Logo der Apotheken Umschau

Frau Köchermann, vor Kurzem sind Sie für eine nachhaltige und klimafreundliche Verpflegung in Schulen und Kitas ausgezeichnet worden. Das Konzept haben Sie vor mehr als zehn Jahren entwickelt. Was hat Sie damals angetrieben?

Anja Köchermann: Ich bin auf einem Selbstversorger-Bauernhof groß geworden und habe miterlebt, wie viel Mühe es kostet, hochwertige Lebensmittel auf den Tisch zu bringen. Heute geht es den Leuten nur noch um „schnell – einfach – kostengünstig“. Das Wissen, wie man mit knappen Mitteln ein gesundes Essen selbst zubereitet, geht zunehmend verloren. Ich wollte in dem Konzept alle Ansprüche ver­einen: gesunde Ernährung, gute Qualität sowie Wirtschaftlichkeit.

Und der Klimaschutzgedanke?

Es ist doch so: Alles, was ich nicht brauche, schützt das Klima. Das Wort Klimaschutz ist vielleicht neu. Aber der Gedanke des ressourcenschonenden Umgangs ist in der Hauswirtschaft fest verankert. Die größte Klimaschützerin in meinem Leben war meine Groß­mutter: Sie musste mit wenig Ressourcen viele Menschen ernähren.

Von wie vielen Menschen reden wir in Ihrem Fall?

Meine 88 Kolleginnen und Kollegen in den kommunalen Küchenbetrieben Göttingen verpflegen täglich 6000 Kita-Kinder, Schüler und Bedienstete der Stadt. In einer unserer drei Küchen wird nur für Kitas gekocht – 850 Essen für 13 Einrichtungen.

Können Sie die Inhalte Ihres Konzepts grob umreißen? Was kommt konkret auf den Teller?

Wir setzen auf eine pflanzenbetonte, natürliche Kost: täglich Gemüse. Fisch und Fleisch nur je einmal in fünf Tagen, dafür einmal pro Woche Hülsenfrüchte, Milchprodukte möglichst natürlich und ungesüßt, mit frischen Früchten, und eher Vollmilch als Sahne. Denn um 100 Milliliter Sahne zu gewinnen, sind sieben bis acht Liter Milch erforderlich.

Welche Rolle spielen Fertig­produkte in Ihren Küchen?

Darauf verzichten wir so weit wie möglich, denn deren Herstellung hat bereits viel Energie verbraucht. Wir machen etwa die Grundlage für Suppen und Soßen aus frischem Suppengrün selbst.

Verteuert das das Essen nicht?

Unser Wareneinsatz ist dadurch nicht höher. Oft wird vergessen, dass Fertigkomponenten durch Tiefkühllagerung Strom verbrauchen. Wir sparen auch durch energieeffiziente Geräte und indem wir den Kühlschrank in den Ferien abschalten. In Summe können wir preis­lich mit anderen Anbietern mithalten.

Auch wenn Sie Bioware einsetzen?

Die erhöht den Preis in der Regel. Und der Bioapfel ist gleichzeitig oft nicht so schön, die Biobanane kleiner. Das müssen Eltern akzeptieren. Die Forderung nach Bio höre ich von deren Seite oft. Sie wollen nur das Beste fürs Kind.

Nach welchen Kriterien kaufen Sie denn die Ware ein?

Vorrang haben Freilandgemüse und Obst aus der Region, möglichst ökologisch angebaut. Wir verarbeiten Ge­müse der Saison, weil es nicht durch langes Kühlen beim Erzeuger oder Lieferanten Energie verbraucht. Wir achten darauf, dass unsere Land­wirte klimaeffizient arbeiten. Und wir versuchen, ohne Einmalverpackungen auszukommen.

Warum sagen Sie „möglichst“ ökologisch?

Ich muss erst mal klären: Wer kann mir das Regionale hier anbieten? In welcher Qualität? Wichtig ist auch, dass die Landwirte verlässlich liefern.

Ein nachhaltiges Essen ist das eine. Wie vermitteln Sie aber den Kindern, warum diese Ernährung so gut ist?

Mein Zuständigkeitsbereich endet vor der Kita. Aber die Kinder zu begleiten, das Verständnis für klimafreundliches Essen zu fördern, finde ich wichtig. Das steht und fällt mit dem Kita-Personal, dessen Bereitschaft, sich weiterzubilden und die anderen mitzunehmen.

Und das bei der Personalknappheit in Kitas …

Deshalb bereiten wir gerade den nächsten Schritt vor. Wenn es in den Kitas lediglich jemanden gibt, der spült und aufräumt, reicht das nicht. Die Kinder sollen an der Versorgung teilhaben dürfen. Darum sollte eine Hauswirtschafterin Teil jedes Kita-Teams werden.

Was soll deren Aufgabe sein?

Die Kita ist ja wie eine große Familie. Wird das Frühstück bereitet, deckt der eine den Tisch mit oder liefert etwas ans Büfett nach. So lernen die Kinder: Es gehört dazu, sich an Alltags­tätigkeiten zu beteiligen. Die Haus- wirtschafterin kann sie dazu anleiten.

Als unser Sohn klein war, durfte er mit dem Kindergarten einmal auf einen Bauernhof fahren …

Dort kann man schauen, wo die Milch herkommt oder wo die Möhre wächst, die ich so mag. Oder die Kinder gehen zusammen auf den Markt. Bereits heute liefern wir einmal in der Woche an jede Kita einen Obst- und Rohkostkorb, sodass die Kinder es vor Ort schnippeln und den anderen anbieten können.

Warum ist das so wichtig?

Kinder sind ja neugierig und fragen viel. In der Küche gibt es so viel zu entdecken, zu sehen, zu riechen, zu schmecken, zu tun. Was sie mit allen Sinnen erfahren, prägt sich besonders gut ein. Sie lernen, Lebensmittel wertzuschätzen und Verantwortung zu übernehmen.

Wie können Eltern in ihrer Kita ein nachhaltiges Essen anstoßen?

Sprechen Sie die Kita-Leitung ­darauf an! Lassen Sie sich schon bei der Anmeldung erklären, wie das in der Kita läuft. Oder es kommt bei einem Elternabend zur Sprache. Fragen Sie vorsichtig: „Gibt es Möglichkeiten der Weiterentwicklung?“ Nicht gleich sagen: „Es muss alles anders werden.“

Und wenn ein Caterer die Kita beliefert? Sind die Möglichkeiten, auf „klimafreundlich“ umzustellen, dann nicht sehr begrenzt?

Man kann auch seinen Caterer ein Stück weit verpflichten. Um Abfälle zu vermeiden, müssen die Portionen kindgerecht sein. Der „Qualitätsstandard für die Verpflegung in Kitas“ der Deutschen Gesellschaft für Ernährung beschreibt die wichtigsten Punkte einer nachhaltigen Verpflegung. Wichtig: Auch Eltern können ihren Beitrag für nachhaltiges Essen in der Kita leisten.

Inwiefern?

Die Kinder rechtzeitig abmelden, wenn sie zum Beispiel in den Ferien nicht kommen. Nur so kann bedarfsgerecht eingekauft und gekocht und Abfall reduziert werden.

Kinder essen zum Teil natürlich auch zu Hause. Wie können Eltern das Klimabewusstsein schärfen?

Ein wichtiger Punkt! Eltern sind natürlich Vorbilder. Sie sollten sich erst mal selbst fragen: Muss ich alles verpackt kaufen? Tomaten im Winter, muss das sein? Oder Reis, der im Anbau viel Wasser verbraucht und aus dem fernen Asien kommt? Gehen auch mal Dinkel oder Hirse aus Deutschland? Kann ich die Pizza auch mal selbst backen?

Was bewirkt es, wenn wir zu Hause und die Kinder in der Kita nachhaltig essen? Ist es mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein?

Jeder kann und muss seinen Beitrag leisten. Wir werden nicht von heute auf morgen die Welt verändern, aber wir können sie ein Stück weiterentwickeln.


Quellen: