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Brauchen Geschwister eine Trennung in der Kita, um sich unabhängig voneinander entwickeln zu können? Schadet es ihnen, wenn sie zusammen in einer Gruppe betreut werden oder profitieren sie eher davon? Diese Fragen stellen sich viele Mehrkindfamilien irgendwann. Nur: Forschung, die ihnen wissenschaftlich fundiert eine Antwort ­geben könnte, fehlt. Dabei treibt dieses Thema auch das Fachpersonal in den Kindertagesstätten um.

Christine Nitsche, Diplom-Pädagogin bei der AWO Thüringen

Christine Nitsche, Diplom-Pädagogin bei der AWO Thüringen

Individuell statt pauschal

"Das ist eine Grundsatzdiskussion, die jeder anders sieht", beschreibt Christine Nitsche, Diplom-Pädagogin und Fachberaterin für Kindertageseinrichtungen bei der AWO Thüringen in Erfurt, die Situation. So gibt es in den Einrichtungen vielfäl­tige Modelle. Manche trennen Geschwister generell, andere besprechen sich mit den Eltern und suchen dann eine Lösung. In manchen Kitas ist eine einmal ­getroffene Entscheidung bindend für den gesamten Betreuungszeitraum. Andere reagieren flexibel, wenn sich zeigt, dass die Kinder ­einen anderen Weg brauchen.

Zunächst praktisch?

Die eigenen Kinder zusammen in ­einer ­Gruppe: "Viele Eltern finden den Gedanken zunächst einmal praktisch – nur ein Elternabend, zu dem sie gehen, nur ein Termin, den sie für die Entwicklungsgespräche wahrnehmen müssen", sagt Dr. Julia Berkic, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Staatsinstitut für Frühpädagogik in München. Die Diplom-Psychologin hat selbst zwei Kinder und kennt die Schwierigkeiten von Eltern.

Dr. Julia Berkic, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Staatsinstitut für Frühpädagogik in München

Dr. Julia Berkic, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Staatsinstitut für Frühpädagogik in München

Auch Christine Nitsche hält solche Über­legungen für absolut nachvollziehbar. Dennoch betonen beide, dass Geschwister (auch Zwillinge) indivi­duelle Lösungen brauchen. Was ist das Beste für das jeweilige Kind? ­Diese Frage sollte einer Entscheidung immer zugrunde liegen. Was für das eine Geschwisterpaar funktioniert, passt nicht zwingend für jedes an­dere. "Eine pauschale Antwort gibt es nicht", sagt Julia Berkic.

Auf Bedürfnisse achten

Der genaue Blick auf die Kinder und ihre Bedürfnisse ist wichtig. Und: "Stellt sich ­eine getroffene Entscheidung als falsch heraus, sollte die Einrichtung flexibel reagieren und die Situation verändern", sagt Nitsche. Oberstes Ziel müsse immer sein, dass sich das Kind wohlfühlt und am Nachmittag glücklich nach Hause geht. "Nur dann wird es sich frei in der Einrichtung bewegen, die Angebote dort optimal nutzen und etwas lernen", ergänzt Julia Berkic.

Dem Bauchgefühl vertrauen

Doch wie treffen Eltern am besten ­eine Entscheidung? Indem sie zunächst die Wünsche der Kinder – ­etwa ab dem Kindergartenalter ist das sinnvoll – erfragen, auch wenn letztlich sie selbst die Entscheidung treffen müssen, rät Nitsche. Ihrer ­Erfahrung nach haben Mütter und Väter ein sehr gutes Gespür dafür, was dem Nachwuchs guttut. Trotzdem fühlen sich manche un­sicher. Und manchmal sind Eltern in ihrer Einschätzung auch uneins.
"Das Aufnahmegespräch in der Kita bietet die Gelegenheit, sich mit der zuständigen Fachkraft über die eigenen Überlegungen zu unterhalten", sagt Nitsche. Ideal: ein Austausch auf Augenhöhe, bei dem beide Seiten einander zuhören. "Oft geht ja das ­ältere schon in die Einrichtung. Die Fachkraft kennt es, hat Einblicke in das Fami­lienleben und vielleicht auch in die Geschwisterbeziehung", erklärt Nitsche. Geht es um Zwillinge oder beginnen Geschwister zusammen neu in der Einrichtung, ist die Fachkraft stärker auf die Einschätzung der Eltern angewiesen.

Wie ein sicherer Hafen

Der klare Vorteil, wenn Geschwister eine Gruppe besuchen: Der große Bruder/die große Schwester ist dem Jüngeren vertraut. Die Trennung von den Eltern und der Neuanfang in der Kita fallen an seiner/ihrer Seite leichter. "Bei einem Problem sind sie wie ein sicherer Hafen, den das jüngere Kind anlaufen kann", sagt Nitsche. Die ­Sorge vieler Eltern, das ältere über­nehme Erzieher-Aufgaben oder ­werde durch das Helfen zu stark beansprucht, sei unnötig. "Es ist unsere Aufgabe, das im Blick zu haben und einzugreifen, falls es überhand nimmt und das ältere Kind behindert", sagt Nitsche.

Wege trennen sich automatisch

Eine weitere Sorge nimmt die Pä­dagogin: dass die Geschwister nur auf sich fokussiert sein könnten und ­keine Kontakte zu anderen aufbauen. "Natürlich dockt das ­Kleine am Großen an, und das Große hat das Kleine im Blick. Aber das passiert in der ­Regel nur am Anfang. Sobald das Jün­gere gut angekommen ist und sich ­sicher fühlt, trennen sich die Weg ­automatisch." Und falls nicht? "Dann schauen wir, welches Kind ein passender Spielpartner ­­wäre und fädeln das geschickt ein", sagt Nitsche.

Besser getrennte Gruppen?

Streiten Geschwister zu Hause viel, verhält sich eines der Kinder sehr ­­dominant oder konkurrieren sie ständig um die Aufmerksamkeit von ­Mama und Papa, sind zwei Gruppen eventuell die bessere Wahl. "Das kann ihnen die Chance geben, sich etwas Eigenes aufzubauen", erklärt Julia Berkic. Die Psychologin legt Wert auf die Betonung "kann", denn pauschalisieren lässt sich auch hier nicht. Und manchmal entwickelt sich dominierendes und konkurrierendes Verhalten erst während der gemeinsamen Kitazeit.

Das Gespräch suchen

Machen sich Eltern Sorgen, sollten sie dies zunächst mit der Bezugserzieherin besprechen – und Geduld haben, wenn diese die Situation noch etwas beobachten will, um sich eine Meinung zu bilden. Wer das Gefühl hat, nicht gehört zu werden, wendet sich am besten an die Leitung und even­­tuell an den Elternbeirat. Ist eine Veränderung aus strukturellen Gründen nicht möglich, bleibt allerdings nur eines: das leidende Kind aus der Einrichtung zu nehmen.