßung durch das menschliche Immunsystem zu verhindern“, sagt Dr. Joachim Denner, Leiter der Arbeitsgruppe Virussicherheit der Xenotransplantation am Institut für Virologie der Freien Universität Berlin.

Welche generellen Probleme gibt es bei Xenotransplantationen?

Hyperakute Abstoßung: Menschen haben in ihrem Blut Antikörper gegen Oberflächen-Strukturen der Schweineniere. Wenn das Blut in Kontakt mit der Niere kommt, dann gerinnt das Blut und das Immunsystem des Menschen wird gegen die Niere aktiv. Das passiert schon in den ersten Minuten bis Stunden nach der Operation. Die Niere muss dann entfernt werden. Beim Experiment in New York gab es keine solche Abstoßungsreaktion. Das liegt möglicherweise daran, dass die Schweineniere genetisch verändert war.

Akute Abstoßung: Diese Art der Abstoßung passiert wenige Tage bis Wochen nach der Operation. Die Antikörper, die diese Reaktion auslösen, hat der Körper erst nach dem Kontakt mit der Niere gebildet. Bei dieser Art von Abstoßung spielen auch andere Immunbestandteile eine Rolle. Medikamente, die das Immunsystem unterdrücken, können die akute Abstoßung verhindern oder lindern.

Chronische Abstoßung: Sie geschieht nach Wochen bis Jahren. Dabei entzünden sich die Blutgefäße chronisch und werden enger. Dann bekommt das Organ nicht mehr genug Blut.

Bestimmte Schweineviren sind ein weiteres Problem. Es handelt sich um gezähmte Erreger, die im Erbgut der Tiere schlummern. Sie heißen porcine endogene Retroviren oder kurz PERV. Sie stellen ein Sicherheitsrisiko dar, weil sie unter bestimmten Bedingungen im menschlichen Körper aktiv werden könnten. Spezialisierte Firmen versuchen deswegen, Laborschweine zu züchten, die frei von diesen Retroviren sind.

Wie beurteilen Experten in Deutschland das aktuelle Experiment?

Spezialisten hierzulande äußern sich verhalten. 54 Stunden seien viel zu kurz, um Aussagen zur Abstoßung oder zur möglichen Übertragung von Schweineviren zu treffen, meint dazu der Virologe Denner. Aber es sei doch ein weiterer Schritt hin zu einem Einsatz an Patientinnen und Patienten.

Und Dr. Konrad Fischer, Leiter der Sektion Xenotransplantation an der Technischen Universität München, urteilt: „Für uns handelt es sich momentan nicht um einen wirklichen Durchbruch. Dazu fehlen momentan die Daten.“ Die beschriebenen Ergebnisse seien zu erwarten. Sie stehen im Einklang mit Versuchen an Affen aus den letzten Jahren.

Fischer will keine klare Stellungnahme dazu geben, weil die Ergebnisse noch nicht in einer Fachzeitschrift veröffentlicht sind. Es gebe beispielsweise keine mikroskopischen Bilder, die den Zustand der Schweineniere zeigen. So könne niemand wissen, ob das Organ nach den beobachteten 54 Stunden womöglich schon völlig zerstört gewesen sei. Man könne nicht sagen, dass die artfremde Niere ausreichend für die Frau gearbeitet hat. Denn ihre eigenen Nieren seien ja weiterhin aktiv geblieben.

Welche Forschung gibt es schon zur Xenotransplantation?

Fischer appelliert, über das Experiment in New York hinaus zu blicken: „Man sollte auf jeden Fall auf die großen Erfolge im Bereich der Xenotransplantation verweisen. Gerade in den vergangenen Jahren waren die Entwicklungen atemberaubend.“

So haben Forschende das Erbgut von Schweinen angepasst. Sie entfernten beispielsweise Gene für bestimmte Oberflächeneiweiße auf Schweineorganen, damit sie nicht mehr vom menschlichen Immunsystem abgestoßen werden. Und sie fügten Gene für menschliche Eiweiße hinzu, damit die tierischen Organe nicht mehr als artfremd erkannt werden. Weitere menschliche Gene sollen verhindern, dass das verpflanzte Organ die Blutgerinnung des Empfängers negativ beeinflusst.

Organe von maßgeschneiderten Schweinen wurden schon erfolgreich in Paviane transplantiert. „In diesen Studien konnte gezeigt werden, dass Schweinnieren fast 500 Tage funktionieren können, Schweineherzen bis zu 195 Tage“, sagt Fischer. Der Erfolg mit dem Schweineherz wurde im Dezember 2018 in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht. Das Immunsystem der Affen wurde mit Medikamenten unterdrückt, damit es die Schweineorgane nicht abstößt. Auch Menschen, die ein Organ von einer anderen Person erhalten, benötigen in der Regel solche Medikamente.

Ist die Zeit nun reif für den Einsatz an Patientinnen und Patienten?

„Wir stehen kurz vor einer klinischen Anwendung beim Menschen,“ meint dazu Experte Fischer. Führende Wissenschaftler auf dem Gebiet teilen seine Ansicht. Zum Beispiel Professor David Cooper, Leiter des Programms für Xenotransplantation an der Universität Alabama in Birmingham (USA). Er beruft sich etwa auf die genannten Verpflanzungen von Schweineorganen in Paviane und auch darauf, dass bei diesen und anderen Experimenten keine Retroviren übertragen wurden.

Cooper und sein Team geben in einem aktuellen Beitrag in der Fachzeitschrift EBioMedicine eine Empfehlung für eine Transplantation vom Schwein zum Mensch. Sie schlagen vor, zuerst vier ausgewählten Personen eine Schweineniere zu transplantieren: Patientinnen und Patienten, die wahrscheinlich zu lange auf ein Ersatzorgan warten müssten. Sie würden weiterhin auf der Warteliste für eine menschliche Niere bleiben, wären jedoch mit einer Schweineniere nicht mehr auf die Dialyse (Blutwäsche) angewiesen. Und sie könnten dann später eine menschliche Spenderniere erhalten.

Auch Experte Denner hält Nieren für besonders geeignet, um Xenotransplantationen an Menschen zu erproben. Denn wenn die Schweineniere nicht funktioniert, können Ärztinnen und Ärzte sofort wieder mit der Blutwäsche beginnen.

Wird schon Gewebe aus Schweinen in Menschen transplantiert?

Einige Gewebe vom Schwein werden schon jetzt in der Medizin genutzt. Dazu gehören zum Beispiel Herzklappen, die seit vielen Jahren defekte menschliche Herzklappen ersetzen. Personen über 65 Jahren bekommen häufig eine Schweineherzklappe, weil sie in diesem Fall nur für kurze Zeit blutverdünnende Medikamente nehmen müssen. Nachteil: So eine Klappe hält nicht so lange wie eine künstliche und muss nach einiger Zeit ausgetauscht werden.

Forscher experimentieren auch damit, die Hornhaut des Auges durch Schweinegewebe zu ersetzen. In einer chinesischen Studie haben mehrere Menschen mit Pilzinfektionen der Augen erfolgreich eine Schweinehornhaut erhalten. Sie konnten dadurch wieder sehen.