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Viele Kinderkliniken sind voll belegt - und das bereits im Sommer. Für diesen Herbst und Winter rechnet der Präsident der Deutschen interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, Prof. Florian Hoffmann, daher erneut mit „katastrophalen Zuständen“.

Herr Professor Dr. Hoffmann, wir haben Mitte August. Im DIVI-Intensivregister, mit dem Intensivkapazitäten an Kliniken in Echtzeit erfasst und durch ein Ampelsystem gekennzeichnet werden, steht Ihre Klinik auf gelb. Wie ist die Lage?

Eher rot, würde ich sagen. Gerade zumindest sind wir auf der Intensivstation wieder voll belegt. So wie viele Kinderintensivstationen im ganzen Land. Das Sommerloch, das wir sonst hatten und in dem gerade auch auf den Normalstationen mal einige Betten frei waren, das gibt es nicht mehr. In München haben sich auch im Sommer oft alle Kinderkliniken bei der Rettungsleitstelle abgemeldet, sodass kleine Patienten und Patientinnen häufig aus der Stadt heraus ins Umland verlegt werden müssen.

Weil es mehr Fälle als früher zu dieser Zeit gibt?

Wegen fehlender Kapazitäten. Es ist seit dem vergangenen Winter noch einmal weniger Kinderklinik übriggeblieben, da sich vielerorts insbesondere die pflegerische Personalsituation weiter verschlechtert hat. Deshalb haben wir eben jetzt schon im August Probleme, Kinder mit Infektionskrankheiten, einem Fieberkrampf oder ähnlichem aufzunehmen.

Was heißt das für den kommenden Herbst und Winter?

Nichts Gutes. Ich befürchte, dass es uns mindestens wieder genauso zerlegen wird wie im vergangenen Jahr. Was wir gerade erleben, ist das Ergebnis des jahrzehntelangen zu Tode Sparens der Kindermedizin. Wir haben in vielen Bereichen eine Versorgung, die nicht mehr annähernd dem entspricht, wie es in einem Land wie dem unseren sein sollte und könnte.

Zur Person

Professor Dr. Florian Hoffmann ist Präsident elect der Deutschen interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin und steht der Sektion „Pädiatrische Intensiv- und Notfallmedizin“ bereits seit 2014 vor. Als Oberarzt arbeitet er auf der Kinderintensivstation am Dr. von Haunerschen Kinderspital der Ludwig-Maximilians-Universität München. Zudem fährt Hoffmann immer wieder Einsätze im Münchner Kindernotarztdienst, dessen ärztlicher Leiter er zudem ist.

Zuletzt schien es, als hätte die Politik das Problem erkannt. Gesundheitsminister Professor Dr. Karl Lauterbach brachte zum Beispiel Soforthilfen auf den Weg. Hat das denn gar nichts gebracht?

Diese Soforthilfen waren ein hoffnungsvoller Anfang. So oder so sind diese 300 Millionen Euro Soforthilfe aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein gewesen. Dann hat man es leider auch versäumt, das Geld mit einem klaren Verwendungszweck zu versehen. Deshalb dürfte es oftmals allein dazu gedient haben, das vorhandene Defizit ein wenig zu mindern. Ich zumindest kenne keine Kinderklinik, die davon etwas gesehen hat und auch nur eine zusätzliche Stelle einrichten konnte.

Was ist mit den Fallpauschalen?

Entgegen den Versprechungen des Gesundheitsministers ist die Kindermedizin nicht aus dem System der Fallpauschalen genommen worden und wird auch nicht „erlösneutral“ finanziert, sondern ist weiterhin meist hochdefizitär. Stattdessen haben wir uns in Diskussionen über eine Krankenhausreform verloren, die vielleicht nie kommen wird. Die Kindermedizin ist meiner Meinung nach jedenfalls bis dato komplett untergegangen.

Ist das nicht ein bisschen zu negativ? Schließlich scheint Einigkeit darüber zu herrschen, dass künftig nicht mehr nur Leistungen, sondern auch Vorhaltekosten finanziert werden sollen, die gerade in der Kindermedizin besonders hoch sind. Auch, dass die Pädiatrie neben der Gynäkologie und der Notfallmedizin noch einmal besser ausgestattet werden muss, scheint Konsens.

Die größte Einigkeit scheint für mich darin zu bestehen, dass kein zusätzlicher Euro ins Gesamtsystem fließen soll. Das führt für mich zu der Frage, welcher Bereich zurückstecken wird. Ansonsten gibt es zur Klinikreform nicht mehr als ein Eckpunktepapier, in dem so gut wie alles offengelassen worden ist – inklusive der Zuschläge, die es tatsächlich für die von Ihnen genannten Bereiche geben könnte. Gerade die Maximalversorger, zu denen die Unikliniken mit eigener Kinderklinik zählen, sollten auch darauf achten, wie genau sich die Politik die Finanzierung der Leistungen und der Vorhaltekosten vorstellt. Hier muss noch viel nachgearbeitet werden, um eine in allen Stufen langfristig handlungsfähige Kindermedizin garantieren zu können.

Wieso?

Die Maximalversorger sind es, die sehr viele Patientinnen und Patienten und vor allem auch solche mit komplexen Erkrankungen betreuen und für diese die „letzte Wiese“ darstellen. Sie würden daher vielleicht gar nicht so sehr von Pauschalen für Vorhaltekosten profitieren, sondern sind eher darauf angewiesen, dass die Behandlungen ausreichend bezahlt werden. Jedenfalls darf es nicht dazu kommen, dass sie weiter geschwächt werden. Auswertungen der DIVI zeigen, dass es den größten Betten- und Pflegemangel und die relevanten Bettensperrungen vor allem in den großen Kinderkliniken gibt.

Nachdem über Jahre Betten reduziert worden sind, fehlt es aktuell an Personal, um die eigentlich vorhandenen Kapazitäten zu nutzen. Wie kann in dieser Situation mehr Geld helfen?

Kurzfristig, um das Personal zu halten, das noch da ist. Die Löhne müssen hoch und die Zuschläge für Nacht-, Wochenend- und Feiertagsarbeit oder im Vertretungsfall so sein, dass die Leute um die Dienste rangeln. Viele Kinderstationen sind allein deshalb noch nicht kollabiert, weil sich zum Beispiel Pflegerinnen und Pfleger, die eigentlich frei haben, mal wieder breitschlagen lassen und doch zur Arbeit kommen. Dazu sind – verständlicherweise – aber immer weniger bereit, auch weil sie selbst ausbrennen. Langfristig hilft Geld, um das Gesamtsystem so zu verändern, dass es wieder attraktiv wird. Aber da reden wir, so ehrlich muss man sein, womöglich über Jahre, die das benötigt.

Neben mehr Lohn und verlässlichen Frei-Tagen fordern Sie generell eine Entlastung der Pflege. Was meinen Sie damit?

Die Pflege ist zum Beispiel damit beschäftigt, Infusionen und Medikamente aufzuziehen, weil es auf den Stationen keine Pharmazeutisch-Technischen Assistenten und Assistentinnen gibt. Die bräuchte es aber, und die müssten auch refinanziert werden. Pflegerinnen und Pfleger putzen bei uns auch Bettplätze. Untragbar, dass top ausgebildete Kräfte dazu eingesetzt werden müssen.

Als kurzfristig wirksame Maßnahme nennen Sie auch den Aufbau telemedizinischer Netzwerke.

Genau genommen ist das etwas, das auch langfristig Sinn macht. Im Hinblick auf den kommenden Herbst und Winter könnte eine telemedizinische Vernetzung aber zum Beispiel zu einer besseren Verteilung führen. Wir könnten uns mit kleineren Häusern aus dem Umland zusammenschalten und genau schauen, welche Kinder wirklich zu uns nach München müssen. Manche könnten womöglich länger oder ganz dortbleiben, wenn sich ein Spezialist von uns zur morgendlichen Visite zuschaltet. Andersherum ist es so, dass wir wegen fehlender Kapazitäten oft Kinder aus München herausfahren oder -fliegen, die eigentlich bei uns bleiben müssten, und sie mehr oder weniger ihrem Schicksal überlassen. Wie überfordernd es sein kann, sich um Fälle zu kümmern, für die man nicht ausgebildet ist, erleben wir in unserer Klinik selbst. Zum Beispiel, wenn wir Kinder sehr schnell von der Intensiv- auf die Normalstation verlegen müssen, um wieder ein Bett frei zu haben.

Sie fordern auch, Kinderkliniken zu verpflichten, selbst auszubilden. Warum?

Weil die generalistische Pflegeausbildung, die es seit 2020 gibt, die Kindermedizin dramatisch benachteiligt. Damals hieß es, dass das großartig wird, weil aus der Generalistik viele in die Kindermedizin gehen würden. Nun kommt aber so gut wie niemand mehr zu uns. Und das liegt nicht nur daran, dass sich deren Ausbildung praktisch verlängert, weil wir sie im Anschluss an die abgeschlossene Ausbildung noch nachqualifizieren müssen.

Wo liegt dann das Problem?

Wir verlieren die jungen Leute ganz am Anfang: Wer mit Kindern arbeiten möchte, will nicht erst eineinhalb Jahre Alten- und dann ein Jahr Erwachsenen- und schließlich nur ein paar Wochen Kinderpflege machen. Die gehen dann lieber in die Kita, verdienen dort mitunter besser und haben keine Nacht- und Wochenenddienste.

Gibt es Kliniken, die bereits ausbilden?

Die gibt es, aber die große Mehrheit tut es eben nicht. Vermutlich auch, weil ihnen der Mangel eher entgegenkommt: Je weniger Pflege wir in der Pädiatrie haben, desto kleiner wird diese, und je kleiner die Kinderklinik wird, desto besser ist es, weil sie meist ja doch finanziell nur ein Klotz am Bein ist. Wir müssten politisch erzwingen, dass Kinderklinken verpflichtend ausbilden müssen und dass diejenigen Kliniken, die für die Kinderkrankenpflege ausbilden, die Mehrkosten der Ausbildung durch die Vertiefung in der Kindermedizin von den Kostenträgern erstattet bekommen. Die müssten sagen: Danke, dass ihr das macht, denn wir brauchen die Kindermedizin!