Fehlende Schweißdrüsen: Therapie im Mutterleib

Manchmal werden genetische Defekte wie die Erkrankung XLHED schon während der Schwangerschaft entdeckt. Neue Therapien sollen nun helfen, diese noch im Mutterleib zu korrigieren.
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Was ist XLHED?
Sie haben nur wenige, oft spitze Zähne, dünnes Haar, kaum Wimpern und Augenbrauen, ständig trockene Augen. Und sie können nicht schwitzen, weil die Schweißdrüsen fehlen: Menschen mit XLHED, ausgesprochen „X-linked hypohidrotic ectodermal dysplasia“. Man muss sich den Begriff nicht merken, um das Leiden zu verstehen.
Das X steht für das Chromosom, auf dem ein Genfehler sitzt. Er verursacht ein defektes Eiweiß (Protein), das bei der Entwicklung des Kindes im Mutterleib wichtig wäre. Dieser Mangel ist die häufigste Ursache fehlender Schweißdrüsen. Betroffen ist einer von etwa 30.000 Menschen. Auch Frauen bleiben nicht verschont. Obwohl sie, anders als Männer, ein zweites X-Chromosom haben. Dieses gleicht den Fehler aber nicht immer aus.
Schweiß benötigen wir, um unsere Körpertemperatur zu regulieren; verdunstet er, wirkt er kühlend. Fehlt er aber, droht immer die Gefahr einer Überwärmung des Körpers – bis hin zum Hitzschlag. Für Kinder kann das lebensgefährlich werden, wenn sie herumtollen, sich in der Sonne aufhalten oder an einem fiebrigen Infekt erkranken. Im Ernstfall bleibt den Eltern nur, den Schweiß durch Befeuchten der Haut mit lauwarmem Wasser zu ersetzen, sofern verfügbar. Und auf vieles zu verzichten, was die Temperatur hochtreiben könnte.
Warum wird jetzt darüber geredet?
Normalerweise sind die Schweißdrüsen bereits in der dreißigsten Schwangerschaftswoche ausgebildet. Folglich müsste eine Therapie bereits im Mutterleib erfolgen, dort das mangelhafte Protein durch ein korrektes ersetzt werden. Doch wie sollte es den Blutkreislauf des Fötus erreichen?
Die entscheidende Idee lieferte die Natur selbst: Mit der Muttermilch nehmen Kinder Antikörper auf, die aus dem Darm ins Blut gelangen. Dieser Mechanismus funktioniert auch bei Föten, wenn sie Fruchtwasser schlucken. Also ahmten Forscherinnen und Forscher den Prozess nach. Das Protein gelangt über einen Huckepack-Transport ins Blut. Betroffene Mäuse und Hunde bildeten daraufhin Schweißdrüsen.
Im Jahr 2016 meldete sich eine Frau, schwanger mit Zwillingen, bei Professor Holm Schneider, Leiter des Zentrums für Ektodermale Dysplasien an der Kinder- und Jugendklinik der Uniklinik Erlangen. Sie hatte bereits einen Sohn, der keine Schweißdrüsen besaß. Ihren Zwillingen wollte sie das ersparen. Schneider wagte mit Zustimmung des Ethik-Komitees den Eingriff zum ersten Mal an einem Menschen. Mit Erfolg: Auch sechs Jahre später schwitzen die Zwillinge ganz normal. In den Folgejahren half Schneider sechs weiteren Kindern auf dieselbe Weise.
Was haben Betroffene davon?
Inzwischen läuft eine klinische Studie, an deren Ende die behördliche Zulassung der Therapie in Europa und den USA stehen soll. 20 schwangere Mütter, die einen Jungen mit XLHED austragen, sollen in sechs Ländern behandelt werden. „Mittlerweile sind bereits drei schwangere Frauen im Rahmen der Studie behandelt worden“, berichtet Schneider. Die Fähigkeit zu schwitzen, aber auch andere Effekte der Therapie sollen bis zu fünf Jahre nachverfolgt werden. „Sind wir erfolgreich, hoffen wir aber schon wegen der lebenswichtigen Schwitzfähigkeit eine Zulassung zu bekommen“, sagt Schneider, „das sehen auch die Zulassungsbehörden als Hauptkriterium.“ Es wäre die erste zugelassene medikamentöse Therapie eines Gendefekts im Mutterleib.
Und wahrscheinlich nicht die letzte. Denn viele Krankheiten nehmen ihren Anfang bereits im Mutterleib, weil bestimmte Prozesse gestört sind. So hat ein Teil der Lippen-Kiefer-Gaumenspalten seine Ursache in einem Gendefekt. Bis hier eine ähnliche Therapie an Menschen angewandt werden kann, wird es aber noch dauern. Weiter gediehen ist die Anwendung bei der sogenannten Pompe-Krankheit. Bei deren schwerster Form erleiden Herz und Leber oft schon im Mutterleib bleibenden Schaden. Der Mutter eines Mädchens, dem dieser Verlauf drohte, spritzten Forschende in den USA das fehlende Enzym ins Fruchtwasser. Das Kind ist heute gesund, entwickelt sich normal. Sein heutiges Alter von 16 Monaten hätte es ohne Therapie nicht erreicht.
Quellen:
- Pierre Fabre, EspeRare: Eine pränatale Studie für von ektodermaler Dysplasie (XLHED) betroffene Jungen. https://edelifeclinicaltrial.com/... (Abgerufen am 30.03.2023)
- Schneider H et al.: Prenatal Correction of X-Linked Hypohidrotic Ectodermal Dysplasia. In: New England Journal of Medicine 26.04.2018, 378: 1604-10
- Schneider H et al.: Protocol for the Phase 2 EDELIFE Trial Investigating the Efficacy and Safety of Intra-Amniotic ER004 Administration to Male Subjects with X-Linked Hypohidrotic Ectodermal Dysplasia. In: Genes 06.01.2023, 14: 153-163
- Clinical Trials Gov: Intraamniotic Administrations of ER004 to Male Subjects With X-linked Hypohidrotic Ectodermal Dysplasia (EDELIFE). https://beta.clinicaltrials.gov/... (Abgerufen am 27.03.2023)
- Schneider H : Ectodermal dysplasias: New perspectives on the treatment of so far immedicable genetic disorders. In: Frontiers in Genetics 06.09.2022, 13: 1-7
- Selbsthilfegruppe Ektodermale Dysplasie e.V.: Selbsthilfegruppe Ektodermale Dysplasie e.V.. https://www.ektodermale-dysplasie.de/... (Abgerufen am 27.03.2023)
- Cohen JL et al.: In Utero Enzyme-Replacement Therapy for Infantile-Onset Pompe’s Disease. In: New England Journal of Medicine 09.11.2022, 387: 2150-2158
- ScienceNews: This child was treated for a rare genetic disease while still in the womb, Left untreated, infantile-onset Pompe disease typically kills kids before age 2 Shown. https://www.sciencenews.org/... (Abgerufen am 25.03.2023)