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Nachts findet man keinen erholsamen Schlaf, tagsüber mag man an schöne Unternehmungen noch nicht mal denken. Freundschaften leiden, die Stimmung ist auf einem Tiefpunkt. Dr. Corinna Drebenstedt, Geriaterin am St.-Marien-Hospital in Friesoythe, weiß, welche Folgen andauernde Schmerzen im Alter haben: „Wenn man wegen der Schmerzen nicht mal mehr aufs Klo kommt, ist auch die Selbstständigkeit gefährdet.“

Studien lassen vermuten, dass ab 75 mehr als die Hälfte aller Älteren von chronischen Schmerzen betroffen ist – also Beschwerden, die länger als drei Monate bestehen. „Es gibt im Alter mehr Gründe für Schmerzen“, sagt Drebenstedt: Verschleißerscheinungen wie Arthrose nehmen zu, genauso wie Erkrankungen, die mit Schmerzen einhergehen können, etwa Parkinson. Hinzu kommen seelische Nöte, etwa durch den Tod des Partners oder der Partnerin. „Der Verlust kann als Schmerz erlebt werden“, so Dr. Martin von Wachter, Psychosomatiker am Ostalb-Klinikum in Aalen. Viele Betroffene resignieren: „Mir kann sowieso keiner helfen!“

Diesen Gedanken möchte die Schmerztherapeutin Drebenstedt ihren Patientinnen und Patienten austreiben. Völlig schmerzfrei werde man zwar meist nicht – wohl aber sei es möglich, mit den Schmerzen anders umzugehen und wieder die Dinge machen zu können, die einem wichtig sind: mit den Enkeln spielen etwa, ein Hobby pflegen, einkaufen.

An erster Stelle der Schmerztherapie steht der Gang in die ärztliche Praxis. Dabei ist die Beteiligung der Patientin oder des Patienten von Anfang an wichtig. „Man sollte über seine Schmerzen Bescheid wissen“, sagt von Wachter. Allein die Aufklärung über Ursachen und Behandlung der Beschwerden wirke oft schon schmerzlindernd, weiß der Arzt aus Studien. Ihm geht es darum, dass die Betroffenen lernen, „die Schmerzen zu kontrollieren“ und sich den Symp­tomen nicht ausgeliefert zu fühlen.

Gegen den Teufelskreis

Zentraler Baustein ist dabei körper­liche Aktivität. Zugegeben: Wenn man vor Schmerz kaum aus dem Sessel kommt, mag das zunächst irritierend klingen. Doch langes Schonen sei eine Falle, sagt Sportmediziner Dr. Johannes Fleckenstein von der Goethe-Universität Frankfurt. Oft entstehe ein Teufelskreis: „Wegen der Schmerzen bewegt man sich wenig, und der Bewegungsmangel führt dann zu einer sogenannten Bewegungsangst.“ Dadurch wird der Schmerz oft noch schlimmer – auch wenn er womöglich gar keine körperliche Ursache mehr hat. Dann hat er sich quasi verselbstständigt. Das Gehirn hat gespeichert: Diese Bewegung tut weh. Daraufhin zieht sich ein Muskel zusammen, der Rücken verspannt sich. „Es fühlt sich wieder an wie vor 20 Jahren, als man den Hexenschuss hatte“, so Fleckenstein, der auch an einem Schmerzzentrum tätig ist. An solchen Zen-tren hilft man Schmerzkranken, ihre Ängste abzubauen. Sie lernen wieder, dass Bewegung guttun kann. „Es geht darum, Ressourcen in Erinnerung zu bringen. Und Bewegung ist eine ganz wesentliche Ressource.“

Sie ist zum Beispiel wichtig für die Gelenke. Denn das Knorpelge­webe hat keine eigenen Gefäße, sondern ernährt sich durch die Gelenkflüssigkeit. Bewegung macht die Flüssigkeit elastischer. „Davon profitieren auch Gelenke, die schon etwas abgenutzt sind“, sagt Dr. Katharina Pils, Fachärztin für Physikalische Medizin und Gerontologin an der Universität Wien.

Aber: Kann eine falsche Bewegung den Schmerz nicht noch schlimmer machen? Experten raten, zumindest anfangs nur unter Anleitung zu trainieren. „Es ist wichtig, dass man jemanden hat, der einem die Übungen erklärt, etwa ein Trainer oder eine Physiotherapeutin“, sagt Fleckenstein. Die Bewegung an sich darf nicht schmerzen – doch bleibt der Grundschmerz meist bestehen. Da fällt es vielen schwer, sich aufzuraffen. Pils rät, sich mit anderen zu verabreden, etwa zu ­einem Spaziergang. Walking- oder Radfahrgruppen gibt es fast überall, auch für Yoga oder Gymnastik für Ältere. In der Gruppe vergisst man oft den Schmerz und spürt: Ich bin nicht allein.

Die Psyche spielt mit

Unter Menschen sein, Kontakte pflegen: Auch das hilft gegen Schmerzen, erklärt Prof. Dr. Thomas Fischer, Pflegewissenschaftler an der Evangelischen Hochschule Dresden. „Menschen, die viel allein sind, leiden häufiger unter Schmerzen.“ Dafür gebe es mehrere Gründe: Alleinlebenden fehlt oft die praktische Unterstützung im Alltag. Und wer niemanden um sich hat, beschäftigt sich mehr mit sich – und mit seinen Schmerzen. Wichtiger als die Zahl der Kontakte seien im Alter oft „ein, zwei gute Freunde“, meint Fischer.

Das soziale Miteinander ist für Menschen mit chronischen Schmerzen noch in anderer Hinsicht wertvoll. „Berührungen lindern“, sagt von Wachter – allein weil Tastreize den Schmerz überdecken könnten. Senioren bekämen oft zu wenig davon. Der Experte rät daher beispielsweise bei Gymnastik zu Partnerübungen.

Der Leidensdruck vieler älterer Menschen mit Schmerzen ist oft hoch. Umso größer ist die Versuchung, die Beschwerden in eigener Regie zu behandeln. Häufig brächten Kunden ausgeschnittene Anzeigen für Schmerzmittel in die Apotheke, berichtet Dr. Inga Leo-Gröning, Apothekerin in Bad Vilbel. „Die Leute kommen mit allem, was gerade in der Werbung ist.“ Die Pharmazeutin betont dann, dass andauernde Schmerzen kein Fall für die Selbstmedikation sind – und bittet die Patienten, die Symptome vom Arzt untersuchen zu lassen.

Arzneitherapie nach Maß

Zumal die Therapie mit Schmerzmitteln Fallstricke birgt. Weitverbreitete Wirkstoffe zur akuten Linderung wie Ibuprofen oder Diclofenac gehen auf Herz und Nieren und erhöhen das Risiko für Blutungen im Verdauungstrakt. Sie seien für ältere Menschen oft nicht geeignet, sagt Leo-Gröning. „Außer sie werden nach Abklärung der Schmerzursache und entsprechender Diagnose äußerlich angewendet, etwa als Salbe oder Gel.“

Vor stark wirksamen Opiaten scheuen Ältere dagegen häufig zurück. „Manche bringen Morphium mit der letzten Strecke im Leben zusammen – oh Gott, ist es schon so weit?“, erzählt Drebenstedt. „Ich versuche, Älteren die Angst vor Opiaten zu nehmen.“ Die Gefahr von Abhängigkeit sei bei richtiger Einnahme gering. Weil das Risiko einer Verstopfung besteht, verschreibt die Ärztin meist zusätzlich ein Mittel, das den Darm reguliert. Manche reagieren auf Opiate mit Benommenheit – oft eine Frage der Dosis und der Verabreichung. So kämen viele ältere Schmerzkranke gut mit opiathaltigen Pflastern klar, beobachtet Leo-Gröning. Diese geben über einen oder mehrere Tage gleichmäßig eine niedrige Dosis über die Haut ab. Dafür verlangt die Anwendung viel Sorgfalt. Am besten lässt man sich die Klebetechnik in der Apotheke zeigen. „Der Einsatz von Schmerzmitteln ist hochindividuell“, betont Leo-Gröning. Zumal Betroffene meist neben den Schmerzen weitere Erkrankungen haben, für die sie Arzneien bekommen.

Drebenstedt ermuntert Patientinnen und Patienten, mit dem Hausarzt auch über eine ambulante oder stationäre Schmerztherapie zu sprechen. Selbst wenn die Schmerzen nicht gänzlich verschwinden, die Ärztin wünscht sich, dass die Patienten irgendwann sagen können: „Mit diesem Niveau kann ich gut leben.“

Wir haben ein paar Menschen nach ihren Erfahrungen gefragt:

„In der Selbsthilfegruppe ­lachen wir viel“

Sabine Pump, 74, aus Bad Schwartau leitet eine Selbsthilfegruppe
für chronische Schmerzpatientinnen und -patienten in Lübeck

Mein Schmerz begleitet mich fast mein ganzes Leben. Ich habe Fibromyalgie. Die Krankheit verursacht Schmerzen am ganzen Körper, die sich weder erklären noch behandeln lassen. Eigentlich tut mir immer etwas weh.

Mein Rezept: Seit etwa zwölf Jahren leite ich eine Selbsthilfegruppe. Wir treffen uns einmal im Monat, erzählen von unseren Problemen, motivieren uns, lachen viel. Für den Verein SchmerzLOS berate ich auch fremde Menschen am Telefon. Ich versuche, ihnen Hoffnung und Hilfestellung zu geben. Sie sind so dankbar dafür. Man kann an der Stimme hören, wenn jemand lächelt.

Mein Rat: Verstecken Sie sich nicht in Ihrem Schneckenhaus, sondern gehen Sie raus. Suchen Sie sich eine Selbsthilfe­gruppe, in der Sie sich austauschen können. In jeder größeren Stadt gibt es eine Kontaktstelle, die dabei hilft.

„Einmal pro Woche bewegen wir alles von Kopf bis Fuß“

Margarete Hoff, 74, aus Dornstadt bei Ulm leitet eine Senioren-Sportgruppe

Mein Schmerz in der Schulter geht nicht mehr weg. Vermutlich liegt es an der Arthrose. Die Ärzte sagen, man muss ein künstliches Gelenk einbauen. Davor habe ich ein bisschen Angst, die Schulter ist schließlich ein sehr diffiziles Gelenk.

Mein Rezept ist meine Frauen­sportgruppe: Einmal in der Woche bewegen wir von Kopf bis Fuß alles durch, setzen auch Gummibänder oder Bälle ein. Ich mache die Übungen vor, so gut ich kann. Mich freut es, wenn ich den Leuten etwas bieten kann. Dadurch überwinde ich auch meinen inneren Schweinehund leichter. Und die Begegnung und der Kontakt tun mir gut.

Mein Rat: Trainieren Sie Ihre Muskeln. In der Gruppe ist das lustiger. Bei einer Übung tun wir zum Beispiel so, als ob wir uns hinsetzen. Aber kurz bevor der Hintern den Stuhl berührt,kommen wir wieder hoch. „Stuhl­foppen“ nennen wir das …

„Es geht fast alles, wenn ich Pausen mache“

Berta Milisterfer, 87, aus München fand Freude am Gerätetraining

Mein Schmerz äußert sich seit Jahrzehnten stechend im Kreuz. Beim Gehen und Treppen­steigen ist es besonders schlimm. Grund ist wohl mein früherer Beruf: Als Verkäuferin – erst für Auto­zubehör, dann für Haushalts­waren – habe ich viel heben und tragen müssen.

Mein Rezept ist Bewegung!
Dabei war ich mein Leben lang ein Sportgegner. Das änderte sich total nach einer Rücken-OP mit 70. Mein Arzt riet mir zu Gerätetraining und Gymnastik in einem Physiotherapie-Studio – und es machte Spaß! Ich gehe bis heute jede Woche hin. Haus­arbeiten wie Staubsaugen muss ich immer wieder unterbrechen, weil die Schmerzen kommen. Dann setze ich mich kurz hin. Ich habe gemerkt: Es geht fast alles, wenn ich Pausen mache.

Mein Rat: Wenn ich unter Leuten bin, vermeide ich bewusst das Thema Schmerzen. Man sollte lieber über positive Dinge reden, die den Schmerz in den Hintergrund drängen.

Hilfe und Kontakt

Adressen für Betroffene:

• Über die Website der Deutschen Schmerz­gesellschaft findet man schmerztherapeutische Angebote in der Nähe: schmerzgesellschaft.de

• Oft kann auch Ihre Krankenkasse schmerz­therapeutische Angebote für Ältere nennen

• Die „Unabhängige Vereinigung aktiver Schmerzpatienten in Deutschland“ hat zahlreiche Selbsthilfegruppen im Bundesgebiet. Mehr Informationen unter: uvsd-schmerzlos.de

Als Angehörige helfen

Tipps für Angehörige von Schmerzkranken:

Akzeptieren Sie, dass der betroffene Mensch unter Schmerzen leidet – aber bemitleiden Sie ihn nicht.

• Nehmen Sie Ihren Angehörigen öfter mal in den Arm! Berührungen tun gerade Menschen mit Schmerzen gut.

• Sorgen Sie für Ablenkung. Zum Beispiel, indem Sie ­gemeinsam Musik hören oder spielen.

• In Gesprächen ist es häufig günstiger, das Wort Schmerz zu vermeiden. Wenn Sie nach dem Befinden fragen, formulieren Sie es lieber allgemein: „Wie geht es dir?“

• Beziehen Sie Ihren Angehörigen in Aktivitäten mit ein – aber gut dosiert. Etwa: „Wir könnten zur Geburtstagsfeier gehen und bleiben nur eine Stunde.“

Entspannung auf die Schnelle

Einfache Übungen für den Alltag:

Schließen Sie die Augen und achten Sie für etwa 30 bis 60 Sekunden auf Ihre Atmung, ohne sie zu verändern.

• Schließen Sie eine Hand zur Faust, halten Sie die Spannung für einige Sekunden und öffnen Sie die Hand wieder.

Zählen Sie rückwärts, etwa von 100.

• Machen Sie einen kurzen Spaziergang und konzentrieren Sie sich bewusst auf die Natur.

Schmerzmittel-Knigge

Kleiner Arznei-Knigge:

Behandeln Sie Ihre Beschwerden nicht in Eigenregie mit rezeptfreien Mitteln. Chronische Schmerzen sind ein Fall für die Arztpraxis.

Schmerzmittel für die Dauertherapie bitte genau nach dem verordneten Zeitplan einnehmen, damit Sie gut durch den Tag und ruhig durch die Nacht kommen.

Beobachten Sie Wirkung (und Nebenwirkungen): Hilft Ihnen das Mittel? Falls nein, sagen Sie das dem Arzt. Manchmal sind Dosis­an­pas­sungen oder ein Präparatwechsel nötig.

• Lassen Sie sich Ihren Medikationsplan ausdrucken, damit Sie den Namen des Wirkstoffs kennen. Präparatenamen können wechseln, etwa wegen Rabattverträgen der Kassen.

Checkliste für den Arztbesuch

Fragen, die Sie sich vor dem Termin stellen sollten:

- Wo tut es Ihnen weh?

- Wie fühlt sich Ihr Schmerz an? Zum Beispiel brennend oder stechend?

- In welchen Situationen tut es mehr, in welchen weniger oder gar nicht weh?

- Von welchen Aktivitäten hält Sie der Schmerz ab, welche Dinge möchten Sie wieder machen können?

Bewegen gegen den Schmerz

So gelingt der Start:

Ideal ist, wenn Sie sich eine Physiotherapie verschreiben lassen. So können Sie mit dem Therapeuten herausfinden, welche Bewegung geht und welche nicht.

• Bauen Sie mehr Bewegung in den Alltag ein – nutzen Sie besser die Treppe als den Aufzug, gehen Sie zu Fuß einkaufen.

• Sie sind nicht mehr so mobil? Auch ein Spaziergang mit Rollator zählt. Oder Sitzgymnastik!

• Suchen Sie sich am besten eine Gruppe – so haben Sie einen festen Termin und nette Kontakte, die Sie vom Schmerz ablenken können.


Quellen:

  • Fajaz A, Croft P, Langford RM et al.: Prevalence of chronic pain in the UK: a systematic review and meta-analysis of population studies. BMJ Open: https://bmjopen.bmj.com/... (Abgerufen am 21.08.2023)
  • Nobis HG, Pielsticker A: Ärztliche Edukation und Kommunikation in der primären Schmerzbehandlung, Klinische Relevanz und pädagogische Herausforderung. In: Schmerz 01.01.2013, 27: 317-24
  • Bundesärztekammer, Kassenärztliche Bundesvereinigung, Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften: Nationale Versorgungsleitlinie, Nicht-spezifischer Kreuzschmerz. Leitlinie: 2017. Online: https://register.awmf.org/... (Abgerufen am 25.09.2023)