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Herr Noethen, Sie sind jetzt im Fernsehen als Generalstaatsanwalt Fritz Bauer zu sehen. Was hat Sie an ihm fasziniert?

Er war ein Mensch, ein Demokrat, ein Jurist, der mir durch sein Verhalten höchsten Respekt abverlangt. Er brachte in der jungen Bundesrepublik gegen viele Widerstände NS-Verbrecher vor Gericht. Es freut mich, wenn dieses leuchtende Vorbild bekannter wird.

Viele, die dem Nazi-Regime gedient hatten, machten nach dem Krieg munter weiter Karriere ...

Ich komme aus einem Theologenhaushalt und erinnere mich an die Diskussionen am Küchentisch über Leute, die in der Kirche aktiv waren und sich mit den Nazis gemeingemacht hatten. Genauso schockiert war ich, als ich beim Jurastudium feststellte, dass es auch im Rechtswesen eine Kontinuität gab.

Wie lange haben Sie Jura studiert?

Nur drei Semester. Immerhin reichte es für den Großen BGB-Schein und den Großen Strafrechtsschein.

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Warum ausgerechnet Jura?

Bestimmt auch aus einem Gerechtigkeitsdenken. Ich dachte, ich wäre da am richtigen Platz. Bis ich merkte, dass es etwas anderes gibt, das mir noch viel mehr liegt.

Die Schauspielerei ...

Ja. Wobei ich mich auf das eine wie auf das andere ziemlich naiv eingelassen habe. Ich hatte weder eine Vorstellung, was ein Jurist sein soll, noch von der Schauspielerei.

Hatten Sie als jüngstes von fünf Kindern mehr Narrenfreiheit?

Das ist ein Allgemeinplatz, den ich so bestätigen kann.

"Wenn man sich zu ernst nimmt, wird man depressiv", haben Sie mal zum Älterwerden gesagt.

Am Alter werden wir nichts ändern, und dem Tod muss man auch gelassen ins Auge sehen. Ich bin bestimmt nicht der Erste, der sagt: Humor hilft einem über vieles hinweg.

Können Sie mehr über sich lachen als früher?

Je älter ich werde, desto klarer wird mir, was für ein Kindskopf und was für ein vertrottelter Mensch ich auch bin. Das ist sehr amüsant, und man nimmt sich zwangsläufig nicht mehr so ernst. Das heißt aber nicht, dass man seine Mitmenschen oder seine Taten nicht ernst nimmt. Man lässt nur manchen Dingen, die man im Affekt für wichtig hielt, nicht mehr allzu viel Bedeutung zukommen.

Kindskopf klingt so negativ. Es ist doch gut, sich sein "inneres Kind"  zu bewahren.

Ja. Das innere Kind ist das Spielerische, aber auch das Trotzige oder das Liebebedürftige. Es gibt eine ganze Familie an inneren Kindern. Eine Kinderparty. Welche, die angenehmer sind, und welche, mit denen man lieber nichts zu tun hat. Die einen sollte man pflegen, die anderen meiden.

Gibt es Rollen, vor denen Sie als Schauspieler zurückschrecken?

Die Vernunft gebietet mir, nicht mehr einen jugendlichen Liebhaber spielen zu wollen. Manche Rollen erfordern eine körperliche Voraussetzung, die ich nicht erfüllen kann. Oder auch eine Altersvorgabe. Ansonsten bin ich relativ offen.

Unerfüllte Traumrollen?

Nein. Ich habe die Dinge immer auf mich zukommen lassen. Wenn man sich wie wild um eine Sache bewirbt, bringt man sich in einen Erfüllzwang. Bei mir haben sich nie die Drehbücher gestapelt. Mit einer gewissen Kontinuität sind erfreuliche, gute Projekte zu mir gekommen. Aber es gab eben auch die Lücken, wo es darum ging, die Familie zu ernähren.

Was würden Sie gerne lernen?

Klavierspielen! Das Klavier ist sogar vorhanden, nur der Klavierunterricht hat noch nie stattgefunden.

Was hindert Sie daran?

Eine innere Stimme sagt: "Das wird nicht mehr." Was Blödsinn ist. Ich weiß, dass es nicht zu spät ist, den Anfang zu machen. Vermutlich ist es mir zu wichtig. Der Wunsch ist zu groß, um ihn mit zu wenig Energie anzufangen und als kläglichen Versuch scheitern zu lassen.

Wo finden Sie Ruhe?

In der Natur und in handwerklichen Tätigkeiten wie Kochen, Abspülen von Töpfen, Basteln von Weihnachtsschmuck. Auch Gardinen anzubringen oder die Heizung zu entlüften erfüllt mich mit großer Genugtuung, weil ich finde, dass ich das gut kann.

Warum stellen Sie die Töpfe nicht einfach in den Geschirrspüler?

Seine guten Töpfe sollte man per Hand scheuern. Das ist besser für die Töpfe, besser für die Umwelt, besser für die Fitness. Und hinterher kann ich sagen: "Die sind sauber, ich kann sie beruhigt ins Regal stellen."

Sie sagen von sich, zu Pedanterie und Besserwisserei zu neigen.

Das sind zwei von diesen inneren Kindern mit unangenehmen Eigenschaften. Aber es wird automatisch besser, wenn die Familie wächst und man merkt, wie unterschiedlich ihre Mitglieder sind. Mit Pedanterie kommt man da nicht weit.

Fällt Ihnen loben leicht?

"Nicht geschimpft ist genug gelobt", so bin ich erzogen worden, das steckt in mir so drin. Das Positive herauszustellen ist schwerer, als zu sagen, was nicht richtig gelaufen ist. Umgekehrt finde ich es auch entsetzlich, wenn jedes mit Buntstiften bemalte Blatt als Meisterwerk gelobt wird.

Gibt es das perfekte Leben?

Was soll das denn sein? Viel Geld? Viel Sex? Ein besonderer Bewusstseinszustand? Das Leben fängt mit Lernen an, und Lernen bedeutet, Fehler zu machen. Das Runter gehört genauso dazu wie das Rauf. Worum es geht, ist doch, seinen Weg zu finden, wie einem das Leben gelingt.

Was war der beste Ratschlag, den Sie jemals bekommen haben?

Den hat mir der Chef auf der Schauspielschule mitgegeben: "Man muss immer wieder neu hinschauen." Auch wenn man glaubt, etwas genau zu kennen und darum eine feste Meinung darüber haben zu dürfen. Das ist schwer, weil wir Gewohnheitstiere sind.

Zur Person:

Zur Person

  • Ulrich Noethen wurde am 18. November 1959 in München als Ulrich Schmid geboren
  • Wandelbar: Für die Schauspielerei brach der Pfarrerssohn das Jurastudium ab und nahm den Geburtsnamen seiner Mutter an. "Gripsholm", die "Sams"-Filme, "Comedian Harmonists", "Die Luftbrücke" und  "Der Untergang" zählen zu seinen größten Erfolgen.
  • Kinderlieb: Noethen hat eine Tochter (21) aus erster Ehe. Mit der verwitweten Schriftstellerin Alina Bronsky und deren drei Kindern sowie ihrer gemeinsamen Tochter (2) lebt er in Berlin.