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Manch einer kann das Störgeräusch im Ohr ignorieren, ­andere treibt es in den Wahnsinn: Tinnitus. Der kann sich als hohes Pfeifen zeigen oder als tiefes Hämmern, als Zischen, Piepen oder Pulsieren. Was hilft, wenn es unerträglich wird?

Hörverlust häufigste Ursache

Wichtig für die Therapie: erst einmal herausfinden, wie der Tinnitus entstanden ist. „Hier sind viele Ursachen möglich“, sagt Prof. Dr. Birgit Mazurek, Direktorin des Tinnituszentrums an der Berliner Charité. Zum Beispiel ein Hörsturz oder ein Knalltrauma, seltener Probleme mit Kaumuskulatur, Kiefergelenk oder Halswirbelsäule. Auch Bluthochdruck oder Stress können Auslöser sein. Ebenso eine ­simple Verstopfung durch ­„Ohrenschmalz“ oder andere Erkrankungen wie etwa der Schilddrüse. Häufig geht einem Tinnitus aber auch eine Hörminderung voraus.

Verglichen mit Männern und Frauen ohne Diabetes haben Menschen mit Typ-2-Diabetes ein etwa doppelt so hohes Risiko, eine Hörminderung und in der Folge Tinnitus zu erleiden. Wahrscheinlich gilt dasselbe für Typ-1-Diabetes. Grund scheint eine schlechtere Durchblutung der Gehörschnecke im ­Innenohr zu sein. Untersuchungen zeigen, dass die Wände der feinen Gefäße dort bei Personen mit Diabetes deutlich verdickt waren. Die Frequenzen, die durch die Hörminderung fehlen, ­verstärkt das Gehirn und regelt ­sozusagen gegen. Das Phantomgeräusch ­entsteht deshalb zumeist in einer Tonhöhe, in der das Gehör stark nachgelassen hat.

Jetzt nicht zu lange mit Arztbesuch und Behandlung warten! Ist der Tinnitus erst einmal chronisch geworden ist, kann das die Therapie erschweren. „Ein Ton im Ohr ist kein Notfall, aber ein Eilfall“, sagt Birgit Mazurek.

Akut oder schon chronisch?

HNO-Ärztin oder -Arzt untersuchen unter anderem Hals, Nase, Ohren und Mund sowie die Halswirbelsäule. Zudem wird ein Hörtest gemacht. Im Gespräch ­fragen Ärztin oder Arzt nach Tinnituslautstärke und -frequenz, nach Stress, Belastungen oder psychischen Problemen.

Für die Therapie ist wichtig, wie lange der Tinnitus bereits besteht: bis zu drei Monate (akuter Tinnitus) oder länger (chronischer Tinni-
tus). „Im Akutstadium kann mit Kortisontabletten oder -infusionen behandelt werden“, erklärt Mazurek. Zudem sollten mögliche zugrunde liegende Krankheiten abgeklärt und therapiert werden.

Im chronischen Stadium kommen oft Begleitstörungen wie Depressionen, Angst- oder Schlafstörungen hinzu. „Diese sollten unbedingt mitbehandelt werden“, so Mazurek. Ärztin oder Arzt können entsprechende Medikamente verordnen. Gegen das Ohrgeräusch selbst allerdings helfen Arzneien nicht. Dann braucht es Strategien, mit denen sich die Belastung reduzieren und die Lebensqualität steigern lässt. „Aber auch dann kann man gegen Tinnitus einiges tun“, betont die Expertin.

Bei ­starker ­Belastung helfen insbesondere psychotherapeutische Ansätze, gegen den Tinnitus an- und damit umzugehen. ­Allen voran eine kognitive Verhaltenstherapie. Weiterer Tipp: Tauschen Sie sich in einer Selbsthilfegruppe mit anderen aus.

Lernen, besser damit umzugehen

Wo der Leidensdruck hoch ist und Patienten verzweifeln, tummeln sich auch ­viele Scharlatane. Gut zu wissen: Die Leitlinie zu chronischem ­Tinnitus bewertet viele der ­gängigen Verfahren und ordnet sie ein. Hilfreich für Betroffene sind demnach Aufklärung und ­Beratung, wie sie gut mit der Erkrankung umgehen können — sodass sich die ­Belastung reduziert, der Ton als weniger störend empfunden (siehe Grafik links) oder bestenfalls nicht mehr wahrgenommen wird.

Sinnvoll sind nicht zuletzt Ansätze, die den Hörverlust, so vorhanden, ausgleichen. Zum Beispiel ein Hörgerät oder bei hochgradiger Schwerhörigkeit ein Cochlea-Implantat. „Diese Hilfsmittel wirken nicht direkt auf das Geräusch, aber über das verbesserte Hören wird der Tinnitus in den Hintergrund gelenkt“, sagt Mazurek. „Die Erfahrung aus der Praxis zeigt, dass Patienten mit einem Tinnitus und einem messbaren Hörverlust von Hörhilfen profitieren“, ergänzt Prof. Dr. Gerhard Hesse, Sprecher des ­wissenschaftlichen Beirats der Deutschen Tinnitus Liga.

Viele Methoden unwirksam

Für zahlreiche andere Verfahren wie Gegentöne, Musiktherapie, Magnet- oder Elektrostimulation ist die Wirkung nicht belegt. Rauschgeneratoren, die sogenannten Noiser, empfiehlt die Leitlinie ebenso wenig wie Nahrungsergänzungsmittel. Wer ­unsicher ist, ob eine Methode ­sinnvoll ist oder nicht, kann in der Leitlinie oder der kürzeren Patientenleitlinie nachsehen. Dazu ­einfach mit dem Smartphone den QR-Code ­unten abscannen.


Quellen:

  • Biswas R et al.: Tinnitus prevalence in Europe: a multi-country crosssectional population study. The Lancet Regional Health - Europe: https://doi.org/... (Abgerufen am 18.10.2023)
  • Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie e. V. et al.: S3-Leitlinie Chronischer Tinnitus. Leitlinie: 2021. https://register.awmf.org/... (Abgerufen am 09.10.2023)

  • Hesse G et al.: S3-Leitlinie zu chronischem Tinnitus überarbeitet, Was derzeit zu Diagnostik und Therapie empfohlen wird und was nicht. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/... (Abgerufen am 09.10.2023)
  • Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie e. V. et al.: Patientenleitlinie Chronischer Tinnitus. Leitlinie: 2021. https://register.awmf.org/... (Abgerufen am 09.10.2023)

  • Deutsche Tinnitus-Liga: Therapie von Ohrgeräuschen: eigene Mitarbeit wirkungsvoll, Behandlung bei Tinnitus. https://www.tinnitus-liga.de/... (Abgerufen am 09.10.2023)
  • HNO-Ärzte im Netz: Was ist ein Tinnitus?. https://www.hno-aerzte-im-netz.de/... (Abgerufen am 09.10.2023)
  • IQWIG: Ohrgeräusche (Tinnitus). https://www.gesundheitsinformation.de/... (Abgerufen am 09.10.2023)
  • Horikawa, C et al.: Diabetes and Risk of Hearing Impairment in Adults: A Meta-Analysis. In: J Clin Endocrinol Metab 01.01.2013, 98: 51-58
  • Akinpelu OV et al.: Is type 2 diabetes mellitus associated with alterations in hearing? A systematic review and meta-analysis. In: Laringoscopy 01.03.2014, 124: 767-776
  • Fukushima H et al.: Effects of Type 2 Diabetes Mellitus on Cochlear Structure in Humans. In: Arch Otolaryngol Head Neck Surg 01.09.2006, 132: 934-938