Dampfen statt Rauchen? Die Evidenz zu E-Zigaretten beim Rauchstopp
Eigentlich ist es eine Evidenzlage, wie man sie sich für einen Cochrane Review nur wünschen kann: Richtig viele, gut gemachte Studien mit Tausenden von Teilnehmenden, die Evidenz von „hoher Vertrauenswürdigkeit“ liefern. Und doch können wir uns hier bei Cochrane Deutschland nicht so recht einigen, ob wir nikotinhaltige E-Zigaretten als Hilfsmittel für die Tabakentwöhnung nun als eine prima Sache sehen sollen - oder als einen Fall von „den Teufel mit dem Beelzebub austreiben“.
Um was geht es?
Ein Team von Autorinnen und Autoren um Jamie Hartman-Boyce von der Universität Oxford hat für diesen Review systematisch sämtliche verfügbaren Studien ausgewertet, die den Effekt von E-Zigaretten mit nikotinhaltigem und nikotinfreiem Liquid als Entwöhnungshilfe für Tabakrauch untersuchen. Die Studien mussten dafür bestimmten vorab definierten Qualitätsstandards genügen und wurden kritisch auf ihre methodische Qualität und Aussagekraft untersucht – das Standardvorgehen von Cochrane eben.
Als Vergleich dienten in den ausgewählten Studien diverse andere Ausstiegshilfen, wobei das Autorenteam vor allem interessierte, ob den Teilnehmenden der Rauchstopp mit E-Zigaretten besser gelang als mit etablierten Nikotinersatztherapien (NRT) wie Nikotinpflastern oder -kaugummis. Diese gelten als Standard. Ihren Nutzen im Vergleich zu einem Placebo oder einem Ausstieg ohne medikamentöse Unterstützung belegt auch ein Cochrane Review[1] derselben Autorengruppe aus dem Jahr 2018. Das Ergebnis des aktuellen Reviews, in aller Kürze und in absolute Zahlen umgerechnet: Mit Hilfe von nikotinhaltigen E-Zigaretten gelingt es im Durchschnitt zehn von hundert Rauchern, dem Tabak für mindestens sechs Monate zu entsagen, mit NRT waren es nur sechs von hundert. Das zeigt: Der Entzug bleibt schwer, aber mit E-Zigaretten gelang er in den Studien doch wesentlich häufiger als mit den klassischen NRTs.
Das sieht erst einmal nach einer Empfehlung für „dampfen statt rauchen“ aus. Doch es bleibt eine Reihe offener Fragen.
Wie nachhaltig sind die Erfolge?
Die allermeisten Studien verfolgten den Erfolg nur über sechs bis 12 Monate – ob der Rauchstopp auch darüber hinaus gelang, bleibt offen. Dabei ist ein Rauchentzug nicht nur in der Anfangsphase mit seinen körperlichen wie auch psychischen Entzugserscheinungen schwierig. Auch wer diese erste Hürde überwunden hat, muss über Jahre hinweg der Versuchung widerstehen – und die steigt für viele mit dem Gefühl, die Sucht besiegt zu haben und sich getrost „nur die Eine“ genehmigen zu dürfen. Ob dieses Rückfallrisiko für den Entzug per E-Zigarette höher oder niedriger ist als für andere Methoden, kann der Review nicht beantworten.
Ersetzt man nur ein Übel mit einem anderen?
Daten aus Beobachtungsstudien deuten darauf hin, dass mit E-Zigaretten oft nur die eine Form der Nikotin-Abhängigkeit durch eine andere ersetzt wird und die Aufhörwilligen Jahre oder ein Leben lang Dampfer bleiben. Dabei gelangen aus dem Dampf von E-Zigaretten zwar nach derzeitigem Kenntnisstand weniger gesundheitsschädliche Stoffe in den Körper als beim Rauchen von Tabak . Doch auch E-Zigaretten enthalten Aromastoffe und andere potenziell schädliche Verbindungen, über deren Langzeitfolgen man noch viel zu wenig weiß.
Was sind die Folgen einer dampfenden Gesellschaft?
Eine weitere Sorge ist, dass ein allzu positives Bild von der vermeintlich gesunden E-Zigarette die Hemmschwelle für einen Einstieg in den Nikotinkonsum für Menschen senken könnte, die noch nie geraucht haben. Gefährdet sind hier vor allem Jugendliche, unter denen süßlich duftende Wegwerf-Vaporizer zur Zeit besonders in Mode sind. Auch das Autorenteam des Reviews macht deutlich, dass es hier um die Wahl des kleineren von zwei Übeln geht: Wer (noch) nicht raucht, solle sich auch von E-Zigaretten unbedingt fernhalten.
Geteilte Meinungen zum Dampf
Der Review zeigt: Bei komplexen Themen kann selbst eindeutige wissenschaftliche Evidenz oft nur Teilaspekte erhellen. Insofern verwundert es wenig, dass auch Expertinnen und Experten die Studienlage unterschiedlich bewerten. So befürwortet der National Health Service (NHS) in Großbritannien E-Zigaretten für Raucher schon länger recht eindeutig als opportune Alternative zum Tabak[2], während Behörden und medizinische Fachgesellschaften in Deutschland dabei deutlich kritischer sind.
Auch bei Cochrane Deutschland sind wir uns nicht ganz einig: Die einen sehen eher die Chancen eines neuen Ansatzes zum Tabakentzug, die anderen seine schwer zu beziffernden Risiken. Fest steht: Für wichtige Fragen gibt es noch Klärungsbedarf.
Was fange ich jetzt damit an?
Für den einzelnen ausstiegswilligen Raucher sind die Ergebnisse des Reviews trotzdem eine gute Nachricht. Sie zeigen erneut, dass ihm wirksame Hilfsmittel für den Ausstieg zur Verfügung stehen.
Welche davon man in Anspruch nehmen will, ist auch eine Frage persönlicher Vorlieben. Dabei eine größere Auswahl zur Verfügung zu haben, kann sicher nicht schaden, zumal die allermeisten langjährigen Raucher ohnehin zahlreiche Anläufe[3] brauchen, bevor es mit dem Aufhören dauerhaft klappt. Denn das Schwerste ist nicht, mit dem Rauchen aufzuhören – das macht ein Raucher einem alten Witz zufolge 20 mal am Tag - , sondern nachher auch wirklich nicht wieder damit anzufangen.
Quellen:
- [1] Hartmann‐Boyce J, Chepkin S C, Ye W et al.: Nikotinersatztherapie versus Kontrolle zur Raucherentwöhnung. Cochrane Library: https://www.cochranelibrary.com/... (Abgerufen am 29.03.2023)
- [2] National Health Service: Using e-cigarettes to stop smoking. Online: https://www.nhs.uk/... (Abgerufen am 29.03.2023)
- [3] Chaiton M, Diemert L, Cohen J E et al.: Estimating the number of quit attempts it takes to quit smoking successfully in a longitudinal cohort of smokers. BMJ Open: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/... (Abgerufen am 29.03.2023)