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Beim Sport bestimmte Körperfunktionen über das Smart­phone zu messen, liegt im Trend. Mittlerweile können das sogar spezielle Kleidungsstücke. Seit Jahren wird bereits an solchen "Wearables" geforscht. Dass es bald auch Handcremes direkt aus den Handschuhen und Schmerzmittel im Kapuzenpulli geben soll, erscheint jedoch noch utopisch.

Medikamente aus den Klamotten

Doch was sich wie Science-Fiction anhört, wird in den Schweizer Labors der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt ­(Empa) in St. Gallen gerade Realität. Seit ungefähr fünf Jahren erforscht die Empa "in­tel­ligente" Textilfasern, berichtet Dr. Giuseppino Fortunato, der sie im Rahmen des Projekts "Self Care Materials" gemeinsam mit seinem Kollegen Professor René Rossi entwickelt.

Damit sind sie nicht allein: Die Fraun­hofer-Gesellschaft arbeitet bereits seit zehn Jahren an sogenannten e-Textilien. Smarte Fasern in der Kleidung sollen künftig die medikamentöse Behandlung erleichtern. Über Sensoren erkennen sie den Therapiebedarf und geben die nötigen Wirkstoffe automatisch an die Haut ab. Wer also Angst vor Spritzen hat, darf sich vielleicht auf eine mög­liche Alternative freuen. Wundauflagen und Pflaster, die so funktionieren, gibt es bereits. Typisches Beispiel: das Schmerzpflaster.

Auf dem Markt ist die intelligente Kleidung bisher noch nicht. "Das wird je nach Anwendung noch zwei bis acht Jahre dauern", glaubt der Schweizer Wissenschaftler. Laut Dr. Bernhard Brunner, Forscher am Würzburger Fraunhofer-Institut, hängt die lange Entwicklungszeit mit der teuren Herstellung zusammen. Auch bequem seien die Kleidungsstücke bislang noch nicht. Vor ­allem aber ist die Ungenauigkeit der Sensoren noch problematisch: "Die Messdaten müssen für die Behandlung mit Medikamenten sehr genau sein", fordert Brunner.

Pyjama für Frühchen

Ohnehin kämen zuerst Kleidungs­stücke mit Pflegeprodukten in die Geschäfte, meint Fortunato. Sogar mit Duftstoffen arbeiten die Forschenden an der Empa – Eau de Parfum aus der Kleidung sozusagen. Einen vergleichbaren medizinischen Prototyp gibt es bisher nur für Babys. "Im Rahmen eines ­­Forschungsprojekts haben wir einen Pyjama für Frühgeborene entwickelt", berichtet Fortunato. Um einen Atemstillstand bei den Frühchen zu verhindern, spritzen Ärztinnen oder Ärzte den Kindern Koffein – eine stressige Prozedur für die Neugeborenen. Der neuartige Schlafanzug gibt stattdessen den Wirkstoff ­sozusagen wie ein Arzneipflaster über die Haut des Kindes ab.

Dabei unterscheidet sich dieses Produkt von der Funktion bisher bekannter Arzneipflaster, die den Wirkstoff üblicherweise dauerhaft gleichmäßig über die Haut abgeben. Mit dem neu entwickelten Pyjama können die Behandelnden die Wirkstoffmenge und die Dauer der Abgabe gezielt steuern, indem sie ihn mit UV-Licht bestrahlen.

Ähnlich soll auch intelligente Kleidung funktionieren, die sich derzeit noch in der Testphase befindet. Das Kleidungsstück setzt den Wirkstoff erst dann frei, wenn es den Bedarf erkennt.

Wie smarte Kleidung funktionieren soll

Die smarten Fasern können über Sensoren Körpermesswerte des Tragenden ermitteln. "Das kann zum Beispiel durch eine Veränderung der Körpertemperatur oder des pH-Werts der Haut passieren", sagt Fortunato. Bei einer Abweichung von den Normalwerten gibt das Gewebe die vorab verschriebenen Arzneistoffe entsprechend ab. Irgendwann werden solche Sensoren vielleicht auch Blutzucker- oder Blutdruckwerte messen können.

Das Medikament ist in die Polymere des Kleidungsstücks eingebettet. Ausgelöst durch einen Reiz, sondern die Fasern den Wirkstoff auf die Haut ab. Sie reagieren dabei aber nicht nur auf Signale des Körpers, sondern auch auf bewusst gesetzte Reize aufgrund von UV-Bestrahlung oder Druck. Ob solche Kleidungsstücke verschreibungspflichtig sein werden, ist noch ­offen. "Das hängt auch vom Wirkstoff ab", so der Forscher.

Um die Abgabe des Medikaments zu stoppen, musste ein Arzneipflaster bisher immer von der Haut entfernt werden. Die cleveren Klamotten rea­gieren jedoch wie bei der Freisetzung der Medikamente auf Veränderungen der Körpermesswerte. "Wenn sie unter- oder überschritten werden, wird nichts mehr abgegeben", so Fortunato.

Großes Potential für die Therapie

Die Forschenden sehen in der Technologie großes Potenzial für die Therapie. "Vergesslichen Personen kann so geholfen werden, damit sie ihre Medikamente zur richtigen Zeit erhalten", glaubt Fortunato. Das gilt vor allem für Menschen mit Alzheimer. Die Kleidung kann dann womöglich zur Lebensqualität der Betroffenen beitragen und Pflegekräfte entlasten.

Weitergeben dürfe man die Kleidung aber nicht, das wäre gesundheits­­gefährdend. Und wie sie gewaschen werden soll, steht ebenfalls noch nicht fest. Dazu müssten alle Produkte vermutlich mit speziellen Substanzen versiegelt werden. Brunner ist noch skeptisch: "Nachfüllen, Waschbarkeit und Hygiene stelle ich mir hier schwierig vor", kommentiert der Fraunhofer-­­Forscher.

Kosten für die Kleidung noch unbekannt

Aktuell arbeiten die Schweizer Wissenschaftler mit Industriepartnern zusammen. Sollte das High-Tech-Verfahren tatsächlich bis zur Marktreife gelangen, müssten die Produkte sehr hohe Qualitätsansprüche erfüllen. Wie viel so ein Kleidungsstück dann in ­etwa kosten wird? Darüber schweigen sich die Schweizer Tüftler noch aus.

Was es mit den Smart Clothes auf sich hat, erklärt auch dieses Video: