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Es ist ein Fluch und ein Segen zugleich: das Hormon Insulin. Seine Entdeckung vor mehr als hundert Jahren rettete Menschen mit Typ- 1-Diabetes das Leben. Dank moderner Therapien lassen sich Blutzuckerwerte heutzutage ähnlich wie bei Gesunden erreichen und viele Diabetesfolgeerkrankungen verhindern. Aber: Insulin ist auch das Masthormon des Körpers. Ein Zuviel davon macht dick. „Menschen mit Typ-2-Diabetes sollten es nur dann verschrieben bekommen, denn andere Mittel zur blutzuckersenkenden Therapie ausgeschöpft sind“, sagt Prof. Dr. Stephan Martin, Direktor des Westdeutschen Diabetes- und Gesundheitszentrums in Düsseldorf. So steht es auch in der Behandlungsleitlinie zur Diabetestherapie. Eine Untersuchung des Robert Koch-Instituts ergab, dass sich ein Viertel der Menschen mit Typ-2-Diabetes Insulin spritzt. Im Digitalisierungs- und Technologie­report Diabetes 2022 gab mehr als die Hälfte der Befragten an, dass ihr Zucker mit Insulin therapiert werde. Die Gründe dafür, darunter auch politische oder finanzielle, sind vielschichtig.

Raus aus der Abwärtsspirale

Warum benötigen so viele Menschen Insulin? Meist leiden Menschen mit Typ-2-Diabetes an einer sogenannten Insulinre­sistenz: Ihre Körperzellen reagieren immer weniger auf das Hormon. Der Körper muss also immer mehr Insulin produzieren, damit die Energie aus der Nahrung in die Zellen gelangt. Allgemeinmedizinerin Dr. Antonia Stahl vergleicht diese Insulinresistenz mit einem ausgeleierten Schloss: „Man versucht es mit einem immer dickeren Schlüssel, aber das Schloss ist kaputt.“ Mehr Insulin kann dazu führen, dass die Betroffenen weiter an Gewicht zulegen und erst immer mehr Medikamente und schließlich Insulin benötigen, um die Werte zu senken.

Erst messen, dann behandeln

Um herauszufinden, wie viel Insulin der Körper selbst produziert, wendet Diabetologe Martin einen Glukagon-Stimulationstest an, der allerdings keine Standarduntersuchung beim Arzt ist. Martin nimmt Blut ab und bestimmt die Insulinhöhe. Dann wird eine geringe Dosis Glukagon in die Vene gespritzt. Das regt die Inselzellen in der Bauchspeicheldrüse an, Insulin auszuschütten. Nach wenigen Minuten misst der Arzt den Spiegel im Blut erneut: „Meine Patienten sind erstaunt, welche gigantischen Mengen sie selbst produzieren.“ Wenn noch genügend Insulin da ist, gilt es, die Zellen wieder empfindlicher dafür zu machen. Regelmäßige Bewegung verbessert die Insulinempfindlichkeit der Muskeln und spielt daher eine zentrale Rolle. Gesunde Ernährung ist ebenfalls wichtig.

Ernähren: aber richtig!

„Keine Snacks zwischendurch und ausgewogene zwei bis drei Hauptmahlzeiten“, rät Expertin Stahl. Das Essen sollte zu großen Teilen aus Proteinen und gesunden Fetten bestehen, viel Gemüse und Ballaststoffe enthalten und wenig verarbeitete Kohlenhydrate. Die Ernährungsmedizinerin erlebt die besten Erfolge bei Menschen, die den Blutzucker mithilfe ihrer Ernährung möglichst niedrig halten und damit auch die Insulinausschüttung.

Bitte nicht allein loslegen

Bitte besprechen Sie eine Ernährungsumstellung zunächst mit Ihrem Arzt. Purzeln die Kilos, können die Zellen insulinempfindlicher werden. Dann drohen Unterzuckerungen. „Messen Sie öfter Ihren Blutzucker, mindestens dreimal täglich“, rät Stahl. Der Diabetologe kann die Insulindosis dann an diese Werte anpassen. Brauchen Sie nur Basalinsulin, wird dieses verringert. Wenn zu den Mahlzeiten kurzwirksames Insulin nötig war, ist diese Stellschraube zuerst dran.

Der radikale Weg: Formula-Diät

Bei sehr viel Übergewicht kann eine kurzzeitige Ernährung mit flüssigem Mahlzeitenersatz infrage kommen. Dieses Programm nutzt Diabetologe Martin vor allem bei Menschen, die sich bislang große Insulindosen spritzen mussten. Bei der Formula-Diät werden Shake-Pulver genutzt, die einen hohen Eiweißanteil haben und nur wenige Kohlenhydrate enthalten. Ergänzend empfiehlt Martin 2 bis 3 Esslöffel gutes Öl, damit der Körper die Wirkstoffe besser verarbeitet. Zusätzlich setzen Ärzte gelegentlich einen sogenannten GLP1-Agonisten ein: ein Antidiabetikum, das die Wirkung eines körpereigenen Sättigungshormons nachahmt. Dies ist aber nur der Anfang. Das Ziel bleibt, sich langfristig gesund zu ernähren. - Klappt es auf diese Weise irgendwann auch, alle Diabetes-Medikamente loszuwerden? Das funktioniert leider nur sehr selten. Viel wichtiger ist es daher, sich erst mal kleine, erreichbare Ziele zu stecken und am Thema gesundes Leben dranzubleiben.


Quellen:

  • Deutsche Diabetes Hilfe: Tabletten oder Spritzen - wann kommt der Wechsel?. Online: https://www.diabetesde.org/... (Abgerufen am 30.09.2022)
  • FIDAM GmbH – Forschungsinstitut Diabetes-Akademie Bad Mergentheim: Digitalisierungs- und Technologie Report Diabetes, Umfrage Menschen mit Diabetes. Online: https://www.dut-report.de/... (Abgerufen am 04.10.2022)
  • Kolb et al. BMC Medicine: Insulin: too much of a good thing is bad. In: BMC Medicine: 01.01.2022, https://doi.org/...
  • Deutsche Diabetes Hilfe: Diabetes in Zahlen. https://www.diabetesde.org/... (Abgerufen am 29.09.2022)
  • Bundesärztekammer, Kassenärztliche Bundesvereinigung, Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften: Nationale Versorgungsleitlinien, NVL Typ-2-Diabetes, 2. Auflage, Version 1. 2021 – Teilpublikation. Leitlinie: 2021. Online: https://www.leitlinien.de/... (Abgerufen am 04.10.2022)

  • Lenzen-Schulte, Martina: Gegen Diabetes und Adipositas: Dein Freund, der Ketonkörper. In: Deutsches Ärzteblatt 01.01.2018, 115: 41
  • Kolb et al. BMC Medicine: Insulin translates unfavourable lifestyle into obesity. In: BMC Medicine: 01.01.2018, https://doi.org/...