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Hitzewallungen, Schweißausbrüche, Stimmungsschwankungen – sind das schon die Wechseljahre? Das fragen sich Frauen bei solchen Symptomen oft, denken: „Das wird schon vergehen.“ Doch vielleicht steckt etwas anderes dahinter. Zum Beispiel die Schilddrüse. Ein Besuch bei Hausärztin oder Hausarzt kann für Aufklärung sorgen.

Besteht der Verdacht, dass das schmetterlingsförmige Organ im unteren Bereich des Kehlkopfes nicht richtig funktioniert, nimmt die Ärztin oder der Arzt eine Blutprobe, um den Wert des Thyreoidea-stimulierenden Hormons (TSH) zu bestimmen. Dieses regt die Schilddrüse dazu an, Trijodthyronin (T3) und Thyroxin (T4) zu bilden. Diese Hormone nehmen Einfluss auf zahl- reiche Körperfunktionen wie Stoffwechsel, Wärmeregulation und Herzschlag. Stellt die Schilddrüse zu viel davon her, läuft der Körper gewissermaßen auf Hochtouren. Betroffene verlieren häufig an Gewicht, schwitzen, das Herz rast. Der Körper versucht gegenzusteuern, indem er weniger TSH freisetzt. Ein niedriger TSH-Wert kann daher auf eine Überfunktion der Schilddrüse hindeuten. Davon ist Schätzungen zufolge ungefähr einer von 100 Menschen betroffen, Frauen deutlich häufiger als Männer.

„Früher wurden die Symptome oft als Wechseljahresbeschwerden abgetan“, berichtet Barbara Schulte. Sie ist Vorsitzende der Schilddrüsen-Liga Deutschland und setzt sich seit 15 Jahren für die Belange von Erkrankten ein. „Heute kommen die Ärzte sehr schnell darauf, dass es die Schilddrüse sein könnte.“

Catrin Cordes-Stoll war Mitte 20, als sie erfuhr, dass ihre Schilddrüse chronisch entzündet ist. Weil die Entzündung nicht zur Ruhe kam, rieten Ärzte ihr irgendwann dazu, das Organ zu entfernen. Nur ein fingernagelgroßes Stück blieb zurück – und machte sich bemerkbar. Dass sie immer wieder stark schwitzte, beunruhigte die damals 41-Jährige nicht weiter. Doch dann kam ein weiteres Symptom hinzu. „Meine Augen wurden immer dicker“, erzählt die Yogalehrerin. Auf einer Fortbildung wurde es akut: „Die anderen Teilnehmer sagten: Mein Gott, siehst du schlimm aus.“ Ärztinnen und Ärzte waren zunächst ratlos. Einer zog schließlich die richtigen Schlüsse und überwies die Patientin in die Endokrinologie. Das ist ein Medizingebiet, das sich mit Hormonen, Stoffwechsel und den Erkrankungen in diesem Bereich befasst.

Die Fachleute dort stellten fest, dass sich in Catrin Cordes-Stolls Blut sogenannte TSH- Rezeptorantikörper (abgekürzt: TRAK) befinden. Diese lagern sich an jene Stellen der Schilddrüsenzellen an, wo normalerweise das TSH andockt. So gerät der Regelkreis (siehe Grafik links) außer Kontrolle: Die Schilddrüse stellt zu viel T3 und T4 her. Damit war klar: Catrin Cordes-Stoll leidet an Morbus Basedow. Das ist in Deutschland die zweithäufigste Ursache einer Schilddrüsenüberfunktion. An erster Stelle, so Endokrinologin Dr. Stephanie Allelein vom Universitätsklinikum Düsseldorf, stünden Autonomien. Davon sprechen Expertinnen und Experten, wenn sich die gesamte Schilddrüse oder Teile davon vom Regelkreis abkoppeln und unkontrolliert Hormone bilden.

Und nun war auch klar, warum sich Catrin Cordes-Stolls Augen so stark veränderten. Die TRAK beeinflussen nicht nur die Schilddrüse, sondern auch Gewebe in der Augenhöhle. Sie aktivieren einen Faktor, der das Fett- und Bindegewebe wachsen lässt. Die Folge: Die Augen treten hervor. Gleichzeitig kann es zu einer Entzündung kommen, die dazu führt, dass sich die Augenmuskeln verkürzen. Manche Betroffene beginnen zu schielen, Doppelbilder sind ebenfalls möglich. „Das ist ein erheblicher Leidensdruck“, weiß Professorin Anja Eckstein vom Universitätsklinikum Essen. Sie hat sich auf die Augenprobleme von Menschen mit Schilddrüsenerkrankungen, sogenannte endokrine Orbitopathien, spezialisiert. Auch Catrin Cordes-Stoll wurde von ihr behandelt. „Ich konnte nicht klar sehen, alles war doppelt und verschwommen,“ erinnerte diese sich.

Um den geschwollenen Augenmuskeln mehr Platz zu schaffen, mussten Teile des Schädelknochens entfernt werden. Anschließend arbeiteten Eckstein und ihr Team da­ran, das Sehvermögen der Patientin wiederherzustellen. Insgesamt sieben Operationen waren notwendig. „Es waren ein paar schlimme Jahre“, sagt Cordes-Stoll.

So schwere Fälle sind glücklicherweise sehr selten. „Etwa 80 Prozent der Patienten mit Augenbeteiligung haben nur milde Symptome“, erläutert Expertin Eckstein. Sie lassen sich medikamentös behandeln oder bestrahlen, in der Regel muss man nicht operieren. Wie häufig es bei Morbus Basedow insgesamt zu Augenproblemen kommt, ist schwer zu sagen. Ältere Studien gehen von etwa 50 Prozent aus, neuere von 20 bis 30. Eines ist allerdings eindeutig: Je schneller man die Funktion der Schilddrüse in den Griff bekommt, desto besser. Rauchen erhöht übrigens die Gefahr einer Augenbeteiligung – damit sollten Betroffene also unbedingt aufhören.

Gegen eine Überfunktion verschreiben Ärztinnen und Ärzte zunächst Thyreostatika, üblicherweise für zwölf bis 18 Monate. Diese Medikamente hemmen die Bildung der Schilddrüsenhormone. Bei vielen Betroffenen beruhigt sich die Drüse so binnen einiger Monate. Die Hoffnung ist immer, dass durch diese Behandlung auch die Zahl der TSH-Rezeptorantikörper im Blut zurückgeht. Tut sie das nicht, kann es zu einem erneuten Krankheitsschub kommen – womöglich mit Augenbeteiligung.

Bei Menschen mit erhöhtem Risiko, zum Beispiel eben mit einem sehr hohen TRAK-Spiegel, plädiert Medizinerin Eckstein dafür, das Immunsystem frühzeitig mit Medikamenten zu unterdrücken. Neuere Studien zeigen, dass dies die Prognose verbessert. Der Grund: Morbus Basedow ist eine Autoimmunerkrankung. Das Immunsystem ist fehlgesteuert und greift körpereigene Strukturen an. Wird die Abwehr unterdrückt, kann das die Erkrankung lindern. Immundämpfer wie Kortison werden zwar schon heute eingesetzt – aber erst, wenn die Erkrankung deutlich fortgeschritten ist. Die Entscheidung müsse früher fallen, findet Eckstein, die an den Leitlinien zur Behandlung mitwirkt. Medikamente, die gezielt den Wachstumsfaktor in den Augen blockieren, werden derzeit in klinischen Studien untersucht, sind aber – zumindest in Europa – noch nicht zugelassen.

Schlägt eine thyreostatische Behandlung nicht an, können sowohl bei Autonomien als auch bei Morbus Basedow eine Radiojodtherapie oder eine operative Entfernung der Schilddrüse helfen. Beides hat Vor- und Nachteile. Was gemacht wird, hängt stark von der individuellen Situation der Patientin oder des Patienten ab. Kann der Körper danach nicht mehr genügend Schilddrüsenhormone herstellen, muss man sie in Tablettenform einnehmen.

Wie auch Catrin Cordes-Stoll. Zwar ist ihr Sichtfeld noch immer etwas eingeschränkt, damit kommt sie aber sehr gut zurecht. „Ich bin dankbar, dass mir so gut geholfen wurde.“ Weshalb bestimmte Autoimmunerkrankungen ausbrechen und Frauen häufiger betroffen sind, ist nicht endgültig geklärt. Neben den Hormonen und bestimmten genetischen Voraussetzungen spielen sicherlich auch Faktoren wie Stress eine Rolle. „Noch können wir das Auftreten dieser Erkrankungen nicht verhindern. Aber wenn wir früh genug eingreifen, können wir verhindern, dass sie schlimm werden“, sagt Eckstein.


Quellen:

  • Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG): Schilddrüsenüberfunktion (Hyperthyreose), Angaben zur Häufigkeit etc.. Gesundheitsinformation.de: https://www.gesundheitsinformation.de/... (Abgerufen am 20.04.2022)
  • Henry Völzke et. al., Department of Epidemiology and Social Medicine, Ernst Moritz Arndt University, Greifswald, Germany. : The prevalence of undiagnosed thyroid disorders in a previously iodine-deficient area , TSH-Werte auf Bevölkerungslevel in D. In: Thyroid 13.08.2003, 8: 803-10
  • Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG): Schilddrüsenunterfunktion (Hypothyreose), Häufigkeit etc.. Gesundheitsinformation.de: https://www.gesundheitsinformation.de/... (Abgerufen am 20.04.2022)
  • Wilmar M. Wiersinga and Luigi Bartalena: Epidemiology and Prevention of Graves' Ophthalmopathy , Häufigkeit von Endokriner Orbitopathie bei Morbus Basedow . In: Thyroid 09.07.2004, 12: 855-860
  • Yip Han Chin, Chin Meng Khoo et al., Yong Loo Lin School of Medicine, 10 Medical Dr, 117597, Singapore.: Prevalence of thyroid eye disease in Graves’ disease: A meta-analysis and systematic review, Häufigkeit von endokriner Orbitopathie bei M. Basedow. In: Clinical Endokrinology 21.07.2020, 93: 363-374
  • Rosario Le Moli et al., Endocrinology, Department of Clinical and Experimental Medicine, Garibaldi-Nesima Medical Center, University of Catania, Catania, Italy: Corticosteroid Pulse Therapy for Graves' Ophthalmopathy Reduces the Relapse Rate of Graves' Hyperthyroidism, Studie, die für Immunsuppression bei M.Basedow spricht. In: Frontiers in Endocrinology 11.06.2020, 11: 367
  • Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin e.V.: Erhöhter TSH-Wert in der Hausarztpraxis, S2k-Leitlinie. Leitlinie: 2016. Leitlinie: https://www.google.com/... (Abgerufen am 26.04.2022)

  • Kumar S, Nadeem S, Stan M N et al.: A stimulatory TSH receptor antibody enhances adipogenesis via phosphoinositide 3-kinase activation in orbital preadipocytes from patients with Graves' ophthalmopathy, Antikörper bzw Wachstumsfaktoren bei Morbus Basedow wirken auf Binde- und Fettgewebe der Augen. In: J Mol Endocrinol 14.02.2011, 46: 155-163
  • Bartalena L, Eckstein A et al., EUGOGO : The 2021 European Group on Graves' orbitopathy (EUGOGO) clinical practice guidelines for the medical management of Graves' orbitopathy , Aktuelle Leitlinie zur Behandlung von Endokriner Orbitopathie. Leitlinie: 2021. Eur J Endocrinol: https://doi.org/... (Abgerufen am 02.05.2022)