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LSD, Ecstasy, magische Pilze: Wer davon hört, denkt sofort an wilde Partynächte und surreale Fantasiereisen. Professorin Isabella Heuser-Collier seufzt dagegen erst mal, wenn man sie auf ihre Forschung mit den „Drogen“ anspricht. „Der Begriff ist sehr negativ besetzt“, beklagt die Direktorin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Campus Benjamin Franklin der Berliner Charité. Um die medizinische Verwendung zu beschreiben, sei er völlig ungeeignet. Schließlich geht es hier nicht um Rausch und Ekstase. Sondern um Heilung. Vor ­allem bei Depressionen, Suchterkrankungen sowie Angst- oder Zwangsstörungen zeigen die psychedelischen, also bewusstseinsverändernden Substanzen in ersten Studien erstaunlich positive Effekte. „Das therapeutische Potenzial ist sehr interessant“, sagt die Traumatherapeutin. Dass im Augenblick vermehrt dazu geforscht wird, freut sie daher.

Neue Forschung zu psychedelischen Substanzen

Das war nicht immer so: Psychedelika wie LSD, Ecstasy und Psilocybin, wie die Wirksubstanz der magischen Pilze heißt, fallen unter das Betäubungsmittelgesetz. In den meisten Ländern sind LSD und Psilocybin seit den 70er-Jahren verboten, ­Ecstasy seit den 80ern. Eine politische Entscheidung, die auch die Forschung zum Stillstand brachte. Erst in den vergangenen 10 bis 15 Jahren hat diese langsam wieder Fahrt aufgenommen, zuletzt mit erhöhtem Tempo. „Das liegt vor allem am Innovationsstau bei der Entwicklung neuer Psychopharmaka“, vermutet Heuser-Collier. Neues sei nicht in Sicht. Vor dem Hintergrund, dass rund ein Drittel der Patientinnen und Patienten nicht auf vorhandene Medikamente anspricht, ein Problem.

Parallel dazu hat sich in der Wissenschaft die Sicht auf die lange verteufelten psychoaktiven Substanzen verändert. Für einige von ihnen begann eine Renaissance. Was viele nicht wissen: Vor dem Verbot wurden bereits manche Mittel zur Therapie psychischer Erkrankungen eingesetzt. Zu LSD wurden in den USA bis 1960 mehr als tausend wissenschaftliche Arbeiten veröffentlicht, auch in Europa und Deutschland experimentierte man eifrig damit, etwa am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München.

Die Entdeckung von LSD

Als die erste Forschungswelle anrollte, lag die Geburtsstunde von LSD noch nicht lange zurück. Entdeckt wurde es 1943 in einem Schweizer Labor. Durch Zufall. Der junge Chemiker Albert Hofmann experimentierte auf der Suche nach einem kreislaufanregenden Mittel mit verschiedenen Substanzen. Dabei stellte er eine neue chemische Verbindung her: Lysergsäure­diethylamid, kurz LSD.

Beim Hantieren mit dem Stoff gerieten Spuren in Hofmanns Körper. Schwindel und Unruhe überfielen ihn. Zu Hause versank er in rauschartige Träume. In seinem Labortagebuch notierte er: „Im Dämmerzustand drangen ununterbrochen fantas­tische Bilder von außerordentlicher Plastizität und mit intensivem, kaleidoskopartigem Farbenspiel auf mich ein.“ Ab 1950 vertrieb Hofmanns Arbeitgeber, die Sandoz AG, den Stoff weltweit für Forschungszwecke unter dem Namen „Delysid“.

Die Substanz hielt nicht nur Einzug in der Medizin. In den 1960ern wurde LSD Teil eines Hypes. Psychologinnen und Psychologen gaben das Mittel im großen Stil ab, Künstlerinnen und Künstler ließen sich von der Wirkung in­spi­rieren. Zudem traf LSD den Nerv der Hippie-Bewegung. Es wurde vom Medikament zum Mittel der geistigen Befreiung, propagiert etwa vom US-amerikanischen Psychologen Timothy Leary. Das ging nicht lange gut. Es kam zu Komplikationen und Todesfällen – bis die Substanz verboten wurde. Das Schicksal teilte auch Psilocybin, das ebenfalls von Hofmann erstmals Ende der 1950er isoliert wurde. Die Quelle: Pilze aus Mexiko. Anders als die Geschichte der Hippie-Droge reicht die der Zauberpilze weit zurück. Sie wurden in Ritualen seit Jahrtausenden verwendet.

Wenig spektakulär startete indes die Karriere von Ecstasy. Patentiert wurde die Substanz mit dem Namen 3,4-Methylendioxy-N-methylamphetamin, kurz MDMA, bereits 1912. Sie entstand wohl beiläufig als Zwischenprodukt bei der Suche nach einem Blutungsstiller. Erst in den 1960ern wurde der Stoff wiederentdeckt und verbreitete sich unter dem Namen Ecstasy in der Partyszene. 1985 erfolgte das Verbot. Damit lag die Forschung zu allen drei ­psychoaktiven Substanzen auf Eis.

Psilocybin: Hilfe gegen Depressionen

Heute präsentieren Forscherinnen und Forscher wieder neue Ergebnisse. Und die sind vielversprechend. Eine Studie an der Johns Hopkins University in Baltimore zeigte 2016, dass Psilocybin bei Menschen mit einer lebensbedrohlichen Krebserkrankung Ängste und Depressionen lindern kann. Vier Jahre später bewährte sich die Substanz in einer weiteren Studie gegen schwere Depressionen. Der Effekt wurde mehrfach bestätigt. Eine auffällige Gemeinsamkeit: die hohe Erfolgsquote bei Erkrankten, die auf herkömmliche Therapien wie Antidepressiva nicht ansprechen. „Wir sprechen hier von Fällen, bei denen mindestens zwei medikamentöse Behandlungsversuche gescheitert sind“, erklärt Traumatherapeutin Heuser-Collier.

Auch an der Berliner Charité wurde die Wirkung von Psilocybin bei Depressionen wissenschaftlich untersucht, die Ergeb­nisse werden gerade ausgewertet. Die nächste Studie, die die längerfristige Einnahme von bewusstseinsverändernden Substanzen auf Gedächtnis und psy­chische Gesundheit untersucht, läuft bereits – und es ist nicht die einzige. Nicht zuletzt dank ­einer neuen Forschungsstiftung, der in Berlin ansässigen Mind Foundation, starten gerade viele Projekte. „Deutschland hinkte bei der Forschung lange hinterher, das ändert sich gerade“, sagt Isabella Heuser-­Collier. Doch sie warnt auch vor überzogenen Erwartungen: „Selbst wenn sich die bisherigen Ergeb­nisse in größeren Studien bestätigen, werden die Substanzen wohl nur für we­nige Pa­tientinnen und Patienten infrage kommen.“

Das glaubt auch Dr. Peter Gasser. Eine magische Wunderpille? Eine medizinische Revolution? „Das wird es nicht geben“, sagt der Schweizer Psychiater, der als einer von wenigen weltweit außerhalb von Studien mit LSD behandeln darf. In der Schweiz ist das in Ausnahmefällen erlaubt; etwa wenn andere Behandlungen nicht anschlagen. Dann kann Gasser einen Antrag stellen.

LSD: „Wirksame Ergänzung einer Psychotherapie“

Seitdem hat er etwa 30 Patientinnen und Patienten mit LSD behandelt. Sie litten an Depressionen oder psychischen Traumata, hatten Zwangsstörungen, starke Ängste, waren alkoholkrank oder kämpften mit starken Kopfschmerzen. Gassers Bilanz: „Die Behandlung hat vielen geholfen.“ Nennenswerte negative Effekte hätte es nicht gegeben. „Aus meiner Sicht sind Psychedelika eine sichere und wirksame Ergänzung einer Psychotherapie.“ Oft genügt dabei schon eine Anwendung.

Trotzdem sollte man mit dem Einsatz zurückhaltend sein. Körperlich abhängig machen die Mittel zwar nicht, eine psychische Abhängigkeit gilt als unwahrscheinlich. Dennoch gibt es Risiken: Psychedelika können Psychosen auslösen, wahnhafte psychische Störungen, zudem „Horrortrips“ mit Panikzuständen verursachen. Vor allem für Menschen mit psychischen Problemen ist die unkontrollierte Einnahme daher extrem riskant. „Es macht einen immensen Unterschied, ob man auf einer Goa-Party oder im Rahmen einer Therapie LSD einnimmt“, betont Gasser. Auch Heuser-Collier warnt: „Auf eigene Faust sollte niemand solche Substanzen einnehmen.“ Zumal sie schaden können. Ungeeignet sind Psychedelika nach aktuellem Wissensstand etwa bei Schizophrenie. Zu groß ist die Gefahr, dass die Mittel die Beschwerden verschlimmern oder bei ­einer Anlage einen Erkrankungsschub auslösen. Eine solche ist häufiger, als viele denken.

Entscheidend für eine positive Wirkung ist laut Peter Gasser vor allem die professionelle Begleitung. Die Umgebung sollte ruhig, geschützt und vertraut sein. Die Therapeutin oder der Therapeut bleibt die ganze Zeit bei den Behandelten und arbeitet das Erlebte anschließend mit ihnen auf. Rund zehn Stunden kann eine Sitzung mit LSD durchaus dauern. Mehr als eine oder zwei sind in der Regel aber nicht nötig, um eine langfristige Besserung zu erzielen.

Behandlung mit LSD: Konnektivität des Gehirns nimmt zu

Doch was erleben die Menschen in dieser Zeit? „Ein positiver Trip geht mit dem Gefühl großer Verbundenheit einher“, beschreibt Gasser. Er kann Ängste lösen, Zwänge brechen, Kontakt zu sich selbst ermöglichen. Was dabei im Gehirn passiert, können Forschende heute teils anhand bildgebender Verfahren sichtbar machen. Demnach nimmt unter LSD die Konnektivität des Gehirns zu, also die Kommunikation zwischen höheren Hirnregionen. Besser vernetzt arbeiten zum Beispiel Bereiche, die für die Wahrnehmung des eigenen Selbst und der äußeren Umgebung zuständig sind. Dies könnte das Gefühl der Ich-Auflösung während eines Trips erklären, die scheinbare Verschmelzung von Außen- und Innenwelt.

Partydroge MDMA regt Freisetzung von Serotonin an

Dr. Jennifer Mitchell hat an der University of California untersucht, wie MDMA im Gehirn wirkt. „Aus Laborstudien wissen wir, dass es die Freisetzung von Serotonin anregt“, sagt die Forscherin. Von dem Botenstoff ist bekannt, dass er unter anderem auf die Stimmung wirkt. Eine von Mitchell geleitete und im Fachmagazin Nature pu­blizierte Studie sorgte dabei unlängst für Aufsehen. Die Ergebnisse, die MDMA zusammen mit einer Psychotherapie erzielte, waren so beeindruckend, dass eine baldige Zulassung in den USA erwogen wird: Die Teilnehmenden der Studie litten an einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), einer psychischen Erkrankung, die als Folge von belastenden Erlebnissen auftritt, die die Betroffenen nicht selbstständig verarbeiten können. 67 Prozent erfüllten nach der Therapie nicht mehr die Diagnosekriterien einer PTBS – waren ­aktuell also nicht mehr erkrankt.

Doch wie kann eine Partydroge helfen, psychische Traumata zu verarbeiten? Einerseits löst MDMA Ängste, fördert bei seltener Einnahme Vertrauen und Mitgefühl. Das erleichtert es, sich unangenehmen oder verdrängten Erinnerungen zu stellen. Die Forschenden vermuten, dass das vermehrt ausgeschüttete Serotonin hilft, fest verankerte traumatische Erinnerungen wachzurufen. Sie werden für die therapeutische Behandlung zugänglich, können im Gedächtnis verändert abgespeichert werden. Mitchell ist zudem überzeugt, dass psychedelische Substanzen auch in anderen Bereichen viel Potenzial haben, etwa bei Essstörungen oder Autismus.

Psychedelika müssen sich in Studien weiter bewähren

Doch das ist Zukunftsmusik. „Es braucht große und internationale Studien“, sagt Heuser-Collier. Wichtig ist ihr zudem, dass auch der Einsatz der herkömmlichen Arzneimittel verbessert wird. „Das Poten- zial wird noch nicht ausgeschöpft“, betont sie. Viele Patientinnen und Patienten bekämen keine oder nicht die richtigen Medikamente. Trotzdem hoffen Heuser-Collier und Gasser, dass sich psychedelische Sub­stanzen in Studien weiter bewähren. Denn LSD ist weder Heilsbringer noch Teufelszeug. Selbst wenn die Substanzen die Behandlung psychischer Erkrankungen nicht umkrempeln werden: „Wir hätten für bestimmte Patientengruppen eine solide Therapiemöglichkeit mehr. Und das ist sehr viel wert.“


Quellen:

  • Hannes Mangold: Auf Trip, Geschichte von LSD. Schweizer Nationalmuseum: https://blog.nationalmuseum.ch/... (Abgerufen am 05.09.2022)
  • Daws R, Timmermann C. et al.: Increased global integration in the brain after psilocybin therapy for depression. nature medicine: https://www.nature.com/... (Abgerufen am 05.09.2022)
  • David N, Errritzoe D, Carhart-Harris R: Psychedelic Psychiatry’s Brave New World. Cell: https://www.cell.com/... (Abgerufen am 05.09.2022)
  • Mitchell J, Bogenschutz M, Lilienstein A et al.: MDMA-assisted therapy for severe PTSD: a randomized, double-blind, placebo-controlled phase 3 study. nature medicine: https://www.nature.com/... (Abgerufen am 05.09.2022)
  • Davis A, Barrett F, MAy D et. al.: Effects of Psilocybin-Assisted Therapy on Major Depressive Disorde, A Randomized Clinical Trial. JAMA Psychiatry: https://jamanetwork.com/... (Abgerufen am 05.09.2022)
  • Nutt D: Psilocybin for anxiety and depression in cancer care?, Lessons from the past and prospects for the future . Journal of Psychopharmacology: https://journals.sagepub.com/... (Abgerufen am 05.09.2022)