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„Viele unserer Bewohner und Bewohnerinnen sind dement. Sie sind nachts unruhig, wecken andere auf, schreien, urinieren auch mal einfach auf den Boden. Häufig müssen wir schon die Übergabe mit dem Spätdienst um 22.15 Uhr mehrmals unterbrechen. Jemand muss auf die Toilette, hat Durst oder will einfach, dass ich den Fernseher ausschalte. Dann geht die Glocke. Wir haben auch Bodensensoren in den Zimmern von Sturzgefährdeten. Wenn diese Bewohner aufstehen, geht ebenfalls die Glocke. Ein Sturz vermeiden lässt sich aber dadurch nicht. Bis ich – zum Beispiel aus einem anderen Stockwerk – ins Zimmer gelaufen bin, kann schon längst etwas passiert sein.

Zwei Stürze habe ich im Nachtdienst bisher erlebt. Und wenn jemand, der blutverdünnende Medikamente nimmt, auf den Kopf fällt, löst das eine massive Blutung aus. Für die Versorgung braucht es dann beide Nachtdienstkräfte. Das bedeutet: 49 andere Bewohner sind in dieser Zeit quasi unbeaufsichtigt, bis der Betroffene ins Krankenhaus kommt. Und wegen Corona habe ich Angst, dass das nicht mal passieren wird. Zuletzt wurde ein Bewohner von uns abgewiesen. Es bestand Verdacht auf Lungenembolie und wir haben vom Krankenhaus die Auskunft bekommen: „Der Mann ist über 90 und pflegebedürftig. Was wollen Sie von uns? Wissen Sie, was hier los ist?“

In Schichten ohne Zwischenfälle sind wir vor allem damit beschäftigt, Inkontinenzeinlagen zu wechseln oder die Bewohner anders zu lagern. Doch auch das kann echt viel Zeit kosten. Zum Beispiel kam vor nicht allzu langer Zeit ein Patient zu, der sich bei der Pflege zu Hause wundgelegen hatte. Die offene Wunde am Gesäß war groß – und so tief, dass man Knochen sehen konnte. Hatte der Mann nachts Stuhlgang, mussten wir zu zweit die komplette Wunde reinigen und versorgen. Das hat schon eine Stunde gedauert ungefähr.

Was ich an den Nachtdiensten gut finde, ist: Man hat wenigstens da mehr Zeit für die Bewohner. Ich kann mich auch mal 10 Minuten an ein Bett setzen und jemandes Hand halten, bis er oder sie wieder eingeschlafen ist. Zum Beispiel haben wir eine Bewohnerin mit starken chronischen Schmerzen. Sie erhält abends eine hohe Dosis Schmerzmittel, wenn sie aufwacht, kann ich ihr nicht gleich wieder etwas davon geben. Dann rede ich mit ihr, lenke sie ab und häufig vergisst sie ihre Beschwerden und nickt auch ohne Tablette ein. Dafür hatte ich in meinen Schichten am Tag niemals die Ruhe.

Weil wir in der Einrichtung wissen, unter welch großem Druck der Früh- und Spätdienst steht, versuchen wir als Nachtdienst, hier Entlastung zu schaffen – wenn möglich. Wir räumen zum Beispiel die Küchen auf vom Abendessen, bestellen Medikamente und wenn ein Bewohner schon in den frühen Morgenstunden wach ist, waschen wir ihn auch schon mal um vier Uhr morgens. Das hilft den Kolleginnen und Kollegen im Frühdienst ungemein und die Bewohner selbst sitzen fitter beim Frühstück als wenn sie in der Hektik des Frühdiensts angezogen werden. Aktuell nehmen wir nachts auch Abstriche für die Corona-Tests, die jeder Bewohnerin und jeder Bewohner dreimal die Woche machen muss. Vor allem bei Menschen mit Demenz ist das oft echt schwierig. Ich wurde schon an den Haaren gezogen und gebissen.

Was uns allerdings auch im Nachtdienst nicht erspart bleibt, ist die Dokumentation für den medizinischen Dienst und die Fach- und Qualitätsaufsicht (FQA). Ich verstehe, dass es für jeden und jede im Heim eine individuelle Pflegeplanung geben muss. Was ich aber nicht verstehe: Muss ich wirklich dokumentieren, um welche Uhrzeit für wie lange und mit welcher Zahnpaste und -bürste sich Herr Mayer die Zähne putzt?

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Wir können von der FQA Ärger kriegen, wenn bei der Kontrolle der Medikamentenmengen die Milliliterangaben in den Tropfenfläschchen nicht stimmt. Also ein wenig zu viel entfernt wurde, als es die Verordnungen der Ärzte vorgeben. Aber es passiert nun mal, dass bei der Vorgabe 20 Tropfen auch mal der 21. mit rausrutscht oder man etwas verschüttet. Wir versuchen deswegen, die Ärzte zu überzeugen, Tabletten zu verschreiben – obwohl das für viele ältere Menschen mit Schluckbeschwerden nicht ideal ist. Angeblich haben die Angestellten beim MDK selbst Berufserfahrung in der Pflege und sollen kollegial beraten. Die Vorgaben und das Verhalten uns gegenüber sprechen aber eine ganz andere Sprache.

Deshalb dokumentiere ich im Nachtdienst zum Beispiel nicht „Bewohner XY schläft“, sondern Bewohner XY „scheint bei Sichtkontrolle zu schlafen“. Vielleicht ist er im Schlaf gestorben, dann habe ich das falsch aufgeschrieben. Und stille Tode in der Nacht, das kommt durchaus vor.

Wenn jemand bei uns im Heim verstirbt, lassen wir uns von Angehörigen Kleider geben und waschen den Verstorbenen noch ein letztes Mal. Das müssen wir nicht machen, aber es ist unser Abschiedsritual. Eine Kollegin und ich haben ein einziges Mal zugesehen, wie das Personal vom Bestattungsinstitut das erledigt hat. Es war so unwürdig, meine Kollegin musste weinen. Die Bestattungsfirmen wollen zum Beispiel nicht, dass wir den Verstorbenen Schuhe anziehen. Wir antworten dann immer: „Unsere Bewohner kommen mit Schuhen zu uns und sie gehen mit Schuhen.“