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Die vielleicht beste Nachricht vorweg: Schon auf den Tag verteilte Mikropausen von unter fünf Minuten können zu mehr Erholung, mehr Leistung und weniger Fehlern führen als eine große ­Pause am Stück. Drei Minuten aus dem Fenster anderen bei der Arbeit zugucken? Super. Kurz einen Kaffee holen? Top. Eine kleine Runde um den Block? Noch besser. Aber der Reihe nach. Denn allgemein ist es um die Pausenkultur in Deutschland nicht ganz so gut bestellt. Das fängt schon bei der Mittagspause an: 30 Minuten ab sechs Stunden und 45 Minuten ab neun Stunden Arbeit. Diese Auszeit müssen Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber gewährleisten. Doch laut einer Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) lassen 26 Prozent der Beschäftigten ihre Pause regelmäßig ausfallen.

Dabei irrt, wer Pausen weglässt, um mehr zu schaffen. Denn tatsächlich ist genau das Gegenteil der Fall. Die scheinbar verlorene Zeit muss nicht nachgeholt werden. Das zeigt eine 2016 veröffentlichte Auswertung der BAuA von rund 130 Studien aus den vergangenen 25 Jahren Pausenforschung: Jede Minute Pause zahlt sich aus – für Betriebe und Angestellte. Gerade in Zeiten wie diesen. Denn die Belastungen im Job nehmen stetig zu. Das geht zum Beispiel aus der aktuellen ­repräsentativen Stressstudie der Techniker Krankenkasse (TK) hervor. Und Corona tat sein Übriges. Für knapp die Hälfte der Befragten (47 Prozent) ist das Leben in den vergangenen zwei Jahren stressiger geworden. „Die Corona-Pandemie hat starke Auswirkungen auf das Stressempfinden der Menschen in Deutschland und belastet mittlerweile jeden Zweiten“, sagt Professor Dr. Bertolt Meyer. Der Arbeitspsychologe von der Technischen Universität Chemnitz hat die Daten der Studie ausgewertet.

Die Studie hat dem recht subjektiven Gefühl von Stress zudem konkrete Symptome zugeordnet. Denn Stress macht auf Dauer krank. „Wenn Stress chronisch wird, drohen gesundheitliche Risiken“, sagt Studienautor Meyer. Wer häufig gestresst ist, leidet vor allem unter Erschöpfung (80 Prozent), Rückenproblemen (74), Nervosität (62) und Schlafstörungen (52) sowie Kopfschmerzen und Migräne (40). 34 Prozent berichteten von Depressionen. Hochgerechnet betreffen allein die psychischen Beschwerden acht Millionen Menschen in Deutschland. Stress entsteht der Untersuchung zufolge vor allem am ­Arbeitsplatz beziehungsweise in Schule, Studium und Ausbildung. Mit einer Aus­nahme.

Frauen, die nicht erwerbs­tätig sind, fühlen sich laut TK-Studie im Schnitt genauso gestresst wie beschäf­tigte Männer. Sind Frauen erwerbstätig, ist die Belastung ungleich höher als die von Männern: Fast jede dritte Frau hat 2021 extremen Stress erlebt, bei den Männern nur jeder fünfte. „Eigentlich könnte man meinen, man sei mit der Emanzipation schon ziemlich weit. Aber Corona hat uns gezeigt, dass es nicht so ist“, sagt Corinna Peifer, Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Lübeck. „Es waren häufig die Frauen, die die Doppel­belastungen durch Kita- und Schulschließungen getragen haben.“

Hinzu kommt, geschlechterunabhängig, die Digitalisierung. „Von der Pandemie abgesehen haben wir in den letzten Jahrzehnten einen deutlichen Wandel in der Arbeitswelt erlebt“, betont Peifer. „Wir können den Laptop mit nach Hause nehmen oder sind durch das Handy immer und überall erreichbar.“ Das biete Chancen, weil man die Arbeit flexibler gestalten kann. Es gebe aber auch Risiken, weil eine Entgrenzung schwerfallen kann. Pausen sind laut der Arbeitspsychologin unerlässlich, um Stress vorzubeugen, leistungsfähig und motiviert zu sein, Fehler zu vermeiden – und letzten Endes gesund zu bleiben.

Manchmal genügen da schon we­nige Minuten: „Tief durchatmen. Jeweils sechs Sekunden lang einatmen, sechs Sekunden lang ausatmen – gerade in Stresssituation hilft das effektiv“, rät Corinna Peifer. „Denn schon wenige tiefe Atemzüge aktivieren den Parasympathikus, den Ruhenerv. Blutdruck, Puls sinken und Sress sinken.“ Die Expertin beschreibt hier ein Beispiel für sogenannte Mikropausen. Die sind wichtig und insgesamt ­effektiver als längere Auszeiten am Stück.

Denn unsere Leistungsfähigkeit schwankt Peifer zufolge in einem gewissen Rhythmus: Nach etwa 60 bis 80 Minuten konzentrierter Arbeit schaltet der Körper automatisch auf Erholung um. „In dieser Zeit sind wir weniger aufmerksam und konzentriert.“ Räumt man sich in diesem Rhythmus – bis zu fünf Minuten je Stunde – regelmäßig Auszeiten ein, beugt das nicht nur Stress, Müdigkeit und Unkonzentriertheit vor. Mikropausen steigern auch die Leistung. Das hat eine kürzlich im Fachblatt Applied Psychology veröffentlichte Studie der North Carolina State University (USA) gezeigt. Die Forschenden verglichen dazu Daten von 300 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu Schlafqualität, Erschöpfung und Arbeitsleistung mit der Anzahl an Mikropausen. Das Ergebnis: Durften die Angestellten selbst über ihre Auszeiten entscheiden, konnten sie ihr Energie-Level stabil halten und sich besser auf die Arbeit konzentrieren. Der Studie zufolge zahlt sich die freie Einteilung solcher Mikropausen demnach für Betriebe und Personal aus.

Wer für sich selbst mehr Erholung in kurzer Zeit herausholen möchte, kann das laut Arbeitspsychologin Peifer auch langfristig trainieren. „Wenn man regelmäßig Entspannungstechniken wie etwa Progressive ­Muskelentspannung übt, kann man sie in Stresssituationen effektiver nutzen“, sagt sie. Und ergänzt: „Wenn man das regel­mäßig macht, erhöht man damit zugleich die allgemeine entspanntere Grundhaltung – der Stress kommt dann nicht so leicht an einen ran.“ Besonders gut eignen sich, so Expertin Peifer, auch Meditations- und Achtsamkeitsübungen. „Da gibt es wissenschaftlich gut nachgewiesene, posi­tive Effekte auf das Stresslevel – kurzfristig ebenso wie langfristig. Es lohnt sich also zu üben und dranzubleiben, damit man auch in einem Moment der kurzen ­Pause besser abschalten kann.“


Quellen:

  • Kim, S., Cho, S., & Park, Y.: Daily microbreaks in a self-regulatory resources lens: Perceived health climate as a contextual moderator via microbreak autonomy. In: Journal of Applied Psychology 03.01.2022, 107: 60-77
  • Techniker Krankenkasse: TK-Stressstudie 2021. https://www.tk.de/... (Abgerufen am 16.05.2022)