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Die ersten freien Schritte sind noch tapsig. Doch von nun an erobert das Kind seine Welt auf den eigenen Beinen. Die sehen zugegebenermaßen oft noch etwas anders aus als bei großen Kindern oder Erwachsenen: Die Kleinen haben zunächst O-Beine – ungefähr während des ersten Lebensjahrs. Das ist ganz normal und verwächst sich in der Regel wieder. Ausnahme: „Wenn Kinder sehr früh das Laufen lernen, solange diese natürliche O-Bein-Stellung noch besteht, kann sie sich durch die frühe Belastung beim Laufen verstärken“, erklärt Dr. Stephan von Koskull. Aber der Kinderarzt aus Bad Aibling beruhigt: „Hier ist die Prognose sehr gut und man kann meist die Entwicklung abwarten.“ Im zweiten Jahr sind die Beine in der Regel zunächst mehr oder weniger gerade, wenn die Kinder ihre ersten Schritte alleine machen. Aber: „Die Skelettbelastung ändert sich recht abrupt in dem Moment, in dem sie frei laufen“, sagt von Koskull. „Diese Veränderung im Vergleich zum Krabbeln und das Wachstum vor ­allem im Bereich der Wachstumsfugen nahe am Kniegelenk führen zur X-Bein-Stellung.“ Und die bleibt meist, bis etwa zum Alter von sechs bis acht Jahren. Auf Höhe der Kniegelenke ist dann von hinten ein Knick zu sehen und die Innenknöchel des Sprunggelenks stoßen nicht an­einander, wenn die Knie sich innen bereits berühren.

Ein Fall für Fachleute

„Entwickeln sich beide Beine unterschiedlich, hat der Nachwuchs noch in einem Alter O-Beine, in dem X-­Beine normal wären, oder sind die X-Beine anhaltend stark ausgeprägt, ist es wichtig das Kind beim Kinderorthopäden vorzustellen“, rät Professorin Dr. ­Anna K. Hell. Sie ist Leiterin der Kin­der­orthopädie an der Universitätsmedizin Göttingen und Präsidentin der Vereinigung für Kinderorthopädie. Die Expertin verdeutlicht, wie entscheidend in solchen Fällen eine genaue Untersuchung ist: „Erst durch das Röntgen lassen sich andere Ursachen wie etwa Wachstumsstörungen ausschließen.“ Zudem können Fachleute den Schweregrad der Fehlstellung feststellen.

Unbedingt abgeklärt werden sollte bei deutlichen Fehlstellungen, ob das Kind an einem Vitamin-D-Mangel leidet. Ist dieser sehr stark ausgeprägt, kann er Rachitis auslösen. Bei dieser Erkrankung können die Knochen nicht genügend Mineralstoffe einlagern. Sie bleiben weich – und das begünstigt X- oder O-Beine. Vererbung oder seltene Erkrankungen können ebenfalls die Ursache sein. Auch übergewichtige Kinder neigen zu X-Beinen.

OP beugt Schäden vor

Viele leichtere Auffälligkeiten wachsen sich von selbst aus. Bleibt eine stark ausgeprägte Beinfehlstellung aller­dings bestehen, können sich die Gelenke frühzeitig abnutzen, eine schmerzhafte Arthrose würde entstehen. Um das zu verhindern, können Operationen notwendig sein. Je nach Fall sind wachstumslenkende Operationen möglich, wie Kinderorthopädin Hell erklärt: „Es wird über einen kleinen Schnitt ein Implantat eingebracht, welches die Wachstumsfuge überbrückt.“ Der Sitz des Implantats beeinflusst, wie sich die Knochen entwickeln: X-Beine werden dabei nahe dem Kniegelenk am Ober- und/oder Unterschenkel­knochen an der Innenseite am Wachsen gehindert, O-Beine außen. An der jeweils anderen Seite eines Beins wachsen die Knochen – bis das Bein gerade ist. Dann werden die Implantate wieder entfernt.

Das Kind muss für den Eingriff ein paar Tage im Krankenhaus verbringen und kann ungefähr einen Monat keinen Sport machen. Wie bei jeder Operation sind Komplikationen möglich – etwa bei der Narkose oder bei der Wundheilung. Der richtige Zeitpunkt für die Begradigung ist von Fall zu Fall verschieden. Er liegt oft um das zehnte bis zwölfte Lebensjahr.

Sitzen und Turnen für gerade Knochen

Aktivität und Bewegung, aber auch die Sitzposition spielen bei X-Beinen eine wichtige Rolle. Besonders die Hüft- und Beinmuskulatur sollte bei betroffenen Kindern trainiert werden, rät Frauke Mecher, Physiotherapeutin in Braunschweig und Mitglied der Fachkommission Kinder- und Jugendmedizin im Deutschen Verband für Physiotherapie.

„Dafür eignen sich als Übungen für Kitakinder etwa Einbeinstand, Klettern, Schneider- und Hürdensitz oder Bärenstand und -gang“, erklärt Mecher. Im Bärengang bewegen die Kinder sich auf Händen und Füßen vorwärts. Auch Rutscheauto, Laufrad oder Fahrrad fahren helfen.

Lange in Positionen wie dem Zwischenfersensitz zu verharren, ist für Kinder mit X-Beinen dagegen nicht ratsam. Hier knien die Kinder so, dass die Beine zu einem
„W“ abgewinkelt sind und der Po den Boden berührt.

Bei einer massiven Fehlstellung aufgrund einer krankhaften Achsenentwicklung kommen Bewegungsübungen an ihre Grenzen. „Dann ist eine Operation vor Wachstumsabschluss unerlässlich“, so Mecher.


Quellen:

  • Universität Regensburg: O- und X-Beine bei Kindern, Schonende Behandlung von Beinlängenunterschieden und Beinverkrümmungen bei Kindern. https://www.uni-regensburg.de/... (Abgerufen am 01.11.2022)
  • Correll J, Marx S, Nader S et al / Hoffmann G, Lentze M, Spranger J et all (Hrsg.): Beinachsenfehler bei Kindern und Jugendlichen. Pädiatrie: Grundlagen und Praxis: https://www.springermedizin.de/... (Abgerufen am 01.11.2022)
  • Deutsche Gesellschaft für Kinderendokrinologie und -diabetologie (DGKED) und Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ): Vitamin-D-Mangel-Rachitis. Leitlinie: 2022. https://www.awmf.org/... (Abgerufen am 01.11.2022)

  • Fachhochschule St. Pölten: Beinachsentraining für übergewichtige Kinder: Studie und Evaluation zur Vermeidung von Kniearthrose. https://idw-online.de/... (Abgerufen am 01.11.2022)