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Die Entscheidung fiel Ende Februar 2024: Das EU-Parlament hat eine europaweite Regelung für verpflichtende Gesundheitstests bei Autofahrerinnen und Autofahrern abgelehnt. Somit bleibt es weiter den einzelnen EU-Staaten überlassen, ob sie regelmäßige Gesundheitschecks einführen. Richtige Entscheidung oder verpasste Chance? Unsere Autoren über das Pro und Contra von Gesundheitschecks.

Contra: Gesundheitschecks bringen nichts

Ja, es stimmt: Wer alt ist, fährt in der Regel schlechter als in jungen Jahren. Ab etwa 75 ist das Unfallrisiko im statistischen Durchschnitt ähnlich hoch wie bei jungen Fahranfängern. Die Einbußen des Alters, von nachlassender Konzentration bis hin zu schwindender Beweglichkeit, fordern ihren Tribut. Ist es da nicht richtig, Gesundheitschecks für ältere Autofahrende vorzuschreiben, um diejenigen herauszufischen, die nicht mehr sicher unterwegs sind und eine Gefahr auf den Straßen darstellen?

Nein. Denn: Verpflichtende medizinische Tests gehen am Kern des Problems vorbei. Sie könnten es sogar verschärfen. Die Lösung liegt vermutlich ganz woanders.

Kai Klindt spricht sich gegen verpflichtende Gesundheitschecks aus.

Kai Klindt spricht sich gegen verpflichtende Gesundheitschecks aus.

Eine Testpflicht für alle Älteren wäre viel zu pauschal

In Deutschland fährt fast jeder Zweite ab 75[1] noch selbst Auto. Es sind rund 3,5 Millionen Menschen, eine große Zahl, die mit dem demografischen Wandel noch steigen dürfte. Diese Gruppe ist in puncto Gesundheit und Fitness vermutlich so unterschiedlich wie keine jüngere Altersklasse von Erwachsenen. Es gibt Ältere, die sicherer am Steuer sind als mancher 40-Jährige. Eine Testpflicht für alle ab 70, wie sie in den vergangenen Monaten diskutiert wurde, wäre daher viel zu pauschal. Man könnte sogar von Altersdiskriminierung sprechen, solange sich nicht auch jüngere Fahrende solchen Gesundheitsprüfungen unterziehen müssten.

Der springende Punkt aber ist: Obligatorische Gesundheitschecks für Ältere am Steuer tragen zur Verkehrssicherheit wenig bis nichts bei. Davon zeugen Erfahrungen aus anderen Ländern[2], die in Studien[3] dokumentiert sind[4]. So ist das Unfallrisiko durch Ältere in der Schweiz[5] nicht niedriger als in Deutschland und Österreich – obgleich es in der Eidgenossenschaft seit einiger Zeit verpflichtende Gesundheitschecks gibt.

Untersuchungen deuten darauf hin, dass eher ein gegenteiliger Effekt[4] eintritt[2]: Wer wegen des Tests vom Auto Abschied nimmt – oder sich gar nicht erst zum Check traut, auch das dürfte es geben – kann zwar andere nicht mehr gefährden. Manche Ältere steigen in dieser Lage jedoch aufs Fahrrad um oder gehen zu Fuß – und sind dann einem höheren individuellen Unfallrisiko ausgesetzt.

Wie gut jemand fährt, lässt sich nur beim Fahren beurteilen

Ohnehin sind Tests außerhalb des Autos kaum geeignet, auf das echte Fahrverhalten zu schließen. Wie gut und sicher jemand fährt, lässt sich nur beim Fahren beurteilen. Expertinnen und Experten plädieren daher schon seit Längerem für sogenannte Rückmeldefahrten. Dabei setzt sich eine geschulte Person – meist eine Fahrlehrerin oder ein Fahrlehrer – auf den Beifahrersitz und gibt nach der Tour ein Feedback, Tipps inklusive.

Mit diesem Modell lässt sich die Fahrsicherheit im Alter tatsächlich verbessern, weiß die Forschung[6]. Ziel der begleiteten Proberunde ist in erster Linie der Erhalt, weniger die Überprüfung der Fahrtauglichkeit – das hat einen ganz anderen Klang als ein auferlegter Gesundheitscheck in einer Praxis oder Behörde. Manch einer, heißt es aus der Praxis, merke bei der Fahrt auch selbst, dass er vielleicht nicht mehr fahren sollte.

Noch ist das Angebot an Rückmeldefahrten rar und mit Kosten verbunden, es ist zudem noch unklar, ob es in der Breite funktioniert. Doch eines macht das Modell jetzt schon deutlich: Es gibt bessere Wege als Gesundheitstests, um zu erreichen, worauf es am Ende ankommt: die Unfallrisiken zu senken.

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Pro: Keine Gesundheitschecks – eine verpasste Chance

Regelmäßige Medizinchecks für Autofahrer werden aller Voraussicht nach nicht kommen. Das ist schade. Denn: Gesundheitschecks hätten niemandem geschadet und den Straßenverkehr im besten Fall sogar sicherer gemacht.

Ali Roodsari hält Gesundheitschecks für sinnvoll.

Ali Roodsari hält Gesundheitschecks für sinnvoll.

Acht Menschen pro Tag sterben auf deutschen Straßen

Bestimmt wird jemand argumentieren: Die Zahl der Verkehrstoten sinkt doch seit Jahren! Das stimmt. Über einen längeren Zeitraum gesehen gab es in Deutschland immer weniger Verkehrstote und Schwerverletzte. Dennoch: 2023 stiegen die Zahlen nach den Coronajahren wieder leicht an. Es gab etwa 2,5 Millionen Unfälle, bei etwa 291.000 Unfällen wurden Menschen verletzt. 2.830 davon starben. Darunter deutlich mehr Fußgängerinnen und Fußgänger als in den Vorjahren. Das sind etwa acht Menschen pro Tag.[7] Eine erschreckende Zahl – die nicht sein müsste.

Denn verschiedene Berichte deuten darauf hin, dass regelmäßige Gesundheitschecks den Straßenverkehr sicherer machen können. Zahlen gibt es dazu vor allem mit Blick auf ältere Menschen. Eine Untersuchung des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft zum Beispiel zeigt: Etwa die Hälfte der Falschfahrer auf der Autobahn waren über 65 Jahre. In dieser Altersklasse war der ermittelte Hauptgrund für die Falschfahrt meist Demenz oder Verwirrung[8] – ein Gesundheitszustand, der Ärztinnen und Ärzten bei verpflichtenden regelmäßigen Untersuchungen in vielen Fällen auffallen könnte.

Ältere sind oft Hauptverursacher bei Unfällen

Eine Studie aus Japan[9] belegt, dass die Zahl der motorisierten Unfälle sank, nachdem Gesundheitschecks für ältere Menschen verpflichtend wurden. Und auch das Statistische Bundesamt berichtet: Zwar sind ältere Menschen in Deutschland in absoluten Zahlen weniger an Unfällen beteiligt. Das liege aber auch daran, dass sie seltener Auto fahren, etwa weil der tägliche Weg zur Arbeit wegfällt. Sind Autofahrerinnen oder Autofahren ab 65 Jahren dagegen an einem „Unfall mit Personenschaden“ verwickelt, tragen sie öfter die Hauptschuld als Jüngere. 2022 war das in fast 70 Prozent der Fälle so.[10]

Wer noch anekdotische Evidenz sucht: Ein regelmäßiger Blick in Polizeiberichte oder Zeitungsmeldungen liefert genug Material. Vor allem bei älteren Menschen heißt es oft „hat Gas und Bremse verwechselt” oder „hat die Kontrolle über das Auto verloren.“ Tatsächlich dürfte jede und jeder auch den einen Freund kennen, der sich aus Eitelkeit weigert, mit Brille Auto zu fahren. Oder den Opa, der sich nicht mehr genug für einen Schulterblick verbiegen kann oder dessen Reaktionszeit schon mal besser war. Was ihn aber nicht daran hindert, noch regelmäßig ins Auto zu steigen.

Auch andere Länder haben Gesundheitschecks

Unsere Nachbarn machen es vor: In Ländern wie Italien, Spanien, Dänemark oder Finnland sind regelmäßige Gesundheitschecks auf die eine oder andere Weise bereits Pflicht, meist für ältere Menschen. Und selbst bei uns gibt es diese Prüfungen. Allerdings betreffen sie vor allem LKW-Fahrer: Die müssen spätestens alle fünf Jahre ihren Führerschein erneuern und eine Gesundheitsprüfung durchlaufen. Das ist wichtig, denn ein LKW außer Kontrolle kann hohen Sachschaden verursachen und Menschen gefährdeten. Doch das trifft auch auf jeden PKW zu, wenn am Steuer ein unsicherer Fahrer sitzt.


Quellen:

  • [1] gik media: b4p best for planning 2023. Marktforschung: https://gik.media/... (Abgerufen am 11.01.2024)
  • [2] Hakamies-Blomqvist L, Johansson K, Lundberg C: Medical Screening of Older Drivers as a Traffic Safety Measure—A Comparative Finnish-Swedish Evaluation Study. Journal of the American Geriatrics Society: https://agsjournals.onlinelibrary.wiley.com/... (Abgerufen am 04.03.2024)
  • [3] Huwiler K, Uhr A, Hertach P: Altersbasierte verkehrsmedizinische Kontrolluntersuchungen: Evaluation des Schweizer Systems. Fachdokumentation der Beratungsstelle für Unfallverhütung BFU Bern: https://www.bfu.ch/... (Abgerufen am 11.01.2024)
  • [4] Siren A, Meng A: Cognitive screening of older drivers does not produce safety benefits. Accident Analysis & Prevention: https://www.sciencedirect.com/... (Abgerufen am 11.01.2024)
  • [5] Hertach P, Huwiler K, Breuss EA et al.: Age-based medical screening of drivers in Switzerland: an ecological study comparing accident rates with Austria and Germany. Swiss medical weekly: https://smw.ch/... (Abgerufen am 01.03.2024)
  • [6] Fastenmeier W., Plewka M, Gstalter H et al.: Rückmeldefahrt für Senior:innen (II). Unfallforschung der Versicherer (UDV): https://www.udv.de/... (Abgerufen am 01.03.2024)
  • [7] Statistisches Bundesamt: Unfallbilanz 2023: 42 Verkehrstote mehr als im Vorjahr. https://www.destatis.de/... (Abgerufen am 29.02.2024)
  • [8] Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft: Unfälle durch Falschfahrten auf Autobahnen. https://www.udv.de/... (Abgerufen am 29.02.2024)
  • [9] Inada H, Tomio J, Nakahara S: Association between mandatory cognitive testing for license renewal and motor vehicle collisions and road injuries . https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/... (Abgerufen am 29.02.2024)
  • [10] Statistisches Bundesamt: Presse Ältere Autofahrerinnen und -fahrer sind bei Unfällen häufiger Hauptverursachende. https://www.destatis.de/... (Abgerufen am 01.03.2024)
  • Kanton Zürüch: Verkehrsmedizinische Kontrolluntersuchung. https://www.zh.ch/... (Abgerufen am 04.03.2024)
  • Dirección General de Tráfico: Permiso de conducir para mayores de 65 años. https://www.dgt.es/... (Abgerufen am 04.03.2024)
  • City of Copenhagen: Danish driving licences. https://international.kk.dk/... (Abgerufen am 04.03.2024)