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Herr Professor Lange, was muss man für den Beruf des Herzchirurgen vor allem mitbringen? Handwerkliches Geschick, Disziplin, Belastungsfähigkeit?

Natürlich muss man handwerklich geschickt sein, eine starke Disziplin und Durch­haltevermögen haben. Und einen klaren Kopf. Man muss während einer Opera- tion immer schon den nächsten Schritt im Auge haben. Das Wichtigste haben Sie aber nicht genannt. Das ist Demut.

Demut wovor?

Demut heißt für mich, dass ich kritikfähig mir selbst gegenüber bin. Dass ich nicht waghalsig werde, dass ich jede Naht und jeden Stich kontrolliere und korrigiere, wenn ich das Gefühl habe, es ist nicht optimal. Demut aber auch vor den Komplikationen. Man muss ständig im Kopf haben, was passieren könnte.

Das hört sich sehr fordernd an.

Das ist es auch. Herzchirurg ist ein Beruf, der einen zeitlich, aber auch mental voll einnimmt. Persönlich musste ich sehr viel vernachlässigen, angefangen beim Frühstück mit den Kindern, weil ich jeden Tag um sechs Uhr aus dem Haus bin und kaum vor 20, 21 Uhr zu Hause war.

Können Sie verstehen, dass die heutige Ärztegeneration nicht mehr bereit ist, sich so extrem dem Beruf hinzugeben?

Absolut. Das ist nicht mehr zeitgemäß. Das gilt für Herzchirurgen wie für niedergelassene Ärzte oder andere Berufe. Und es ändert sich zum Glück etwas. Um das Pensum in der Herzchirurgie zu bewältigen und trotzdem ein erfülltes Leben führen zu können, muss man sich auf bestimmte Eingriffe beschränken. Es wird Spezialbereiche geben, das zeichnet sich jetzt schon ab.

Ändert sich auch menschlich etwas?

Ich bin in einer Zeit groß geworden, in der es eine unheimliche Hierarchie gab. Als junger Assistenzarzt wurde man hart rangenommen und schon mal vor dem ganzen Team vorgeführt. Das war gang und ­gäbe. Zumindest für meine Klinik kann ich sagen, dass die Mitarbeiter heute fair behandelt werden, wir reden viel miteinander, auch über persönliche Schwierigkeiten. Ich erwarte aber auch Disziplin und Loyalität, auch Loyalität den Patienten gegenüber.

Was betrachten Sie als die größten fachlichen Fortschritte in Ihrer Berufszeit?

Als ich angefangen habe, ist unter Kindern, insbesondere Säuglingen, fast jedes dritte während oder kurz nach der Operation gestorben, wenn es wegen eines angeborenen Herzfehlers behandelt werden musste. ­Heute sind es in guten Kliniken noch ein bis zwei von hundert. Zwar gab es damals die Operationstechniken grundsätzlich schon, aber die Verfahren sind extrem verfeinert worden. Das ist schon eine großar­tige Entwicklung. Man muss ja bedenken, dass ein Säuglingsherz nicht viel größer ist als eine Walnuss.

Da staunt der Laie, was bei so kleinen Strukturen möglich ist.

Ich musste mal bei einem neun Monate ­alten Kind eine Bypassoperation vornehmen. In dem Alter sind die Herzkranzarterien ­etwa einen halben Millimeter dick. Es ist gut gegangen, aber zum Glück kommen solche Extremfälle nur selten vor.

Vermutlich bleiben aber selbst erfolgreich ­operierte Kinder auch weiterhin stärker gefähr­det?

Das kann man so generell nicht mehr sagen. Und zwar, weil Säuglinge heute schon früh nach der Geburt operiert werden. Es hängt natürlich von der Art des Herzfehlers ab. Aber es gibt auch schwere Herzfehler, die im Säuglingsalter so korrigiert werden können, dass das Kind danach eigentlich keinen Herzarzt mehr sehen muss. Oder erst im mittleren oder höheren Alter, wie es auch bei mit gesundem Herzen geborenen Menschen oft der Fall ist.

Gibt es in der Herzchirurgie bei Erwachsenen ähnliche Fortschritte?

Ja, die Erfolge betreffen auch Erwachsene. Wir operieren häufiger als früher mehrfach Kranke und ältere Patienten. In meiner Anfangszeit hat man oft schon bei 80-Jährigen das Risiko als zu groß erachtet. Das ist ­heute meistens kein Thema mehr. Wir haben bereits mehrfach 95- bis 100-Jährige operiert.

Wodurch wurde das möglich?

Es hat viel damit zu tun, dass die früheren Schwierigkeiten mit der Herz-Lungen-­Maschine überwunden sind. Solche Operationen sind sehr sicher geworden. Und wir operieren sehr viel minimalinvasiv, also mit sehr kleinen Schnitten, etwa bei Reparatur oder Austausch von Herzklappen.

Was betrachten Sie als Ihren persönlich wichtigsten Beitrag zu den Fortschritten?

Es gibt die sogenannte Ebstein-­Anomalie, einen angeborenen Defekt der Klappe zwischen rechtem Herzvorhof und rechter Herzkammer. Hierzu habe ich von einem Kollegen in São Paulo ein Ope­­rationsverfahren erlernt und nach Deutschland gebracht, 2019 haben wir ein eigenes Ebstein-Zentrum gegründet. Es ist eine sehr komplizierte Operation, deshalb sind wir deutschland- und wohl auch europaweit eines der wenigen Zentren, die diese Operation im großen Stil anbieten. Ich schreibe mir außerdem auf die Fahne, dass ich 2007 einer der ersten euro­päischen Chirurgen war, die über Katheter künstliche Herzklappen einbauen. Als ich so eine Klappe zum ersten Mal gesehen habe, hielt ich das noch für völlig unmöglich.

Wie bereiten Sie sich auf solche Eingriffe oder auch auf Routineoperationen vor?

Es gibt keine Routineoperationen. Man braucht immer einen klaren Kopf, der ­einen in der gebotenen Zeit durch die Operation führt, man muss immer schon den nächsten Schritt vor Augen haben. Ich verhehle auch nicht, dass immer eine gewisse Anspannung, eine Art Lampenfieber mitspielt. Aber das ist gut, denn es hält auch den Geist in Höchstform.

Der klare Kopf, Durchhaltevermögen, Konzentration: Muss man das mitbringen oder kann man das lernen?

Man kann zumindest etwas dafür tun. Für mich habe ich entdeckt, dass Sport, vor allem Ausdauersport, sehr wichtig für die Konzentration ist. Ich fahre seit 30 Jahren grundsätzlich mit dem Rennrad zur Arbeit, fahre auch am Wochenende, betreibe noch andere Sportarten. Diese Zeit muss man sich nehmen.

Ihre Bilanz hört sich nach einer großen Erfolgsgeschichte an. Können Sie das den Patientinnen und Patienten vermitteln, die ja vor Herzoperationen oft Angst haben?

Ich verspreche dem Patienten oder der Pa­tientin nie, dass ihre Operation gar kein Problem ist. Das wollen sie auch gar nicht hören. Sie wollen wissen, dass sich der Professor mit ihrem persönlichen Fall beschäftigt hat und genau weiß, was er tut. Es gibt oft Operationen mit hohem Risiko, die erfolgreich verlaufen. Aber es gibt umgekehrt auch Eingriffe, die als einfach gelten, aber dann passiert etwas oder es kommt ein überraschender Befund dazu, es gibt Komplikationen oder der Patient stirbt sogar.

Wie gehen Sie mit so etwas um?

In den Anfangsjahren gab es viele Nächte, in denen ich wach lag und gegrübelt habe: Warum ist mir das passiert, was habe ich falsch gemacht, was hätte ich anders machen können?

Und heute?

Auch mit viel Erfahrung kann es immer mal zu Komplikationen kommen. Denn jeder Patient ist anders, jede Situation stellt sich anders dar. Man muss während der Operation viel kombinieren und neue Wege finden, und manchmal ist der Weg falsch. Jede Komplikation ist eine Katastrophe für den Patienten, aber auch für den Arzt. So etwas schleppe ich tagelang mit mir rum.

Aber ist das nicht unvermeidlich? Haben Sie sich da keine dicke Haut zugelegt?

Eine dicke Haut wäre da nicht angemessen. Das meine ich auch mit Demut: Man muss Demut haben vor dem Leben und den Schwierigkeiten dieses Berufs. Jeder Pa­tient, der eine schwere Komplikation hat oder stirbt, begleitet einen, berührt zutiefst. Daran gewöhnt man sich auch nicht.

Gelingt es Ihnen vor diesem Hintergrund, auch Eltern von einer Operation zu überzeugen, deren Kind erstmal gar nicht krank wirkt?

In der Regel schon. Die Kinder können völlig gesund erscheinen und doch todkrank sein. Man muss den Eltern geduldig erklären, welchen Weg die Erkrankung wohl nehmen wird und dass es irgendwann für eine Operation zu spät sein kann.

Woran liegt es eigentlich, dass die Herzchirurgie eine ­Männerdomäne ist?

Meine Vorväter haben gedacht, Frauen können das nicht, sie hätten nicht das Durchhaltevermögen, das notwendige räumliche Verständnis. Meine Erfahrung in den letzten Jahrzehnten ist, dass Frauen das genauso gut, wenn nicht besser können. Wir haben im Herzzentrum inzwischen mehr Frauen als Männer und mehrere Oberärztinnen. Man muss klar sagen: Frauen sind für diesen Beruf genauso gut geeignet wie Männer.