Gespräch mit einem Ohrstöpsel: „Gönnt uns mal eine Pause!“
Darf ich mit einem herzlichen Dankeschön beginnen – für die vielen Nächte, in denen ich ohne Sie kein Auge zugetan hätte?
Schon gut! Aber können Sie nicht etwas leiser sprechen? Sie haben keine Ahnung, was ich heute Nacht wieder aushalten musste. Dass die Menschen beim Schlafen solche Töne von sich geben können! Entsetzlich!
Ich wusste nicht, dass Ohrstöpsel selbst lärmempfindlich sind.
Das wären Sie auch, wenn Sie jede Nacht dieses Geröchel und Gepfeife aushalten müssten. Wussten Sie, dass es Extremschnarcher auf bis zu 90 Dezibel bringen? Das ist, als wenn Lastwagen an Ihnen vorbeidonnern. Ins Guinnessbuch der Rekorde hat es ein Schnarcher geschafft, der so laut sägt wie ein Düsenflugzeug im Landeanflug. Er bringt es auf volle 111 Dezibel. Ich glaube, heute Nacht lag so jemand neben mir.
Deswegen sind Ihnen viele Menschen ja auch so dankbar. Schließlich kann Lärm gerade im Schlaf gesundheitsschädlich sein.
Richtig. Aber deswegen müssen Sie mich nicht anschreien. Das waren gerade bestimmt 70 Dezibel. Der Weltgesundheitsorganisation zufolge wird es im Schlaf schon bei einem Dauerkrach von 40 Dezibel gesundheitsschädlich. Man schläft nicht so tief, wacht öfter auf. Tagsüber ist man müde, unruhig, gestresst. Sogar das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Depressionen und Diabetes nimmt zu.
Aber sind Ohrstöpsel dann nicht eine prima Lösung?
(Gähnt) Aber nur, wenn man uns auch mal eine Pause gönnt. Wir sorgen gern hin und wieder für Ruhe. Etwa auf Reisen oder beim Nachmittagsschläfchen. Aber man muss bedenken: Völlig still wird es auch mit uns im Ohr nicht. Wir können zwar den Schall abpuffern, der über die Luft in das Ohr dringt. Aber Menschen hören auch noch auf andere Weise: Töne versetzen auch den Schädelknochen in feine Schwingungen, die ebenfalls weitergeleitet werden. Dagegen sind wir machtlos.
Wie viel Lärm können Sie denn schlucken?
Wir puffern im Schnitt etwa 30 Dezibel ab. So laut wie Sie sprechen, da könnte man auch mit uns im Ohr daneben nicht ruhig schlafen. Zudem ist es wichtig, dass wir gut im Gehörgang sitzen. Ich bestehe aus Schaumstoff. Man muss mich zusammendrücken und tief ins Ohr stecken. Dort dehne ich mich aus und halte den Lärm draußen. Aber es gibt auch Kollegen aus formbarem Wachs oder Silikon. Dem Ohr schaden wir alle nicht. Allerdings ist es wichtig, uns öfter mal eine Nacht Ruhe zu gönnen. Nicht, dass Sie abhängig von uns werden.
Ohrstöpselsucht? Sie wollen mich wohl veralbern.
Jetzt lachen Sie noch. Aber tragen Sie uns mal für ein paar Wochen. Mal sehen, ob sie dann mit offenen Ohren noch ein Auge zutun. Das menschliche Gehirn gewöhnt sich an die Ruhe. Und wehe, es ist dann mal kein Ohrstöpsel da, der für die ersehnte Stille sorgt. Dann hören Sie eine Stecknadel fallen und wachen auf. Die Entwöhnung ist dann gar nicht so einfach.
Was raten Sie, wenn man vor lauter Lärm nicht schlafen kann?
Am besten dafür sorgen, dass der Schlaf auch ohne uns ungestört ist. Das beginnt schon bei der Wahl des Schlafzimmers. Vor dem Fenster sollte keine Straße sein. Bei Verkehrslärm helfen dämmende Scheiben. Wenn die Ursache das Sägen neben einem ist, sollte man über getrennte Schlafzimmer nachdenken. Der Gesundheit zuliebe. (Gähnt wieder.) Und damit auch wir mal eine Pause bekommen.
Quellen:
- Deutsche Stiftung Schlaf: Themenfokus Schnarchen, 11 überraschende Fakten. https://deutschestiftungschlaf.org/... (Abgerufen am 09.05.2022)
- WHO: Leitlinien zum Schutz vor nächtlicher Lärmbelastung. https://www.euro.who.int/... (Abgerufen am 09.05.2022)