Logo der Apotheken Umschau

Gerade mal ein Kilo wiegt ein Frühgeborenes, das beispielsweise in der 27. Schwangerschaftswoche zur Welt kommt. Keine Frage: So ein Frühchen ist noch sehr zart und klein. Je eher ein Kind geboren wird, desto unreifer sind seine Organe wie etwa die Lunge. Entsprechend braucht das Baby zu Beginn seines Lebens häufig intensivmedizinische Versorgung. Aber es braucht genauso die Nähe seiner Mutter. Und was vielleicht überrascht: Auch ein Frühchen kann gestillt werden. Mehr noch, die Muttermilch hilft maß­geblich ­dabei, dass sich das Frühgeborene ideal entwickelt.

Viele Frühchen, die vor der 32. Schwangerschaftswoche geboren werden, verbringen die erste Zeit im Inkubator. Trotzdem können sie mit Unterstützung geschulter Pflege­kräfte immer wieder zu ihrer Mutter. Stimmen die Voraussetzungen, dann hat ein Frühchen, das von Geburt an Muttermilch bekommt, enorme Vorteile. Allein durchs Anlegen wird die Bindung zwischen ihm und seiner Mutter gestärkt. Der Hautkontakt an der Brust wirkt anregend, das Frühchen wird durch die Atembewegungen der Mutter sanft massiert. Es erfährt Wärme – und auch noch Geschmack durch die Muttermilch. „Das sind positive Lern­erfahrungen“, erklärt Sandra Crone, Kinderkrankenschwester auf einer Frühchen-Intensivstation in Berlin.

Bei Sandra Crone im Krankenhaus dürfen ­Eltern 24 Stunden am Tag bei ihren Kindern wohnen. So kämen sie in eine gute Verbindung mit ihren frühgeborenen Babys. „Und nur so können die Mütter ihre Kinder überhaupt ausschließlich mit Muttermilch versorgen und an ihrer Brust ernähren“, ergänzt Crone, die neben ihrer Qualifikation als Kinderkrankenschwester auch ausgebildete Still­spezialistin (IBCLC) ist. Die Muttermilch selbst vergleicht sie mit einem unbezahlbaren Medikament fürs Baby. Gerade im Kolostrum, also der ersten Milch der Mutter, befinden sich Stammzellen, Wachstumsfaktoren und sogenannte Immunglobuline, die das Neugeborene vor Infektionen schützen. Außerdem belegen Studien, wie hilfreich Muttermilch für die Entwicklung von Babys ­Gehirn ist. Eine aktuelle Langzeitstudie zeigte, dass Frühgeborene, die von Anfang an gestillt wurden, im Alter von 7 Jahren intelligenter waren und besser in der Schule mitkamen als nicht gestillte.

„Leider fehlt es am Bewusstsein, wie wichtig das Kolostrum und das Stillen von Frühchen sind“, merkt Kat­rin Bautsch vom Ausbildungszentrum Laktation und Stillen in Bodenwerder an. Aus Erfahrung weiß sie, wie wenige Intensivstationen es in Deutschland gibt, die das wertschätzen und unterstützen. Als Positiv­beispiel nennt Bautsch das Uniklinikum in Köln. Dort bekommt jedes Frühgeborene ärztlich angeordnet Kolostrum. „Deutschland ist wirklich nicht sehr babyfreundlich in dieser Hinsicht“, sagt Bautsch. Viel zu schnell würden Frühgeborene hauptsächlich vom Pflegepersonal versorgt. Doch gerade der Kontakt zum Baby gibt Müttern Sicherheit und regt die Milchbildung an.

Natürlich muss ein sehr zartes Frühchen das Trinken an der Brust erst lernen. Im Lauf der Lebens­wochen entwickelt es mehr und mehr ein Saugbedürfnis, schleckt erst mal an der Brustwarze der Mutter. Und seiner Mutter muss vom Pflegepersonal gezeigt werden, wie sie mit der Hand das Kolostrum aus der Brust streichen kann. Im Anschluss bekommt das Neugeborene die etwas dickliche Milch über Magen­sonde, Nase oder Mund zugefüttert. All das braucht professionelle Anleitung. „Ungefähr ab der 27. Schwangerschaftswoche sind Frühgeborene in der Lage, Teilmengen der Milch allein aus der Brust zu trinken“, erklärt Stillberaterin Crone. Ersatzmilch aus der Flasche sei grundsätzlich überflüssig, wenn die Mutter stillen möchte, kein körper­liches Problem hat und Unterstützung bekommt. Hat eine Frau selbst zu wenig Milch, kann sie ihr Baby auch mit gespendeter Muttermilch füttern – vorausgesetzt, die Klinik hat eine Frauenmilchbank.

Noch ist es in vielen deutschen Kliniken nicht üblich, dass Mütter die ganze Zeit bei ihrem Frühgeborenen sein können: aus Platzmangel und weil es laut Stillberaterin Bautsch an entsprechendem Personal mangelt. Dabei sollten Eltern wissen, dass sie ein Recht darauf haben, bei ihrem Kind zu sein. Die meisten Frühchen-­Eltern sind selbst verunsichert und ängstlich, wenn ihr Kind auf der Intensivstation liegt. Aber wenn eine Mutter stillen möchte, sollte sie das tun können. Notfalls mit Unterstützung von außerhalb der Klinik, also über eine Stillberaterin, die ins Krankenhaus kommt. Katrin Bautsch: „Wir wissen, dass bei Babys, die mit künstlicher Milch gefüttert werden, das Risiko schwerer Darmerkrankungen ums Fünffache erhöht ist. Muttermilch hingegen reduziert Infek­tionsrisiken und wirkt rundum schützend.“


Quellen: