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Warum ist das jetzt ein Thema?

Es klingt fast wie aus einem Kinderbuch: Ist das Herz krank, einfach ein Pflaster draufkleben und es heilt wieder. Diese Idee könnte tatsächlich Wirklichkeit werden, mithilfe der Stammzellforschung. Schon seit über 25 Jahren wird an und mit Stammzellen geforscht, nachdem es Ende der Neunziger Jahre zum ersten Mal gelang, menschliche embryonale Stammzellen künstlich im Labor zu züchten.

Schnell entstand Euphorie: was könnte man nicht alles heilen mit solchen Alleskönnerzellen? Die sich vermeintlich in jedes Organ verwandeln lassen, das gerade gebraucht wird? Neben Rückenmark, also Nervenzellen, Gelenken, Niere und Leber standen natürlich auch das Herzmuskelzellen ganz oben auf der Liste der Forschenden. Nun, ein Vierteljahrhundert später, ist es zum ersten Mal gelungen, im Rahmen einer Studie ein sogenanntes „Herzpflaster“ zehn Menschen mit schwerer Herz-insuffizienz – einer Schwäche des Herzmuskels – einzupflanzen. Prof. Dr. Wolfram Hubertus Zimmermann ist Direktor des Instituts für Pharmakologie und Toxikologie der Universitätsmedizin Göttingen. Er hat die Studie mit dem komplizierten Namen „BioVAT-HF-DZHK20“, welche an den Universitäten Göttingen und Lübeck zu dem Thema läuft, betreut und bestätigt: „Dass das Herzpflaster Herzmuskelgewebe in Patienten mit schwerer Herzinsuffizienz aufbauen kann, haben wir in dieser Studie eindeutig nachgewiesen und damit weltweit erstmalig in Patienten gezeigt, dass erneuter Muskelaufbau des Herzens möglich ist.“

Dass nun ein erfolgreiches Einpflanzen dieser Gewebepflaster aus Stammzellen gelang, ist das Ergebnis von jahrzehntelanger Forschung. Zimmerman beschreibt: „Das ist ein Therapeutikum, das es in der Art noch nie gegeben hat. Wir arbeiten seit 25 Jahren daran. Das ist am Ende ein erstaunlich kurzer Entwicklungszeitraum für ein ganz neues Arzneimittel. Die Entwicklungszeit klassischer Arzneimittel liegt bei etwa 30 Jahren.“

Der Herzstellungsprozess des Pflasters für ein schwaches Herz erinnert sehr entfernt an ein kurioses Kochrezept. Zunächst müssen Stammzellen aus Nabelschnurblut gewonnen werden. Diese speziellen Zellen werden auch pluripotent genannt, wörtlich übersetzt „vielkräftig“: Denn nach entsprechender Anregung von außen können sie sich in die verschiedensten körperlichen Gewebe weiterentwickeln. In der Herz-pflasterstudie werden aus ihnen in anderthalb Monaten Herzmuskel- und Bindegewebszellen. Danach mischt man diese Zellen mit einem weiteren Eiweiß aus dem Bindegewebe: Kollagen. Die flüssige Zell-Kollagen-Mischung wird anschließend in Formen gegossen und muss erneut anderthalb Monate wachsen. Die Pflaster, die so entstehen, sind bis zu 100 Quadratzentimeter groß, knapp unter einem halben Zentimeter dick und können bis zu 800 Millionen Zellen enthalten. Experte Zimmermann: „Mit bloßem Auge ist erkennbar, dass unsere Herzpflaster wie normales Herzgewebe schlagen.“

Was hat man davon?

Nun sind die Pflaster fertig und können auf den Herzmuskel in einer Operation aufgenäht werden. Die Herausvorderung hierbei: das Gewebepflaster hat noch keine eigenen Blutgefäße. Diese müssen erst langsam nach der Operation einwachsen. Das Gewebe wird in dieser Zeit mit nur sehr wenig Sauerstoff versorgt, was großen Stress für die Zellen bedeutet, den nur besonders junge Zellen gut aushalten. „Bereits ausgewachsene Herzzellen würden den Implantationsprozess nicht überleben“ erklärt Experte Zimmermann. Im Körper reifen die jungen Pflaster-Zellen dann langsam weiter und müssen überleben, bis sich letztendlich Blutbahnen vom Herzen in das Pflaster gebildet haben. In dieser Zeit werden die Pflasterzellen den Herzzellen auch immer ähnlicher. So sollen die Pflaster letztendlich den Verlust an Herzmuskelzellen ausgleichen, mit dem eine Herzinsuffizienz, auch Herzmuskelschwäche genannt, einhergeht. In der von Zimmermann koordinierten Studie wurde untersucht, welche Menge an künstlich hergestellten Muskelzellen die beste ist, daher wurden unterschiedlich starke Pflaster eingepflanzt. Die Zellzahl variierte hier von 200 bis 800 Millionen Zellen.

Und hilft das Pflaster nun? Das wird sich erst in der nächsten Phase der Studie zeigen, in welcher untersucht wird, ob der Herzmuskel sich wirklich wiederaufbauen ließ. Gute Nachrichten gibt es aber trotzdem: Bei den zehn Teilnehmenden der Studie traten keine Nebenwirkungen auf. Im Vorfeld gab es die Überlegung, ob die Pflaster unkontrolliert wachsen oder selbst Herzrhythmusstörungen provozieren könnten. Dies war aber nicht der Fall.


Quellen:

  • DZHK: BioVAT-HF-DZHK20, Safety and Efficacy of Induced Pluripotent Stem Cell-derived Engineered Human Myocardium as Biological Ventricular Assist Tissue in Terminal Heart Failure (BioVAT-DZHK20). Online: https://dzhk.de/... (Abgerufen am 13.12.2023)
  • DZHK: Erstmals Herzpflaster aus Stammzellen für die Anwendung an Patienten mit Herzmuskelschwäche. Online: https://dzhk.de/... (Abgerufen am 13.12.2023)
  • Kim JY, Nam Y, Rim YA et al.: Review of the Current Trends in Clinical Trials Involving Induced Pluripotent Stem Cells.. In: Stem Cell Rev Rep 01.01.2022, 18: 142-154