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Der Quartalsbesuch beim Arzt weckt Erinnerungen an den Zeugnistag in der Schule. Nur dass man statt Noten seinen Blutzucker-Langzeitwert HbA1c erhält. Ist dieser zu hoch, gilt es, die Diabetestherapie zu verbessern. Inzwischen gibt es schon länger eine weitere Zahl, welche die Blutzuckerlage verrät: die Zeit im Zielbereich, englisch „Time in Range“, kurz TiR genannt. Sie besagt, wie lange die Zuckerwerte im mit dem Arzt vereinbarten Bereich waren.

Die Zeit im Zielbereich lässt sich mit einem System zur kontinuierlichen Zuckermessung (CGM) ermitteln. Dabei misst ein Sensor rund um die Uhr den Zuckerspiegel unter der Haut. Auf einem Empfangsgerät, etwa dem Handy, kann sich der Nutzer jederzeit den aktuellen Zuckerwert und weitere Daten ansehen. Etwa die Zeit im Zielbereich für die letzten 24 Stunden, 7, 14, 30 oder 90 Tage — in Prozent oder Stunden und Minuten. Und wie lange die Werte darüber- oder darunterlagen.

Schwankungen auf der Spur

Experten bewerten die Zeit im Zielbereich als wertvolle Ergänzung zum HbA1c-Wert. „Die neue Messgröße hilft dabei, starke Blutzuckerschwankungen aufzuspüren. Damit kämpfen vor allem Menschen mit Typ-1-Diabetes. Aber auch manche Menschen mit Typ-2-Diabetes und intensivierter Insulintherapie“, sagt Diabetologe Dr. Bernhard Gehr von der m&i Fachklinik Bad Heilbrunn. Für Menschen mit Typ-2-Diabetes, die nur Medikamente nehmen, kann die regelmäßige Messung des HbA1c reichen, um zu sehen, ob die Therapie angepasst werden muss.

Der HbA1c-Wert gibt Auskunft darüber, wie hoch die Blutzuckerwerte in den vergangenen acht bis zwölf Wochen im Durchschnitt waren. Ein hoher HbA1c bedeutet: Der Blutzuckerspiegel ist oft zu hoch, was auf Dauer das Risiko für Folgeschäden, etwa an Augen und Nieren, erhöht.

Was der HbA1c-Wert nicht erfasst: wie stark die Werte geschwankt haben und wie lange sie zu hoch oder zu tief lagen. Patienten mit stark schwankenden Werten, also häufigen Über- und Unterzuckerungen, können also trotzdem einen guten HbA1c-Wert haben (siehe Abbildung oben). „Die Zeit im Zielbereich ist dann aber kurz und verrät, dass die Diabetestherapie nicht optimal ist“, sagt Gehr.

Neueren Studien zufolge eignet sich die TiR genau wie der HbA1c, um das Risiko für Folgeschäden vorherzusagen: Mit sinkender TiR steigt es. Umgekehrt bedeutet eine hohe Zeit im Zielbereich nicht immer: alles okay! Wer aus Angst vor Schäden möglichst niedrige Werte anstrebt, verbringt zwar viel Zeit im Zielbereich, unterzuckert aber wahrscheinlich oft. Dann gilt es ebenfalls, die Therapie zu optimieren. „Um zu entscheiden, wo man am besten ansetzt, ist es wichtig, auch die Zuckerverläufe einzelner Tage anzuschauen“, sagt Gehr.

Welche Zahlen stimmen?

Bei den meisten Menschen mit Diabetes empfehlen Experten einen Blutzucker-Zielbereich zwischen 70 und 180 mg/dl (3,9–10 mmol/l). Idealerweise liegen die Werte mehr als 70 Prozent der Zeit in diesem Bereich, also rund 17 von 24 Stunden. Für Schwangere etwa und Menschen, die zu schweren Unterzuckerungen neigen, gibt es andere Empfehlungen. „Wie beim HbA1c sollte man auch bei der TiR mit dem Arzt entscheiden, was für einen persönlich sinnvoll und möglich ist“, sagt Gehr. Den vereinbarten Zielbereich gibt man in sein CGM-Gerät ein und kann ihn jederzeit ändern.

Das Gute am HbA1c-Wert: Er lässt sich mit einer Blutprobe im Labor zuverlässig und vergleichbar messen. Die Zeit im Zielbereich wird aus den vom CGM-System ermittelten Zuckerwerten berechnet. Die Ergebnisse können jedoch voneinander abweichen. Je nach System kann die TiR höher oder niedriger ausfallen. Bei manchen Anwendern misst der Sensor nicht genau genug. Dann stimmt auch die errechnete Zeit im Zielbereich nicht. Ebenso wenn der Sensor nicht richtig kalibriert wurde (was bei manchen CGM-Systemen möglich bzw. nötig ist). Störfaktoren wie etwa die Einnahme bestimmter Medikamente können neben dem HbA1c-Wert auch die CGM-Werte und damit die Zeit im Zielbereich verfälschen. Im Zweifel bitte per Fingerpiks nachmessen und mit dem Arzt sprechen.

Schritt für Schritt ins Ziel

Jederzeit sehen zu können, wie sich die Zeit im Zielbereich ändert: Das motiviert manchen, sich um gute Werte zu bemühen. Viele fühlen sich aber auch frustriert, wenn sie es trotz aller Mühe nicht über die 70-Prozent-Marke schaffen. Oder nur mit riesigem Therapieaufwand und viel Verzicht. „Wer das Gefühl hat, dass die Lebensqualität beim Streben nach guten Werten leidet, sollte dies beim Arzt ansprechen“, sagt Gehr. Wichtig sei, sich realistische Ziele zu setzen. Und da bringen schon kleine Schritte viel: Eine Verbesserung der Zeit im Zielbereich um fünf Prozent, also um eine gute Stunde täglich, ist ein Erfolg!


Quellen:

  • Battelino T et al.: Clinical Targets for Continuous Glucose Monitoring Data Interpretation: Recommendations From the International Consensus on Time in Range. In: Diabetes Care: 01.01.2019, https://doi.org/...
  • Deutsche Diabetes Gesellschaft: Stellungnahme der Kommission Labordiagnostik in der Diabetologie der DDG und DGKL Zur Nutzung der „Time in Range“: Alternative oder sinnvolle Ergänzung zum HbA1c?. https://www.ddg.info/... (Abgerufen am 11.01.2023)