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Nach der Geburt muss alles ganz schnell gehen. Vorsichtig legt die Hebamme das scheibenförmige, blutende Bündel auf eine silberne Schale und bringt es ins Labor direkt neben dem Kreißsaal im Uniklinikum Jena. Dort steht das Team von Jana Pastuschek schon bereit, um das wundersame Wesen in Empfang zu nehmen, für das der Beginn eines neuen Lebens den Tod bedeutet. Mit der Geburt des Kindes hat die Plazenta ihre Aufgabe erfüllt. Sie stirbt.

Plazenta als Forschungsobjekt

„Dann zählt jede Minute“, sagt die Biologin und beginnt sofort mit den lebenserhaltenden Maßnahmen. Dazu tastet sie in der dunklen Masse des Mutterkuchens nach einer kräftigen Arterie, in die sie die erste Kanüle einnähen kann. Zwei junge Kolleginnen bereiten inzwischen die Nährlösung vor, ebenso eine Wanne mit 37 Grad warmem Wasser. Jeder Handgriff muss sitzen.

„Forschung ist immer Teamarbeit“, sagt Jana Pastuschek. Die Plazenta wird jetzt für einige kostbare Stunden zum lebenden Versuchsobjekt. Während dieser Zeit kann sie helfen, wichtige Fragen zu beantworten: Gehen Medikamente von der Mutter in das ungeborene Kind über? Können Giftstoffe die sogenannte Plazenta-Schranke überqueren? Welche neuen Gefahren bringen Feinstaub und Mikroplastik?

Mutterkuchen nach der Geburt spenden

Zur Plazenta-Forschung kam Pastuschek auf Umwegen. Erstmals Kontakt zur Jenaer Geburtsklinik hatte sie schon vor 20 Jahren. Damals wuchs zum ersten Mal in ihr eine Plazenta heran. Es kam zu Komplikationen. Als Töchterchen Emma in der 27. Schwangerschaftswoche geboren wurde, wog sie nur 520 Gramm. Keine Zeit, an die Plazenta auch nur zu denken. Beim dritten Kind arbeitete die Forscherin bereits in der Klinik für Geburtsmedizin. „Ich freute mich darauf, meine Plazenta zu sehen, sie anzufassen“, sagt sie. Bei der Geburt standen die Döschen für Proben schon bereit.

Entnommene Plazenta nach der Geburt.

Entnommene Plazenta nach der Geburt.

Die Möglichkeit, ihre Plazenta zu spenden, hat im Geburtsklinikum Jena jede Frau. Ist das Organ gut erhalten, hat es keine Risse und Lecks, ist es geeignet für die Perfusion: die Durchströmung mit Flüssigkeiten. „Oft bemerkt man erst nach dem Versuch, ob alles geklappt hat“, erklärt Pastuschek. Zeigt sich am Ende doch ein Riss, war der Arbeitstag umsonst. Nur jede zehnte Plazenta liefert verwertbare Ergebnisse.

Wunderwerk Plazenta

Heute arbeitet etwa ein Dutzend Forschungsgruppen weltweit mit der Apparatur, die in den 70er-Jahren von einem Schweizer Forscher entwickelt wurde. „In Deutschland sind wir die einzigen“, sagt Pastuschek und blickt dabei fast zärtlich auf das Organ vor sich. Wenn sie über ihren Forschungsgegenstand spricht, strahlt die zierliche Frau vor Begeisterung.

„Die Plazenta ist ein Wunderwerk“, sagt sie. Obwohl sie natürlich weiß, dass es Gewöhnung braucht, um das Organ so schön zu finden, wie sie es tut. Damit die Perfusion etwa an langen Nächten der Wissenschaft Kindern vorgeführt werden kann, gibt es im Labor daher eine Plazenta aus Wolle. Eine befreundete Radiologin hat sie gehäkelt.

Bedeutung in anderen Kulturen

Doch hatte man nicht zu allen Zeiten Berührungsängste wie heute. In vielen Kulturen rund um den Globus galt die Plazenta einst als ein Zwilling oder Gefährte des Neugeborenen. Einst wurde sie bestattet, im alten Ägypten sogar mumifiziert. „Sie galt als Außenseele des Pharao“, sagt Pastuschek, die sich bei der Recherche für ein Buch auch in die Rituale rund um das Organ eingearbeitet hat. Dass heute die meisten Plazentas im Klinikmüll landen, findet die Forscherin schade. „Man sollte sie mit Würde behandeln“, sagt sie.

Ein lebenwichtiges Organ

Denn ohne Plazenta gibt es kein menschliches Leben. Jede Frau hatte mal eine Plazenta – und jeder Mann. Das Organ besteht zum allergrößten Teil aus den Zellen des Kindes. Die Eizelle wird befruchtet, beginnt sich zu teilen. Ein Teil wächst zu einem Fetus heran, der andere zu einer Plazenta. Die Zellen des Mutterkuchens graben sich dabei in die Gebärmutterschleimhaut und liefern so dem Kind alles, was es braucht. Feine Gewebefilter schützen es zudem vor Bakterien, Viren und Giftstoffen – zumindest vor manchen.

Aufschlussreiche Forschung

Die Plazenta-Perfusion liefert wichtige Hinweise, ob ein Stoff dazugehört. Etwa ein Medikament. Was an sich gut verträgliche Mittel beim Ungeborenen im Extremfall anrichten können, zeigte sich einst bei dem Schlafmittel Contergan. Doch auch Schwangere werden krank und brauchen Arzneien. Was dann? Selbst Versuche an Tieren bringen oft keine sicheren Ergebnisse. „Bei keinem Organ unterscheiden sich die einzelnen Säugetiere stärker voneinander als bei der Plazenta“, so Pastuschek.

Bei der Plazenta-Perfusion lässt sich am lebensfrischen Organ der Weg einer Sub­stanz beobachten. Etwa bei einem Medikament, das Frauen mit einer bestimmten Form der Gerinnungsstörung erhalten. Es abzusetzen, würde für sie ein großes Blutungsrisiko bedeuten.

Im Experiment zeigte sich: Die zugeführten Gerinnungsfaktoren gehen nicht in den kindlichen Kreislauf über. Auch der Test des Antibiotikums Ampicillin lieferte Ergebnisse für den Einsatz bei Schwangeren. Zu sehen, dass ihre Ergebnisse werdenden Müttern helfen, ist für Pastuschek ein großer Ansporn. Zumal sie vielleicht auch ihr selbst schon geholfen haben.

In ihrer dritten Schwangerschaft erhielt sie ein Medikament, das in der sogenannten PETN-Studie untersucht wurde. Es soll die Durchblutung der Plazenta verbessern. Diesmal kam es nicht zu Problemen. Getestet worden war das Mittel zuvo


Quellen:

  • Pastuschek J , Bär C , Göhner C et al.: Ex vivo Studie zum Transfer von rekombinantem Von-Willebrand-Faktor (rVWF) über die menschliche Plazentaschranke. Zeitschrift für Geburtshilfe und Neonatol: https://www.thieme-connect.com/... (Abgerufen am 10.01.2024)