Logo der Apotheken Umschau

Frau Kamping, Diabetes ist eine Krankheit, um die man sich ständig kümmern muss. Schuld- und Schamgefühle braucht niemand zusätzlich.

Alle Gefühle haben ihren Platz und eine Funktion. Und im Zusammenhang mit so einer komplexen Erkrankung wie Diabetes sind negative Emotionen nicht ungewöhnlich. Manchmal können Empfindungen wie Schuld auch hilfreich sein.

Was bringt es, wenn ich mich schuldig fühle?

Schuld ist ein Gefühl, das den Handlungsdrang zur Wiedergutmachung in uns auslöst. Stellen Sie sich zum Beispiel vor, Sie haben mit einem Ball die Fensterscheibe des Nachbarn zerschossen. Dann verspüren Sie einen inneren Drang, sich bei dem Nachbarn zu melden. Begleichen Sie den Schaden, geht das Schuldgefühl zurück.

Also hat Schuld auch etwas ­Positives?

Absolut. Schuldgefühle sind für den sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft enorm wichtig. Auch bei ­Diabetes können Schuldgefühle positive Handlungsimpulse in uns auslösen. Sie können mir helfen, eine Veränderung anzuschieben, ungute Muster aufzubrechen, gesünder zu essen, mich mehr zu bewegen. Wenn die Schuldgefühle allerdings zu groß sind oder noch Scham dazukommt, wird es komplizierter.

Was macht Scham mit uns?

Scham ist ein sehr unangenehmes Gefühl. Eines, das man schwer verändern kann. Hier ist der Handlungsdrang, der in uns ausgelöst wird, ein Fluchtimpuls. Wir wollen nur noch weg. Der Klassiker: Die Ärztin analysiert beim Check-up einen schlechten HbA1c-Wert und fragt nach möglichen Ursachen.

Dr. Sandra Kamping betreut als Psycho­therapeutin in Ham­burg auch Menschen mit Diabetes. Ihre Erfahrung zeigt: „Wir selbst sind oft unsere schärfsten Kritiker und sollten nachsich­ tiger mit uns sein.“

Dr. Sandra Kamping betreut als Psycho­therapeutin in Ham­burg auch Menschen mit Diabetes. Ihre Erfahrung zeigt: „Wir selbst sind oft unsere schärfsten Kritiker und sollten nachsich­ tiger mit uns sein.“

Was löst das aus?

Betroffene wissen ja, dass sie abnehmen sollten, und haben schon unzählige Diättipps gehört. Aber Abnehmen ist einfach extrem schwer. Weil das Schamgefühl sehr unangenehm ist, nimmt unser Geist eine Abzweigung. Wir wollen uns gar nicht mehr mit dem eigentlichen Thema „Diabetes“ beschäftigen und wandeln die negative Regung Scham in Ärger um. Den können wir rauslassen. Etwa Ärger über den Arzt, weil der keine Ahnung hat und sich viel zu wenig Zeit nimmt. Zu dem wollten wir eh nicht mehr hingehen. Weil Scham sich so unangenehm für uns anfühlt, tun wir vorauseilend alles Mögliche, um das Gefühl zu vermeiden. Das Schlimmste wäre aber, nicht mehr zum Arzt zu gehen.

Wie werden wir Scham­gefühle wieder los?

Wir können das Gefühl an sich nicht verändern, die Gedanken, die dahinterstehen, aber schon. Sie könnten sich beispielsweise fragen, ob die ganzen Vorhaltungen, die Sie sich dann und wann machen, wirklich stimmen: „Bin ich willenlos, nur weil ich meine Werte schwer in den Griff bekomme? Weil ich wieder nicht abgenommen habe? Oder ist das nicht einfach Teil dieser Krankheit?“ Wir sind mit niemandem so unbarmherzig wie mit uns selbst. Über keinen unserer Freunde würden wir so harte Urteile fällen, wie wir das bei uns selbst tun.