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Auf dem Weg in das kleine Dorf Feldheim südwestlich von Berlin durchquert man einen Wald, der aussieht wie die meisten Wälder hier. Ein Strichcode aus dünnen Kiefern, einförmig und leicht entzündlich. Die Trockenheit eines heißen Sommers hat ihn dieses Jahr wieder in Zunder verwandelt. Auch in der Nähe von Feldheim hat es gebrannt. Der Klimawandel fordert seine Opfer.

Doch gerade hier hat der Klimawandel auch seine Meister gefunden. Lange bevor die Folgen des Treibhauseffekts so deutlich waren wie heute. Angefangen hat das mit dem Wind. Und den Raschemanns. Doreen Raschemann steht im Hof des alten Gasthofs „Zur Linde“. Das vormals verfallene Gebäude liegt mitten im Dorf. 2014 wurde das Neue Energien Forum Feldheim auf dem Grundstück eröffnet. Von den alten Mauern ist nichts mehr zu sehen, heute steht hier ein modernes Gebäude mit klarer Kante. So klar wie die Pläne von Raschemanns Mann, der als Student Anfang der Neunzigerjahre hierherkam, um Windräder zu bauen. Das Paar gründete eine Firma – und baute. Im Hof sind die Reste der ersten Windräder ausgestellt, die damals auf den Feldern errichtet wurden. Vier Stück waren das, Zwerge im Vergleich zu den Riesen, die heute zu Dutzenden hinter dem Dorf in den blauen Himmel ragen. 55 Stück sind es inzwischen. Nur eines von ihnen wäre mehr als genug, das Dorf mit Strom zu versorgen.

Vieles, aber bei Weitem nicht alles hat hier mit den Raschemanns zu tun. Bemerkenswert war auch die Nüchternheit, mit der die Bewohnerinnen und Bewohner Feldheims von fossilen Energieträgern Abschied nahmen. Anfangs haben zwar nicht alle gejubelt. Das Blinken, der Lärm, den die Windräder an manchen Tagen in die Höfe tragen – das waren Punkte, um die es Diskussionen gab. Auch beim „Bürgerwindrad“, an dem sich die Feldheimer und Feldheimerinnen beteiligen konnten, machten nur zwei aus dem Dorf mit. Den Rest der Investition haben die Raschemanns und einige Ortsfremde aufgebracht. Aber Proteste, Plakate an den Gartenzäunen oder anderen Widerstand gab es nicht. „Wir haben Kompromisse gefunden“, sagt Doreen Raschemann.

Joachim Schmidt war einer von denen, die nicht überzeugt werden mussten. „Mich hat die Technik von Windrädern schon damals sehr fasziniert“, erzählt der Rentner auf seiner Hollywoodschaukel. Schmidt ist in Feldheim geboren, aufgewachsen, hat fast sein ganzes Leben hier verbracht. Den Vierseitenhof, der nur einen Steinwurf vom Energien Forum entfernt steht, bewohnt er mit Frau, Kindern und Kindeskindern. Die zwei Enkelinnen, Greta und Merle, kommen gerade aus der Schule. Merle ist todmüde, zieht sich nur etwas widerwillig ihr Fußballtrikot an. Greta ist schon bereit.

Feldheim hat trotz seiner geringen Größe drei Vereine, einer davon ist der Fußballverein. Der Platz liegt auf der anderen Straßenseite. Die Flutlichter hat die Firma der Raschemanns gespendet. Schmidt setzt sich auf eine Bank und schaut zu, wie die Mädchen vor dem Training herumtollen. Er gehört zu den zwei Feldheimern, die sich am Bürgerwindrad beteiligt haben. „Jetzt profitiere ich davon“, sagt Schmidt. Vom Windrad, das mittlerweile Gewinne macht. Von den Strompreisen, die für alle Bewohnerinnen und Bewohner stabil bei etwa 16 Cent liegen. Es gibt auch deshalb nicht nur Alteingesessene im Dorf. Sascha Jelitto kam 2003 als Auszubildender in die Agrargenossenschaft Fläming, die gegenüber des Energien Forums ihren Sitz hat. Heute leitet Jelitto dort den Bereich Feldbau. Seine Frau Sarah ist Tierwirtin im Betrieb. Gewohnt haben die Jelittos mit ihren zwei kleinen Söhnen bisher in Treuenbrietzen. Jetzt steht an der Dorfstraße ihr neues Einfamilienhaus. „Gegenüber wohnt noch eine junge Familie“, freut sich Sarah Jelitto.

Einer, der fast von Beginn an mit dabei war, ist Michael Knape. Der Bürgermeister von Treuenbrietzen sitzt in seinem Büro im historischen Rathaus, auf dem Konferenztisch stapeln sich Broschüren über Feldheim. Seit zwei Jahrzehnten verwaltet der gelernte Werkzeug­macher die Gemeinde. Genauso lange ist Feldheim eingemeindet. „Wenn man etwas aus der Geschichte von Feldheim lernen kann“, sagt Knape, „ist das etwas über Eigeninitiative.“ Schließlich seien es die Feldheimer selbst gewesen, die sich für eine dezentrale Energieversorgung entschieden hätten. Zu dieser Versorgung gehört nicht nur der Strom, sondern auch Wärme.

2008 hat die Agrargenossenschaft Fläming eine Biogasanlage im Dorf errichtet. Die Preise für die Ackerfrüchte der Region, Rüben und Kartoffeln, waren am Boden. Also wollten die Landwirte Biogas erzeugen. Gewonnen wird es jetzt aus vergorenen Maishäckseln, der sogenannten Silage, aus Roggenschrot und der Gülle aus den Tierställen. Alles zusammen wird in Gärkammern von Bakterien zersetzt. Dabei entsteht das Gas Methan, das Endprodukt heißt wieder Strom: Das Biogas speist ­einen Gasmotor im Blockheizkraftwerk. Aber die Anlage liefert auch Wärme. Sie wird frei, wenn das Methan verbrennt. Die Idee war anfangs, das Gebäude der Genossenschaft mit dieser Abwärme zu versorgen. „Aber dann kamen die Feldheimer und haben gefragt, ob sie da nicht mitmachen können“, sagt Raschemann.

Die zwei runden Gebäude, die Gärkammern, stehen nur ein paar Schritte vom Forum entfernt. Es riecht nach Landwirtschaft. „Der Geruch kommt von den Gär- resten“, erklärt Doreen Raschemann. Wie früher die Gülle würden die Landwirte heute diese Gärreste als Dünger ausbringen – um wieder Mais und Roggen anzubauen. „So schließt sich der Kreislauf.“

Die Arme der Biogasgewinnung reichen heute unterirdisch durch das ganze Dorf, bis in fast alle Häuser. In den Rohren befinden sich Wärmetauscher, um die Abwärme in die Stuben zu bringen. Dazu kommen Leitungen für Strom aus Windkraft – und für schnelles Internet. Wie das Nahwärmenetz gehört das Stromnetz den Feldheimern selbst. Jeder hat 3000 Euro gezahlt. Nur zwei Haushalte machten nicht mit.

Selbst dieses eigene Netz reicht jedoch nicht, um unabhängig zu sein. Die letzten zwei Bausteine stehen noch ein Stück hinter der Biogasanlage. In einem bunt bemalten Flachbau ist ein Batteriespeicher untergebracht, der Schwankungen in der Stromfrequenz ausgleicht. Die Bemalung haben Schülerinnen und Schüler entworfen. Und noch ein Stück weiter steht der Hack- schnitzelofen. Er heizt mit Holzresten aus dem Forst zu, wenn die Abwärme aus der Biogasanlage an kalten Tagen nicht reicht.

Warum dieses kleine Dorf im Fläming bis heute das einzige in Deutschland ist, das sich unabhängig gemacht hat von Energiekrisen? „Feldheim lässt sich nicht so einfach kopieren“, sagt Michael Knape. Jeder Standort habe seine eigenen Ressourcen. Wind, Wasser, Landwirtschaft, Wald. „Was möglich ist, hängt ganz stark von diesen Voraussetzungen ab“, sagt Knape. Und es hängt auch von der Politik ab. Sogenannte Bioenergiedörfer gibt es nämlich schon viele in Deutschland. Sie nutzen zwar bereits regionale Ressourcen, um selbst Strom oder Wärme zu erzeugen. Unabhängig von den großen Netzen sind sie jedoch nicht.

Feldheim konnte es auch nur werden, weil eine Gesetzeslücke den Betrieb eines eigenen Stromnetzes ermöglichte. Die Lücke ist inzwischen zu. Ein Unding in Knapes Augen: „Wenn die Menschen etwas ändern wollen, muss man sie auch mal machen lassen.“ Nur so werde Feldheim kein Einzelfall bleiben.