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Ich pflege...

nicht mehr. Ich habe mich bis zu ihrem Tod um drei Familienmitglieder gekümmert. Mein Vater hatte ein chronisches Nierenversagen, mein Mann einen aggressiven Krebs und meine Mutter Demenz. Jede Situation war anders.

Als ich die Pflege übernommen habe, war ich wegen eines schweren Unfalls selbst in Frührente. Mein Vater brauchte Hilfe – und ich hatte Zeit. Von Seiten meiner Geschwister hieß es schnell: Die Inge macht das schon. Ich habe mich nicht unter Druck gesetzt gefühlt, aber manchmal alleingelassen. Ohne den Unfall hätte das kein Mensch von mir verlangt.

Erst half ich meinem Vater nur bei den Tabletten, dann beim Hemd-Zuknöpfen, bis ich irgendwann alles machte. Für ihn war es schlimm, bei klarem Verstand körperlich so zu verfallen. Gerade das Waschen war ihm unangenehm. Ich selbst hatte auch Berührungsängste: Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, in der man seine Eltern nicht nackt gesehen hat. Aber innerhalb von ein paar Tagen hatte sich das Schamgefühl gelegt.

Für meinen Vater war es eine Erlösung, zu gehen. Doch dann kam schon die nächste Diagnose: Bei meinem Mann wurde ein aggressiver Tumor in Lunge und Wirbelsäule festgestellt. Ihm blieb nur ein halbes Jahr zu leben. Bis zum Schluss hat er gedacht, er wird wieder gesund. Vielleicht war das seine Art, damit umzugehen.

Meine Mutter war zu dem Zeitpunkt schon über 85 Jahre alt und merkte, dass ihre Kräfte nachließen. Ich habe versucht, sie in eine Tagespflege zu geben, aber das wollte sie nicht. Den Pflegedienst hat sie nur eine Zeit lang akzeptiert. So bin ich gleich in die nächste Pflegesituation reingerutscht.

Das fällt mir schwer:

Die letzte Zeit mit meinem Mann war intensiv, aber auch sehr belastend. Ein Hospizdienst hat mir die Möglichkeit gegeben, zu reden. Das hat mir gut getan: Man ist ja irgendwann an einem Punkt, an dem man nicht mehr klar denken kann. Heute bin ich froh, dass ich meinen Mann bis zum Schluss begleiten konnte.

Inzwischen sind alle drei Menschen, die ich gepflegt habe, verstorben. Jetzt habe ich plötzlich unendlich viel Zeit. Früher dachte ich, ich gehe auf dem Zahnfleisch. Nun weiß ich oft nicht, wie ich die Zeit füllen soll. Und ich bin furchtbar traurig, weil drei Menschen nicht mehr da sind, die mir so wichtig waren.

Das gibt mir Kraft:

Meine Kinder und ihre Partner haben mir immer den Rücken freigehalten. Und ich habe verständnisvolle Freundinnen, die mir all die Jahre die Treue gehalten haben und mir geduldig zuhören. Dieses Zuhören ist extrem wichtig. Es ändert nichts an der Situation, aber man hat das Gefühl, es ist leichter.

Schön ist auch, dass ich meine zwei Enkel nach der Schule betreuen kann. Die Jungs werden mit der Zeit immer selbstständiger und brauchen weniger Hilfe. Genau umgekehrt wie bei der Pflege! Danach bin ich müde, aber es ist eine gute Müdigkeit, weil der Tag ­einen Sinn hatte.

Mein Tipp für andere:

Geniert euch nicht, den Nachbarn Bescheid zu sagen. Früher wunderten sie sich, warum meine Mutter nicht richtig angezogen war oder weglaufen wollte. Ich habe ihnen erklärt, dass es an der Demenz liegt. So konnten sie es besser zuordnen und das Verständnis war da.