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Kori ist schwanger. Und ihr Besitzer Jonathan, vier, sicher: Das Baby kommt bald! Dafür müsste sein Kuschelkoala natürlich nicht zwangsläufig in die Klinik. Aber da auch Menschenkinder dort zur Welt kommen, ist es für Jonathan selbstverständlich, dass Kori im Krankenhaus eincheckt. Allerdings nicht in irgendeinem, sondern im Teddybärkrankenhaus, kurz TBK, das regelmäßig an mehr als 40 Standorten in Deutschland seine Spielstationen aufbaut. Dass Kori gar kein Bär ist, spielt übrigens keine Rolle. Hier wird alles versorgt, was plüscht.

Auf die Beine stellen das Projekt vor allem Medizinstudentinnen und -studenten. Häufig schließt sich ein Team aus Zahnheilkunde, Pharmazie und Pflege an.

Gemeinsam wollen sie Kindern zwischen vier und sechs Jahren zeigen, dass sie vor medizinischem Personal oder einem Klinikaufenthalt keine Angst zu haben brauchen. Alles halb so schlimm! Dass dieser Ansatz funktioniert, zeigten bereits einige wissenschaftliche Untersuchungen – und vor allem die Erfahrung: Viele kindliche Befürchtungen lösen sich in Luft auf oder verlieren zumindest den Schrecken, wenn das eigene Stofftier zusammen mit den erwachsenen „Teddydocs“ behandelt wird.

Im TBK in der München Klinik Schwabing geht es an drei Tagen richtig rund. Insgesamt um die 500 Kita-Kids kommen mit ihren auserwählten Kuscheltieren in einen ehrwürdigen Saal des ehemaligen Schwesternhauses. Den meisten fällt vermutlich gar nicht auf, dass die Wände und eine himmelhohe Decke mit mattgrünem Holz verkleidet sind, das Licht durch baumhohe Scheiben aufs knarzende Parkett fällt und die Räume am oberen Ende mit hübschen Rundfenstern verziert sind. Hier sieht es aus wie in einer perfekten Kulisse für einen medizinischen Historienfilm.

Das Baby kommt!

Ein bisschen geschauspielert wird dann auch. Für Jonathan nimmt Benedikt die Rolle eines Teddydocs ein und bringt ihn mit seiner Koaladame zum Aufnahmegespräch an einen der Untersuchungstische. Als das Kindergartenkind von Koris Zustand erzählt und verrät, dass sich in ihrem Bauchbeutel wirklich ein kleiner Babykoala versteckt, muss Doc Benedikt kurz laut lachen: Normalerweise haben die Tiere hier Fieber oder Halsschmerzen. Auch ein dramatisches Schädel-Hirn-Trauma und ein plüschiges Flugzeug mit gebrochenem Flügel sind ihm schon untergekommen. Mit Schwangerschaften und Geburtsvorbereitung hatte der Medizinstudent im vierten Semester allerdings bisher eher wenig zu tun.

Macht nix. Dem 21-Jährigen fällt trotzdem ein, wie er Jonathan spielerisch mit dem ärztlichen Alltag vertrauter machen kann. „Lass uns mal Fieber messen, um zu sehen, ob so weit alles in Ordnung ist“, sagt er. Und zeigt Jonathan einen flachen Holzspatel, auf den ein fleißiger Mensch eine Temperaturskala gemalt hat. „Magst du das machen?“ Kopfschütteln. Noch ist Jonathan etwas eingeschüchtert vom Trubel, von den vielen Menschen in weißen Kitteln, den Verbandpäckchen und den Spritzen, die vor ihm in einem Schälchen liegen. „Dann mache ich das mal“, sagt Benedikt. „Kein Fieber“, notiert er auf einem Formular, das für jedes Kuscheltier ausgefüllt wird. „Das ist ja schon mal gut. Jetzt nehmen wir noch etwas Blut ab. Das ist nur ein kleiner Piks. Und wie macht das Herz? Weißt du das?“ „Bumm bumm, bumm, bumm“, sagt Jonathan und greift zum Stethoskop, um es sich in die kleinen Ohren zu stecken. So was kennt er schon aus seinem Kinderarztkoffer.

Benedikt Fleckenstein ist einer von rund 300 freiwilligen TBK-Mitarbeitenden, die alle an der Ludwig-Maximilians-Universität oder Technischen Universität in München studieren oder hier eine Ausbildung an der Pflegeschule machen. Außerdem ist er Vorsitzender des Arbeitskreises, der die Angebote in München organisiert. „Die Leute haben wir immer schnell zusammen, das machen viele wirklich total gerne“, erzählt er. „Wir versuchen dann, pro Schicht 20 bis 30 Teddydocs zu haben. So kann sich immer eine Person alleine um ein Kind kümmern“, erklärt er.

Gut für Koala Kori! Schließlich ist eine Eins-zu-eins-Betreuung bei einer Geburt ideal, vor allem wenn das eine Hebamme macht. Die gibt es hier zwar nicht – aber es braucht jetzt sowieso medizinisches Personal: Irgendwie scheint das Baby zu klemmen, die Tasche mit dem Gummiband an Koris Bauch geht nicht auf. „Ich schlage vor, wir machen einen Kaiserschnitt“, sagt Doc Benedikt. Also ab zum Tisch mit dem „OP-Saal“-Schild – und rein in die Schutzkleidung. Mit viel Gekicher lässt sich Jonathan einen Kittel in Hellblau umbinden, in dem er fast verschwindet. Dazu gibt es eine schicke Haube in Grün. „Bevor wir die Handschuhe anziehen, machen wir uns die Hände sauber, damit die Bakterien und Viren abgetötet werden“, erklärt Benedikt. „Jetzt bekommt Kori ein Schmerz- und ein Schlafmittel, damit sie nichts spürt, wenn wir den Bauch aufschneiden. Weil sie dadurch aber sehr fest schläft, kann sie nicht mehr selbst atmen. Am besten, du übernimmst das mit diesem Beutel über der Nase für sie.“

Flauschiger Anatomiekurs

Die Spritze setzt der Plüschtiervater selbst, die Beatmung übernimmt er auch, nur das Skalpell überlässt er lieber dem Erwachsenen. Der macht die Bauchtasche auf, greift rein und: Das Baby ist da! Eingewickelt in ein dunkelgrünes Mulltuch, bekommt es der glückliche Jonathan gleich zum Kuscheln in die Ärmchen gedrückt.

Kori und Baby sind erst mal gut versorgt. Doch was ist mit dem XXL-Bären am anderen Ende des Saals? „Schau mal, der hat einen Reißverschluss am Bauch“, sagt Benedikt. „Mach mal auf!“ Das macht Jonathan inzwischen, ohne zu zögern. Zipp, der ganze Bauch voller flauschiger Organe! Teddydoc Benedikt gibt jetzt mit Pinzette und Tupfer in der Hand einen Crashkurs in Anatomie: Er erklärt, wie das Herz das Blut durch den ganzen Körper saugt und pumpt. Dass die Leber wie die Müllabfuhr des Körpers arbeitet und die Nieren das Pipi machen. Was sich durch die lange Wurst aka Darm schiebt, weiß der Vierjährige selbstverständlich selbst. „Jetzt machen wir den Teddy wieder zu“, sagt Benedikt. „Aber erst schauen wir, ob alle Instrumente draußen sind. Nicht dass wir im Körper etwas vergessen. Klebst du das Pflaster auf den Schnitt? Und dann bitte den Bären vorsichtig schütteln: Er darf jetzt wieder aufwachen.“

Jonathan, Kori und Koalababy schauen sich mit Benedikt noch die anderen Stationen an: Hat sich ein Tier etwas gebrochen, kommt es in die Röhre, in diesem Fall eine Pappkonstruktion mit LED-Lichtband. In den Schubern daneben lagern MRT- und Röntgenbilder verschiedener Kuscheltiere. „Gegipst“ wird mit kunterbuntem Verbandsmaterial. Außerdem gibt es ein Labor mit Mikroskopen aus beklebten Waschmittelflaschen, eine Zahnklinik mit Riesenbürste – und eine Apotheke. Sie ist für Jonathan die letzte Station im Saal. „Was könnten Kori und das Baby denn jetzt gut brauchen?“, überlegt Benedikt laut. „Nehmt mal eine Schmerz-weg-Tablette mit. Und eine andere für gute Träume“, empfiehlt er Jonathan, der natürlich gerne in die entsprechend beklebten Streichholzschachteln mit den Traubenzuckerbonbons greift.

Alles halb so schlimm

Draußen erwartet die Kita-Kinder das letzte Highlight: ein Rettungswagen. Und ein Feuerwehrauto! Jonathan ist hin und weg: „Boah, eine Atmenflasche! Und eine Rettungsschere!“ Kori und Baby geht es derweil ebenfalls super: Sie wurden liebevoll behandelt, die Operation war gar nicht so schlimm. Ihre Knopfaugen und die dicken Nasen lugen gerade noch so aus der Jacke, in der Jonathan sie gut geschützt an seiner Brust trägt. Sollte er bald mal selbst ins Krankenhaus müssen, kommen die beiden wieder mit, das ist klar. Und dann wird alles halb so schlimm.

Teddybärkliniken

gibt es seit mindestens 1989. Damals luden Krankenschwestern in den USA Kinder und ihre Kuscheltiere ins Krankenhaus ein. Infos über die Angebote der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland gibt es unter a-u.de/jpq8GV


Quellen:

  • https://epub.ub.uni-greifswald.de/frontdoor/deliver/index/docId/1888/file/diss_mockler_franziska.pdf

  • Springer, Wiesbaden: Klug, D. (2020). Studienlage. , In: Projekt Teddybärkrankenhaus. essentials... In: Springer: 23.04.2020, https://doi.org/...