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"Ich hab das Paradies gesehen" heißt Ihre Biografie – wo liegt es denn?

In einem selbst. Mit fortschreitender Reife lernt man immer mehr, ich nenne das mal prosaisch so, die Schöpfung zu schätzen. Und ich bin immer wieder Menschen begegnet, die mich in wichtigen Situationen weiterbrachten.

Worüber wundern Sie sich rückblickend am meisten?

Dass man von etwas, das man nicht sehen, riechen, schmecken, anfassen, sondern nur hören kann, durchs ganze Leben getragen wird. Und vom eigenen Talent, wo man sich fragt: Wo kommt das her? Warst du das wirklich alles ganz allein? Ich hatte irre viel Glück und war Manns genug, die Chancen auch zu ergreifen. Das finde ich schier paradiesisch.

Achim Reichel

  • *28. Januar 1944 in Hamburg, St. Pauli
  • Bandleader Mit "The Rattles" international erfolgreich. Danach verschiedene Bands und Projekte. 
  • Hits u. a. "Der Spieler" und "Aloha Heja He".
  • Privatmann: Achim Reichel ist verheiratet, hat zwei Töchter aus zwei Ehen und lebt in Hamburg.

Um das Paradies in sich zu finden, braucht es Lebenserfahrung. Wann war es bei Ihnen so weit?

Das fing Mitte der 1970er an. Da war ich mit einem ziemlich riskanten Lebensstil unterwegs, bis mir ein Freund die Transzendentale Meditation empfahl. Mit kleinen Ausreißern sind Yoga und Meditation bis heute ein Teil meines Tages. Mit 77 weiß ich es einmal mehr zu schätzen, morgens seine Glieder zu recken und zu merken: Es geht noch alles.

Die Rattles galten als "deutsche Beatles". Wie nervig fanden Sie die ewigen Vergleiche?  

Da musste ich mir tatsächlich etwas einfallen lassen und mit einem kreativen Vermögen rüberkommen, was mehr war als nur: Wir dreschen auf unsere Gitarren ein. Mit den Rattles wäre ich nicht ernsthaft weitergekommen. Wer will schon sein Leben lang in den 1960ern stehen bleiben und so tun, als ob er seine ersten langen Hosen anhätte.

Seit den 1970ern machen Sie nur Musik, auf die Sie Lust haben.

Wenn man nur macht, was gerade en vogue ist, läuft man Gefahr, zur Eintagsfliege zu werden. Ich war irgendwann an dem Punkt: Am ehrlichsten gehst du mit dir und mit deinem Publikum um, wenn du nicht nach den Markt- und Radioanforderungen gehst. Das, was sich bei mir meldet, das will auch raus.

Haben Ihnen die Fans da immer folgen können?

Nein. Als Teenie freut man sich zu tun, was einem Spaß bringt und dafür noch Geld bekommt. Aber kommt man damit durchs ganze Leben? Die unbändige Schreierei eines Jünglings weicht einer gewissen Reife. Und es war für mich zwingend notwendig, mich der eigenen Sprache anzunehmen. Ich bin nun mal weder Amerikaner noch Engländer.

Im deutschen Fernsehen bleiben Ihnen aber nur Schlagergalas.

Ist das nicht unfassbar? Wir haben so viele interessante, mündige Künstler, die in der Lage sind, ihre eigenen Texte zu schreiben und sich Melodien einfallen zu lassen. Aber alles, was deutsch ist, wird automatisch dem Schlager zugerechnet. Den Hörern tut man keinen Gefallen, wenn man keine Genres mehr benennt.

Ihr Karrierestart klingt wie ein Märchen: Sie gingen bald mit den Rolling Stones auf Tournee …

Für uns Jungs war das glückliche Normalität, das ergab sich einfach so. Da läuft man ein bisschen Gefahr, schicksalsgläubig zu werden. Und zu denken: Du hast doch immer Glück gehabt, das wird auch jetzt klappen.

Keith Richards von den Stones trafen Sie später in New York …

… in einer Ausstellung auf die Wand projiziert. Das war wie ein Schlag in die Kniekehle. Der Typ sieht aus wie ein Greis, und man ist dieselbe Generation und war mal zusammen auf Tournee.

Was mich damals zum Brennen brachte, ist heute ein Thema fürs Museum! Da hatte ich arg mit der Rührung zu kämpfen.

Sie hatten auch Ihre Tiefs, etwa eine Phase mit üblen Albträumen.

Wenn mich irgendwas wirklich Wichtiges schon Wochen vorher mit einer gewissen Sorte von Lampenfieber kämpfen lässt, dann äußert sich das in diesen verdammten Albträumen, wo man sich ständig bedroht fühlt, verfolgt wird, auf der Flucht ist und die verrücktesten Sachen macht.

Haben Sie die Albträume noch?

Nicht mehr so oft, ich begebe mich ja nicht mehr so oft in solche Situationen. Mittlerweile weiß ich ja auch, was ich kann und dass ich mich auf mich verlassen kann. Vor ein paar Jahren erlitten Sie einen Herzinfarkt.  

Das war eine furchtbare Erfahrung. Da habe ich gemerkt: Es gibt etwas, das ist stärker als du. Vor einem guten Jahr kam ein Bandscheibenvorfall dazu. Das sind so Einschläge, wo man denkt: "Mit forever young ist das nichts."

Treiben Sie Sport?

Ich mache meine Yogaübungen, bin immer viel Fahrrad gefahren, bis mir jemand sagte: Du musst auch deine Körpermotorik mehr beanspruchen.
Seitdem wechsle ich ab zwischen Fahrrad fahren und spazieren gehen.

Stimmt es, dass mal ein Friseur Haare von Ihnen verkauft hat?

Am ersten Tag bei der Bundeswehr musste ich mir gefühlt meine Identität vom Kopf schneiden lassen. Der Friseur fegte meine Haare sorgfältig zusammen. Eine Woche später erschien eine Kleinanzeige im "Musikexpress": "Haarbüschel von Achim Reichel zwei Mark". Die hat er in so kleinen Zellophantüten verkauft.
Vielleicht hat die eine unserer Leserinnen oder ein Leser noch?
Das würde mich interessieren! Bitte melden!