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Das nackte Kind im Badezimmer, stolz sitzt es zum ersten Mal auf dem Töpfchen. Das nackte Kind am Strand, es bückt sich nach der Gießkanne, zwischen den Beinen sieht man sein Geschlechtsteil: Solche Familienfotos gibt es unzählige in Fotoalben, auf dem Smartphone oder in der Cloud. Doch ist das noch okay, Bilder zu machen vom eigenen, nackten Kind?

Im Frühjahr 2021 hat der Bundestag den Paragraf 184 b Strafgesetzbuch gegen Kinderpornografie verschärft[1]. Seither droht mindestens ein Jahr Haft für Menschen, die entsprechende Bilder besitzen beziehungsweise verbreiten, was im Umkehrschluss bedeutet: Sogenannte minderschwere Fälle gibt es nicht mehr. Ausnahmslos jeder Besitz von Kinderpornografie – und dazu zählen unter Umständen bereits Fotos von nackten oder nur teils bekleideten Kindern – ist ein Verbrechen. Besitzt jemand ein solches Foto und wird angezeigt, hat die Justiz kaum mehr Möglichkeiten, das Verfahren einzustellen.

Wann Fotos strafbar sein können

Betrifft das auch Familienfotos? Das werden sich jetzt vielleicht Eltern und Großeltern fragen, die stolz den Alltag, das Aufwachsen ihrer Kleinen dokumentieren möchten. Was viele nicht wissen: Für eine mögliche Strafbarkeit muss nicht notwendigerweise Missbrauch abgebildet sein. Auch Bilder von halb nackten Kindern können eventuell strafbar sein – etwa dann, wenn der Bildfokus auf deren Intimbereich liegt, Posing-Bilder genannt.

„Bei der Bewertung solcher Bilder kommt es auch auf den Bildkontext an“, erklärt Professor Thomas-Gabriel Rüdiger. Er leitet das Institut für Cyberkriminologie an der Hochschule der Polizei des Landes Brandenburg: Ein halb nacktes oder nacktes Kind am Strand beim Spielen wäre demnach nicht strafbar. Ohne Kontext, in einer unnatürlichen Körperhaltung mit Fokus auf den Intimbereich, könnte das Bild des halb nackten oder nackten Kindes jedoch bereits strafbar sein. Die Süddeutsche Zeitung etwa berichtete Ende 2022 von einem Mann, der aus Vaterstolz den Penis seines Sohnes fotografiert und als Bildschirmhintergrund benutzt hatte[2]. Er wurde angezeigt. Vor Gericht wurde klar, dass er keine sexuellen Interessen gehegt hatte. Einer Gefängnisstrafe entging er dennoch nur knapp.

Doch auch weniger explizite Fotos könnten künftig zu Problemen führen. Nämlich dann, wenn die EU die sogenannte Chatkontrolle einführen würde, wie derzeit geplant, warnt Rüdiger. Die Maßnahme ist umstritten[3]: Fotos, die in Chats auf Whatsapp, Instagram und Co. verschickt und geteilt oder in Datenclouds geladen wurden, würden automatisch gescannt. „Grob gesagt entscheidet dann eine KI, ob ein Bild an die Polizei gesendet wird“, so der Experte. Die US-amerikanischen Behörden würden ­dann ihre deutschen Kolleginnen und Kollegen informieren. Die müssten wegen der Gesetzesverschärfung in jedem Fall die Ermittlungen aufnehmen.

Vielleicht würde sich herausstellen, dass der Algorithmus falschlag und das nackte Kind am Strand ein ganz normales Urlaubsbild und nicht strafbar wäre. „Trotzdem könnte beispielsweise gegen die Eltern wegen des Verdachts ermittelt werden, kinderpornografisches Material zu besitzen, anzufertigen oder zu teilen. Mit all den sozialen Konsequenzen, die ein solches Verfahren haben kann“, warnt Rüdiger.

Man gibt die Kontrolle aus der Hand

Ob die Chatkontrolle kommt, ist längst nicht klar. Der Experte empfiehlt Eltern und Groß­eltern generell, mit Kinderfotos gerade im Internet extrem vorsichtig umzugehen – egal ob bekleidet, halb nackt oder nackt. Denn wer pri­vate Fotos öffentlich postet oder weiterschickt, kann schnell die Kontrolle darüber verlieren.

Zwar lässt sich in den Einstellungen festlegen, wer die Bilder sehen kann. Alle Personen mit Zugriffsberechtigung können sie jedoch jederzeit runterladen und unkontrolliert weiterverbreiten. „Bei 100 und mehr Kontakten ist keine wirkliche Privatheit mehr gegeben“, sagt die ­Juristin und Datenschutzexpertin Barbara Schmitz. Hinzu kommt, dass die Nutzungsbedingungen den Anbietern sozialer Medien ­erlauben, alle geposteten Inhalte für eigene Zwecke zu verwenden, etwa für Werbung. „Man verliert schnell die Kontrolle darüber, wer diese Bilder sieht und was andere Personen damit machen“, sagt Schmitz. Selbst wenn man sie im Nachhinein löscht, können digitale Fotos also weiter im Netz kursieren. Schlimmstenfalls geraten sie in die Hände Krimineller oder werden zum Cybermobbing benutzt.

Kinder in Bildauswahl einbeziehen?

„Ganz auf die Nutzung der sozialen Medien zu verzichten, ist aus meiner Sicht nicht die optimale Lösung. Gerade auch deshalb, weil Kinder heutzutage mit Instagram, Whatsapp und anderen Social-Media-Diensten aufwachsen“, sagt Schmitz. Sie appelliert an die Vorbildfunktion von Eltern: Wer verantwortungsvoll mit seinen eigenen und auch den Bildern seiner Kinder umgehe, schütze sie nicht nur vor ungewollten Einblicken und Datenmissbrauch.

Der Nachwuchs lerne dadurch ganz automatisch, wie ein bewusster Umgang mit sensiblen Informationen im Netz funktionieren könne. Schmitz rät deshalb unter anderem, Kinder bei der Bildauswahl miteinzubeziehen. Wer Fotos veröffentlicht, auf denen das Gesicht zu erkennen ist, solle dieses unkenntlich machen[4].

Cyberkriminologe Rüdiger empfiehlt noch mehr Vorsicht: Die Bilder hinter Verpixelungen könnten längst wieder kenntlich gemacht werden. „Es wird vermutlich nicht mehr lange dauern, dann werden Programme auch Smileys entfernen oder das Bild dahinter kenntlich machen können.“ Anders als Schmitz hält er es auch nicht für sinnvoll, Kinder in die Entscheidung einzubinden, ob ein Foto gepostet werden darf oder nicht, denn: „Welches achtjährige Kind kann schon die Auswirkungen verstehen, wenn das teils nicht mal Erwachsene können?“

Rüdigers Wunsch: Von Kindern sollten gar keine Fotos ins Internet gelangen. Und wenn Eltern diese unbedingt teilen wollten, sollten sie eines sicherstellen: „Ich würde Kinderfotos nur Leuten anvertrauen, denen ich auch meine Kinder anvertrauen würde.“ Der Kreis der Empfängerinnen und Empfänger wird so automatisch ziemlich klein.


Quellen:

  • [1] Bundesministerium der Justiz: Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder, Vom 16. Juni 2021. Bundesgesetzblatt: https://www.bgbl.de/... (Abgerufen am 27.01.2023)
  • [2] Ramelsberger, A: Pervers. Süddeutsche Zeitung: https://www.sueddeutsche.de/... (Abgerufen am 27.01.2023)
  • [3] Redaktion beck-aktuell: Datenschützer üben scharfe Kritik an EU-Chatkontrolle. https://rsw.beck.de/... (Abgerufen am 27.01.2023)
  • [4] Rothfischer, K: Kinderfotos im Internet: Worauf sollten Eltern achten?. apotheken-umschau.de: https://www.apotheken-umschau.de/... (Abgerufen am 27.01.2023)