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Als Spritze, Gel oder doch als Tablette? Seit Jahrzehnten forschen Wissenschaftler an einer „Pille für den Mann“. Die Antibabypille revolutionierte in den 1960ern den Sex. Doch die Suche nach dem Pendant für den Mann kommt nicht recht voran. Dabei würde eine deutliche Mehrheit der Menschen in Deutschland ein solches Medikament begrüßen, wie eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Yougov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur zeigt. Auch eine neue Studie in den USA lenkt den Blick darauf, dass Männer sich stärker an der Verhütung beteiligen könnten.

Derzeit gibt es für Männer vorrangig zwei sichere Möglichkeiten: Kondom oder Vasektomie – also ein chirurgischer Eingriff, bei dem der Samenleiter durchtrennt wird. „Die Vasektomie als Operation schreckt viele ab, weil sie Bilder von Skalpellen und von Blut im Kopf haben“, sagt der Psychologe Michael Klein. Und es sei nun mal ein invasives Verfahren, also ein Eingriff in den Körper.

Aber auch das Kondom, das die Pille als beliebtestes Verhütungsmittel in Deutschland abgelöst hat, komme oft gar nicht gut an. Viele Männer lehnten das „Gummi“ ab, weil es angeblich die Sensibilität undGefühlsechtheit beeinflusst – und auch mal für eine unangenehme Pause beim Sex sorgen kann.

Starke Nebenwirkungen bei Hormonspritze

US-Wissenschaftler forschen an einer Tablette. „Die neue Pille ist anders als die bisherigen Ideen“, urteilt Michael Zitzmann. Der Männermediziner vom Centrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie in Münster ist ein ausgewiesener Experte. Er hat in den 2010er-Jahren eine Studie zum Thema im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation (WHO) geführt. Dabei ging es aber nicht um eine Tablette, wie es der Oberbegriff „Pille für den Mann“ nahelegt, sondern um eine Hormonspritze. Die schlug bei den meisten Probanden gut an, aber letztlich klagten zu viele Männer über starke Nebenwirkungen. Die Studie wurde abgebrochen.

„Es kam zu Stimmungsschwankungen bei 10 bis 15 Prozent der Teilnehmer bis hin zu Depressionen sowie Gewichtsbildung und Akne“, sagt Zitzmann der Deutschen Presse-Agentur. Auch die Libido war demnach betroffen, was teilweise zu Paar-Problemen geführt habe.

Die neue Substanz kommt ohne Hormone aus

„Die neue US-Studie nutzt eine neue Substanz“, erläutert Zitzmann. Der Name: „YCT529“, ein hormonfreier Retinsäure-Rezeptor-Alpha-Hemmer (RAR-Alpha). „Damit wird der Zugang zum Vitamin A blockiert, mit dem Ziel, die Spermienbildung in den Hoden zu hemmen.“

Bei Tests an männlichen Mäusen zeigte das Verhütungsmittel nach Angaben der Wissenschaftler eine Wirksamkeit von 99 Prozent. Es habe keine Nebenwirkungen gegeben und die Mäuse seien vier bis sechs Wochen nach Absetzen der Pille wieder zeugungsfähig gewesen. Nun läuft voraussichtlich bis Juni eine klinische Phase-I-Studie mit 18 Teilnehmern, darunter auch Männer in Großbritannien. Ein erster Schritt.

„Die Welt ist bereit für ein männliches Verhütungsmittel, und die Verabreichung eines hormonfreien Mittels ist das Richtige, wenn man bedenkt, was wir über die Nebenwirkungen wissen, unter denen Frauen seit Jahrzehnten durch die Pille leiden“, wird die Chemikerin Gunda Georg, Mitentwicklerin des Medikaments, in einer Mitteilung zitiert.

Zitzmann ist skeptisch. Er rechnet mit gesundheitlichen Problemen als Folge der Blockierung des speziellen Rezeptors für Vitamin A. „Mögliche Nebenwirkungen dürften Sehprobleme, Verdauungsstörungen und Probleme beim Wasserlassen sein, womöglich sind die Folgen irreversibel“, sagt er.

Umfrage: 70 Prozent befürworten die „Pille für den Mann“

Das Interesse an einer „Pille für den Mann“ ist groß. Grundsätzlich würden 70 Prozent der Menschen in Deutschland sie „auf jeden Fall“ oder „eher“ befürworten. Das ergab eine bevölkerungsrepräsentative Online-Umfrage von Yougov unter 2032 Menschen.

Bei genauerem Blick werden allerdings Unterschiede zwischen den Geschlechtern deutlich: Bei Frauen fiel die Zustimmung mit rund drei Vierteln deutlich höher aus. Zwar sprachen sich immerhin 63 Prozent der befragten Männer im Grundsatz dafür aus. Vorstellen können sich die Einnahme aber nur 37 Prozent sicher. Es gebe noch immer eine große Lücke zwischen Einstellung und Verhalten – also Akzeptanz und tatsächlicher Bereitschaft –, sagt auch Psychologe Klein.

Das dürfte auch mit der Kulturgeschichte zu tun haben. „Wir haben eine lange Tradition, dass Frauen stärker verantwortlich gemacht werden für das Thema Schwangerschaft“, sagt der Experte von der Katholischen Hochschule NRW in Köln. Das sei durch die Pille für die Frau verstärkt worden. „Das Thema „Pille für den Mann“ ist in den vergangenen 60 Jahren bei aller Emanzipation und Gleichberechtigung unerfreulicherweise liegengeblieben.“ Erfreulich sei nun, dass an neuen Präparaten geforscht werde.

Verhütung für den Mann: Weitere Präparate im Test

Außer der US-Studie zu Tabletten gibt es weitere Vorhaben. Bei einem geht es um ein Gel mit Nestoron, einem synthetischen Hormon, das als Arzneistoff zur Empfängnisverhütung bekannt ist, und dem Sexualhormon Testosteron. Es wird dem Mann täglich auf Arme und Schulter aufgetragen. Hier ist die Studie schon in Phase II, bei der es nicht mehr nur um eine erste Prüfung der Verträglichkeit, sondern auch schon um die Wirksamkeit geht. Grundsätzlich ist Experte Zitzmann zuversichtlich. „Es sieht nun tatsächlich so aus, dass es noch höchstens fünf Jahre dauert, bis ein Präparat entwickelt ist“, sagt er – um schmunzelnd einzuräumen, dass er das schon häufiger gedacht habe.

Es sind für den Erfolg mehrere Hürden zu nehmen. „Frauen müssen auf das Mittel vertrauen können“, sagt Zitzmann. Doch bis zu einer Einführung dürfte es auch aus anderen Gründen noch längere Zeit dauern. So gibt es bisher noch keine größere Studie. Außerdem müsste ein größerer Hersteller Interesse haben.

Finanziell könnte es sich durchaus lohnen, haben Wissenschaftler bereits vor rund acht Jahren in der Fachzeitschrift „Current Obstetrics and Gynecology Reports“ festgestellt. Angesichts eines geschätzten Markts von zehn Millionen Männern in den USA und 50 Millionen weiteren Männern weltweit errechneten sie damals einen Marktwert einer neuen Verhütungsmethode von 40 bis 200 Milliarden US-Dollar, umgerechnet bis zu 185 Milliarden Euro.

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