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Endlich mehr Zeit mit der Familie verbringen, eine schöne Reise machen und alles nachholen, was im stressigen Berufsalltag zu kurz gekommen ist: Die Aussicht auf den Ruhestand ist für viele verlockend. Andere wiederum blicken mit gemischten Gefühlen oder gar Sorge auf den neuen Lebensabschnitt. Tatsächlich kann es passieren, dass die Struktur des Berufslebens stärker fehlt als vorher gedacht. Wenn man zum Beispiel nicht weiß, was man auf Dauer mit der neu gewonnenen Zeit anfangen sollen. Oder man sich weniger gebraucht fühlt. Vielleicht trifft man auch kaum noch andere Leute, weil es sich einfach nicht ergibt. Das alles kann dazu führen, dass sich Ruhestand zunehmend leer und einsam anfühlt. Fachleute sprechen dann vom Empty-Desk-Syndrom, frei übersetzt: von der „Angst vor dem leeren Schreibtisch“. „Der Beruf hat über Jahrzehnte geprägt, Erwartungen an die eigene Person gestellt und ihr das Gefühl gegeben, die Kontrolle über viele Dinge zu haben“, sagt Prof. Dr. Hans-Werner Wahl, Projektleiter am Netzwerk Alternsforschung der Universität Heidelberg. Diese Strukturen fallen mit Eintritt in den Ruhestand weg. Auch der Kontakt zu den Kolleginnen und Kollegen wird weniger oder bleibt ganz aus. Dann kann es passieren, dass die Bedeutung, die Arbeit für das eigene Leben hatte, erst richtig bewusst wird. Manche bemerken zum Beispiel, dass sie Hobbys vernachlässigt haben oder dass Freundschaften und Partnerschaft im Alltagsstress viel zu kurz gekommen sind.

Die gute Nachricht:

Beschäftigte können frühzeitig gegensteuern und so für einen sanfteren Übergang sorgen. „Ich würde sagen, mit etwa Mitte 50 ist ein guter Zeitpunkt, um sich mit dem Thema Ruhestand zu befassen – gern mit einem Schuss Humor und einer gewissen Lockerheit“, erklärt Wahl. Steht Ihnen die Rente noch bevor, könnten Sie sich überlegen, wie Sie den neuen Lebensabschnitt gestalten wollen. Ob Sie sich sozial engagieren möchten oder sich auf die Suche nach einer neuen Sportart machen. Vielleicht wollen Sie auch ein altes Hobby aufleben lassen oder sich weiterbilden? „Auf diese Weise kann man schauen, welche Möglichkeiten es überhaupt gibt und ob einem die Aktivitäten liegen“, sagt Wahl. Überlegen Sie sich, welche längerfristigen Ziele Sie für den Ruhestand haben und was Sie schon heute tun können, um sie zu erreichen. „Im ersten Jahr nach Renteneintritt gönnen sich viele etwas, machen Reisen. Aber nach einem Jahr wird es oft kritisch, weil die Aktivitäten, die man sich vorgenommen hat, ausgeschöpft sind“, sagt Prof. Dr. Michael Vogt. Er forscht an der Hochschule Coburg unter anderem zu den Themen Partnerschaft und Sexualität im Alter. Dann brauche man etwas, das Rückenwind gibt und hilft, wieder in einen Rhythmus zu kommen. Wer sich vorab ein paar Gedanken macht, fällt gar nicht erst in ein tiefes Loch. Weiterer Vorteil: „Wir gehen positiver und mit mehr Optimismus in diese Phase, wenn wir wissen, was kommt – und dass es in unserer Hand liegt, wie wir diesen Lebensabschnitt gestalten“, so Wahl.

Denn in der allgemeinen Vorstellung sei der Übergang in den Ruhestand lange ein Zeichen dafür gewesen, nun endgültig alt zu sein. Eine Person im Ruhestand war vielleicht Großmutter oder Großvater, aber anderweitig nicht mehr sehr aktiv. So lautete zumindest das gängige Vorurteil. „Zum Glück ändert sich da gerade sehr viel“, weiß Wahl. Menschen im Ruhestand sind heute gesünder als jede Generation zuvor und haben zahlreiche Möglichkeiten, ihr Leben neu zu gestalten. So hat eine Umfrage der Malteser ergeben, dass 85 Prozent der 1000 befragten Seniorinnen und Senioren ab 75 Jahren Hobbys haben. Manche schafften sich einen Hund an, andere besuchten Vorlesungen an der Uni oder sahen sich nach einem Schrebergarten um. 31 Prozent der Befragten gaben an, mehr reisen zu wollen. Manche in Begleitung, andere allein. Denn auch für Singles ist es wichtig, sich rechtzeitig Gedanken über den Ruhestand zu machen. Für sie gilt im Grunde das Gleiche wie für Paare: behutsam die Fühler nach neuen Zielen und Gewohnheiten ausstrecken, soziale Kontakte aufrechterhalten oder neue Kontakte knüpfen, zum Beispiel durch eine Mitgliedschaft im Verein.

Sich unter Druck setzen und in Freizeitstress verfallen muss natürlich trotzdem niemand. So schön es ist, sich Ziele zu setzen und neue Dinge zu erleben, so wichtig ist es auch, sich hin und wieder Ruhe zu gönnen. „Das ist nicht immer einfach, vor allem für diejenigen, die beruflich sehr engagiert und in leitender Funktion tätig waren“, berichtet Wahl. Er treffe oft Rentnerinnen und Rentner, die sagen, sie würden gern bei seinen Studien mitmachen, aber ihr Terminkalender sei bereits voll. Dabei darf man gerade im Ruhestand ­einen Gang zurückschalten und den Luxus genießen, genau das zu machen, was Spaß macht – oder eben auch nicht. Wahl fasst es so zusammen: „Das ist eine spannende Herausforderung: sich auf die Suche nach ­neuen Ideen zu machen, ohne sich von den zahlreichen Möglichkeiten überrollen zu lassen.“

Übrigens profitiert auch eine Paarbeziehung davon, wenn beide ihren eigenen Interessen nachgehen. Bleibt das aus, kann es zu Konflikten kommen. „Wenn beide im Ruhestand sind, ist es oft das erste Mal, dass man 24 Stunden am Tag zusammen sein darf – aber auch muss“, sagt Beziehungsexperte Michael Vogt. Das sei Fluch und Segen zugleich. Denn im Ruhestand würden viele Paare ihre Zeit größtenteils miteinander verbringen. Einkäufe, Arzttermine oder Besuche von Bekannten – vieles findet gemeinsam statt.

Die Konsequenz: Paare haben sich nichts Neues mehr zu erzählen. Vogt empfiehlt deshalb, sich Freiräume zu erhalten beziehungsweise neu zu schaffen. Das entlastet auch die Partnerin oder den Partner, weil sie oder er das Gegenüber nicht mehr fürs eigene Wohlbefinden verantwortlich macht. Einer der wichtigsten Faktoren ist aber die Kommunikation. Sobald man bemerkt, mit dem neuen Lebensabschnitt nicht zurechtzukommen, ist es ratsam, das Gespräch zu suchen – zum Beispiel mit der Familie oder mit guten Bekannten. Denn oft haben andere ganz ähnliche Erfahrungen gemacht und können wertvolle Tipps geben. Auch innerhalb der Beziehung lohnt es sich, ein wenig an der Kommunikation zu feilen. „In den Gesprächen mit der Partnerin oder dem Partner geht es oft um organisatorische Dinge“, sagt Vogt. Wer kauft den nächsten Kasten Wasser, wohin geht die nächste Reise, wann besuchen wir unsere Verwandten? Die emotionale Ebene falle häufig unter den Tisch. „Wie geht es dir mit mir? Wie geht es mir mit dir? Was ist uns wichtig? Welche Sehnsucht habe ich, welche Sehnsucht hast du und wo gibt es Schnittflächen? Solche Fragen sollten eigentlich schon vor der Rente ein Thema sein“, rät der Experte. Spätestens im Ruhestand ist der gegenseitige Austausch aber eine der wichtigsten Voraussetzungen, um Krisen und Konflikte meistern zu können.

Spannend wird es auch, wenn die eine Person schon im Ruhestand ist, die andere aber noch nicht. Dann kann es passieren, dass die Partnerin oder der Partner erschöpft von der Arbeit kommt, während die oder der andere noch etwas unternehmen will. „Diese verschiedenen Rhythmen anzupassen ist eine der größten Herausforderungen“, weiß Beziehungsexperte Michael Vogt. Hinzu kommt, dass der Person, die jetzt zu Hause ist, oft deutlich mehr abverlangt wird. Denn wer den ganzen Tag daheim ist, kann ja den Wohnungsputz übernehmen, den Einkauf erledigen und gleich noch die Wäsche machen. Das kann frustrierend sein. Auch hier hilft: miteinander zu reden und Verständnis zu haben – füreinander, aber auch für sich selbst, wenn nicht alles auf Anhieb klappt. Dann hat man auch wieder den Blick frei für das, was der Ruhestand eben auch sein kann: eine Chance, neue Dinge zu entdecken und den eigenen Horizont zu erweitern.

„Auf dem Sofa sitzen und aus dem Fenster schauen kann ich später immer noch“

Anni Seufert, 70, aus Wipfeld (Bayern): „Ein Gefühl der Leere nach Ende meiner Berufstätigkeit habe ich nie empfunden. Denn ich habe mir schon sehr früh Gedanken darüber gemacht, was mich in der Rente erfüllen könnte. Ich habe 40 Jahre als Erzieherin gearbeitet, und relativ schnell war klar, dass ich weiter etwas mit Kindern machen möchte. Mit ihnen singen, spielen, basteln, das ist einfach mein Leben. Aber auch Reisen haben mich gereizt. Deshalb habe ich mich als Granny-Au-pair beworben, denn da bekomme ich beides unter einen Hut. Mein erster von bislang 16 Einsätzen führte mich nach Thailand. Danach war ich unter anderem in Abu Dhabi, Costa Rica und in den USA. Natürlich muss man sich in einem fremden Land und in einer fremden Familie erst einmal einfinden, flexibel sein, sich anpassen. Aber es wird nie eintönig oder langweilig. Solange ich fit bin, möchte ich andere unterstützen.“

„Ich mache weiter, was ich kann. Nur schöner und persönlicher“

Eva-Maria Fahl, 68, aus Bremen: „Zum Renteneinstieg habe ich fünf Monate Urlaub in Schweden gemacht. Heute übernehme ich als Altenpflegerin die private Betreuung von Pflegebedürftigen, wenn deren Angehörige urlaubsreif sind. Mit dem Arbeiten aufzuhören ist für mich keine Option – meine Rente ist zu klein. Außerdem liebe ich, was ich tue: Menschen in ihren Lebenswelten und mit ihren ganz eigenen Wünschen und Bedürfnissen kennenzulernen und darauf zu reagieren. Pflege ist meine Berufung. Außerdem habe ich Hobbys, zum Beispiel Kochen. Gemeinsam ist das ein schönes Erlebnis. Mein Tipp: sich offene Wünsche erfüllen und die Gelegenheiten ergreifen, die sich dafür bieten.“

„Gesund sein, Neues lernen, gebraucht werden – das macht glücklich“

Monika Dörries, 72, aus München: „Ich habe gern gearbeitet und wollte eigentlich nur kürzertreten. Da das nicht ging, stand 2016 die Rente an. Ich war ein halbes Jahr auf Reisen, danach kam schnell der Wunsch, wieder tätig zu sein. Meine Tochter zeigte mir das Café ‚Kuchentratsch‘, für das ich jetzt backe. Auch sonst habe ich viel zu tun: Sport, Enkel, Volkshochschule. Manchmal steht man sich sogar selbst im Weg. Mein Mann und ich wollen immer spontan in die Berge und schaffen es oft nicht. Ich weiß aber auch, wenn ich nicht mehr so könnte, wäre das schlimm für mich. Bei einem Unfall vor ein paar Jahren wurde mir bewusst, wie zerbrechlich das Leben ist. Gesund zu sein, Neues zu lernen, von der Familie gebraucht zu werden – das macht glücklich. Ich empfehle, unter Leuten zu sein.“


Quellen:

  • Malteser : Leben und Einsamkeit im Alter, Fakten zu einem immer wichtiger werdenden gesellschaftlichen Problem . Online: https://www.malteser.de/... (Abgerufen am 15.12.2023)
  • Die Techniker : Aktiv in den Ruhestand, Planen, gestalten, genießen. Online: https://www.tk.de/... (Abgerufen am 15.12.2023)
  • AOK: Endlich Rentner: So lässt sich der Ruhestand aktiv gestalten. Online: https://www.aok.de/... (Abgerufen am 15.12.2023)
  • Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung : Vom Ruhestand zu (Un-)Ruheständen. Online: https://www.bib.bund.de/... (Abgerufen am 15.12.2023)
  • Malteser : Plötzlich Rente – ein großer Einschnitt ins Leben. Online: https://www.malteser.de/... (Abgerufen am 15.12.2023)
  • Schmitt A: Übergang in und Anpassung an den Ruhestand als Herausforderung aus psychologischer Perspektive. Springer Link: https://link.springer.com/... (Abgerufen am 15.12.2023)