Meine Zeit! Der neue Umgang mit den Wechseljahren
Es ist eine neue Generation von Frauen, die jetzt in die Wechseljahre kommen. Aktive, offene und gut informierte Frauen, die nicht mehr bereit sind, über diese Phase zu schweigen. Lange Zeit waren die Wechseljahre mit einem Tabu belegt, Hitzewallungen, Schlafstörungen oder Zyklusprobleme ein Thema unter Betroffenen – aber keines für die Öffentlichkeit. Das ist vorbei.
„Das sind Frauen, die keine Lust mehr haben auf dieses Tabu, sie wollen darüber sprechen, auch mit ihren Männern“, sagt die Autorin Miriam Stein. Über ihre eigenen Erfahrungen mit den Wechseljahren hat sie ein Buch geschrieben („Die gereizte Frau“). Sie hat beobachtet: „Wir sehen die erste Generation, die das Thema so offensiv angeht.“ Plötzlich beschäftigen sich Instagram-Accounts, Podcasts und Start-ups mit den „fabelhaften Wechseljahren“, wie die Gynäkologin und Buchautorin Dr. Sheila de Liz das Klimakterium in ihrem Bestseller „Woman on Fire“ nennt.
Der Zyklus schwankt
Das Interesse ist berechtigt: Geschätzt acht Millionen Frauen über 40 befinden sich in den Wechseljahren. Eine große Zielgruppe, die genau wissen will, was passiert, wenn der Hormonspiegel sinkt und der Zyklus verrücktspielt – und was gegen Hitzewallungen, Schlafstörungen oder depressive Phasen hilft. Die ersten Veränderungen beginnen, meist kaum spürbar, schon mit Anfang 40, in der sogenannten Prämenopause.
Der Zyklus kann schwanken, die Phase zwischen den Blutungen mal länger, mal kürzer ausfallen. In den Eierstöcken reifen die Eizellen nicht mehr so zuverlässig heran wie früher. Erste Beschwerden können dazukommen: Stimmungsschwankungen oder Schlafprobleme. Es folgt die Perimenopause – das sind die eigentlichen Wechseljahre. Gemeint ist damit die Zeit etwa ein Jahr vor und ein Jahr nach der letzten Blutung. Jetzt fährt der Hormonspiegel Achterbahn, vor allem Östrogen und Progesteron. Die Periode bleibt manchmal wochenlang aus, kehrt vielleicht mit einer starken und langen Blutung zurück. Auch Hitzewallungen gehören zu dieser Phase: plötzliche Schweißausbrüche, die so schnell verschwinden, wie sie gekommen sind – aber das Leben deutlich beeinträchtigen können.
Mit der letzten Blutung endet die fruchtbare Phase im Leben einer Frau – die Frauen sind dann durchschnittlich 51 Jahre alt. Wenn seit der letzten Menstruation zwölf Monate vergangen sind, spricht man von der Menopause – die ist also genau genommen keine Phase, sondern ein bestimmter Zeitpunkt.
Eine normale Phase?
Miriam Stein ist Mitte 40, als es sie in die Perimenopause katapultiert. Sie hat festgestellt: Die Wechseljahre mögen eine normale Phase im Leben einer Frau sein wie die Pubertät oder eine Schwangerschaft. Aber: Viele erleben die klassischen Symptome als durchaus heftig, ein Drittel leidet massiv und empfindet dies nicht als „normal“. Darüber hinaus sind die Wechseljahre auch eine Begegnung mit dem Alter, dem Ende der Fruchtbarkeit – und der Sichtbarkeit.
„In unserer Gesellschaft sind es die jungen Frauen, die als energetisch und sexy wahrgenommen werden, Frauen ab 40 verschwinden“, sagt Stein und ergänzt: „Dem Satz: ‚Die Wechseljahre sind eine normale Phase‘ könnte ich zustimmen, wenn wir in einer anderen Gesellschaftsform leben würden.“ Einer Gesellschaft, in der Frauen jeden Alters sichtbar und wichtig sind. Einer Gesellschaft, in der die Perimenopause kein Tabu ist, eine Hitzewallung im Meeting normal, eine Krankmeldung wegen Wechseljahresbeschwerden kein Thema, für das man sich schämt. „Es darf nicht peinlich sein, deswegen nicht zur Arbeit kommen zu können. Niemand macht sich lustig, wenn ich wegen Rückenschmerzen zu Hause bleibe“, sagt Stein.
Mehr als nur ein Frauenthema
Die Wechseljahre sind kein Thema, das nur die Frauen angeht, die sie gerade erleben. Die ganze Gesellschaft, die Politik und vor allem Arbeitgeber müssen sich damit auseinandersetzen. Denn die Betroffenen stehen mitten im Berufsleben – und sie werden gebraucht. „Viele Frauen arbeiten in systemrelevanten Jobs. Sie einfach ihrem Leiden zu überlassen ist nicht solidarisch und volkswirtschaftlich nicht klug“, sagt Miriam Stein. „Deshalb ist es wichtig, dass wir uns gesamtgesellschaftlich mit diesem Thema auseinandersetzen.“
Die ersten Unternehmen gehen dies an: So gewährt die Bank of Ireland betroffenen Mitarbeiterinnen bis zu zehn Extraurlaubstage im Jahr, wenn sie unter Wechseljahresbeschwerden leiden. Der Grund: Bei einer Umfrage des britischen Finanzsektors unter mehr als 2000 Frauen hatte die Hälfte angegeben, über einen Jobwechsel oder frühzeitige Pension nachzudenken – wegen Wechseljahresbeschwerden.
Diese Mitarbeiterinnen will man nicht verlieren. Beim deutschen Software-Konzern SAP hat die Gesundheitsexpertin Dr. Natalie Lotzmann eine Informationskampagne initiiert, auch im internen Newsletter sind die Wechseljahre regelmäßig Thema. „Um unsere weibliche Belegschaft gezielt zu ermutigen, ihr wertvolles Potenzial auch jenseits der Lebensmitte weiterhin einzubringen, wollen wir das Thema ‚Handicap durch Menopause‘ gezielt enttabuisieren und Betroffene durch Veranstaltungen und Beratung unterstützen“, so Lotzmann.
Neues Selbstbewusstsein
Mit der Menopause ist die fruchtbare Phase einer Frau vorbei – endgültig. Für manche kann das mit Trauer verbunden sein, das ist normal. Andere empfinden Freude und Erleichterung. Und viele wahrscheinlich beides. Die Menopause markiert ein Ende, aber auch einen Neubeginn: „Ja, wir verlieren etwas, das lässt sich nicht schönreden“, sagt Miriam Stein. „Aber wir gewinnen so viel: neue Energie, neue Kapazitäten. Mehr Zeit für mich, ein besseres Verhältnis zu meinem Körper. Mehr Selbstliebe, mehr Selbstbewusstsein.“ Es lohne sich, jetzt zurückzuschauen, sagt die Autorin: Was habe ich bereits geschafft in meinem Leben, welche Krisen habe ich gemeistert, wie bin ich die geworden, die ich bin? „Das setzt unglaubliche Kraft frei. Wenn ich das geschafft habe, schaffe ich die zweite Lebenshälfte auch“, findet Stein.
Frauen, die heute in die Wechseljahre kommen, haben noch etwa genauso viele Jahre vor sich, wie hinter ihnen liegen. Es sind Frauen, die selbstbewusst und neugierig in diese zweite Lebenshälfte gehen. Die immer weniger das Bedürfnis haben, anderen zu gefallen oder sich anzupassen. Es sind Frauen, die wissen, was sie brauchen und auf was sie gut verzichten können. Die für andere da sind, aber auch gut für sich selbst sorgen. Mutige Frauen, die Weltreisen planen oder Unternehmen gründen. Die Beziehungen beenden und neue Gemeinschaften finden. Es sind Frauen, deren Leben sich nicht stärker von dem ihrer Mütter und Großmütter unterscheiden könnte. Frauen, die kaum Vorbilder hatten im Umgang mit dem Tabuthema Wechseljahre. Und die jetzt neue Maßstäbe setzen für diese Zeit. Und die echte Vorbilder sein werden für die nächste Generation.
Quellen:
- Krause, L et al: Beratungs- und Behandlungsanlässe in gynäkologischen Praxen bei Frauen ab 50 Jahren. Online: https://www.rki.de/... (Abgerufen am 12.01.2023)
- Robert-Koch-Institut: Gesundheitliche Lage der Frauen in Deutschland, Sexuelle und reproduktive Gesundheit. Online: https://www.rki.de/... (Abgerufen am 12.01.2023)