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Wer krank ist, kann sich darauf verlassen, dass zu jeder Zeit Hilfe da ist: Die Apotheke im Nachtdienst, das Team in der Notaufnahme oder im Operationssaal. Diese Selbstverständlichkeit hat ihren Preis, sagt Dr. Christian Schulz: „Wir hinterlassen mit unserem Ressourcenverbrauch eine Spur der Verwüstung.“ Schulz ist der Geschäftsführer der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG). Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Klimakrise als wichtiges Gesundheitsthema zu etablieren. Der Gesundheitssektor in Deutschland stehe beim Thema Klimaschutz und Ressourcenschonung noch ganz am Anfang. Aber: „Es gibt ein Aufwachen, weil wir immer mehr verstehen, dass die Klimakrise eine erhebliche Krankheitslast mit sich bringt. Das wird jedes Jahr schlimmer.“

Wie schädlich das Gesundheitssystem fürs Klima ist, zeigen Zahlen: Der Sektor verursacht pro Jahr genauso viele klimaschädliche Emissionen wie 14 Kohlekraftwerke. Die Rechnung berücksichtigt Kohlenstoff-
dioxid (CO2) ebenso wie Methan und Lachgas. Der Ausstoß wird in CO2-Äquivalenten angegeben. Zum Gesundheitssektor zählen neben Krankenhäusern zum Beispiel auch Arztpraxen, Apotheken, Pflegeeinrichtungen und die Verwaltung. Der gesamte Bereich ist für 5,2 Prozent der klimaschädlichen Emissionen in Deutschland verantwortlich. Das entspricht 57,51 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten. Die Kosten, die auf diese Weise durch Schäden an Gesundheit und Umwelt entstehen, würden oft andere tragen, so Schulz: „Sie werden in andere Teile der Welt, auf nachfolgende Generationen oder in die Gesellschaft verlagert.“

Die Universitätsmedizin Essen ist eine der Einrichtungen, die gerade begonnen haben, Schritt für Schritt nachhaltiger zu werden. Tobias Emler ist hier seit Herbst 2020 Klimamanager. Für ihn ist wichtig: „Nachhaltigkeit ist ein positiv besetztes Thema und ich kann da was bewegen.“

Das Krankenhaus ist eine von 250 Kliniken und Reha-Einrichtungen, die am Projekt KLIK green teilgenommen haben, hinter dem der Berliner Landesverband des Bunds für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) steht. Zu den Projektpartnern gehören auch die Krankenhausgesellschaft Nordrhein Westfalen (KGNW) – die Interessenvertretung der Krankenhäuser des Bundeslandes – und das Universitätsklinikum Jena.

KLIK green bildete Beschäftigte zu Klimamanagerinnen und -managern aus. Deren Aufgabe ist es, im Betrieb Klimaschutzmaßnahmen anzustoßen. Mit 816 000 Euro hat das Umweltministerium das Projekt unterstützt. Bis zum Projektabschluss im April 2022 setzten die Kliniken über 1600 Maßnahmen um – und sparen nach Angaben der Projektpartner über 200 000 Tonnen klimaschädliche Treibhausgase ein. CO2 kann man an ganz unterschiedlichen Stellen sparen, sagt Schulz: „Es gibt sehr viele Maßnahmen, mit denen Kliniken sofort anfangen können.“ Die Einrichtungen seien aber komplex. „Es braucht darum einerseits Verständnis, wie man ein Krankenhaus klimaneutral gestaltet, andererseits muss es ein Unternehmensziel sein, das auf allen Ebenen angepackt wird.“

Keine leichte Aufgabe für Klimamanager wie Emler: „Gerade am Anfang fragt man sich: Womit beginnen wir, wo hören wir auf?“ Neben Emler gibt es in der Universitätsmedizin Essen ein 15-köpfiges Team Green, das nachhaltige Ideen umsetzt und bewertet. Vorschläge kommen unter anderem aus der Mitarbeiterschaft. „Wir haben 130 verschiedene Bereiche, alle haben andere Voraussetzungen, nachhaltig zu agieren“, so Emler. Deshalb hat jeder Bereich einen eigenen Nachhaltigkeitsbeauftragten. Klimaschutz sei eine Querschnittsaufgabe, findet auch Annegret Dickhoff vom BUND Berlin, die KLIK green geleitet hat. „Es ist extrem wichtig, dass eine Stelle in jeder Einrichtung das Thema koordiniert“, sagte sie auf der Abschlusspressekonferenz des Projekts. Während der Projektlaufzeit sollten Kliniken vor allem Maßnahmen umsetzen, die wenig kosten, damit sich viele Häuser beteiligen können. Das muss kein Widerspruch sein: Energie einzusparen senkt gleichzeitig die Ausgaben. Zum Beispiel wenn Kliniken Mitarbeitende schulen, Licht und Heizung auszuschalten. Nachts sollen nur so viele Operationssäle betrieben werden, wie tatsächlich benötigt oder Energiesparlampen und Bewegungsmelder eingebaut werden.

Gerade der Energiebereich sei für Einsparungen wichtig, bestätigt Friedhelm Beiteke von der Krankenhausgesellschaft KGNW. Denn Krankenhäuser verbrauchen zum Beispiel durch Lüftungsanlagen und medizinische Geräte zusätzlich Energie. Zudem sind sie 24 Stunden erreichbar, die klimaschädlichen Emissionen entsprechend hoch. BUND-Expertin Dickhoff betont daher: „Wer im Bereich Energie nichts tut, macht etwas falsch.“ Dabei verweist sie auf die Ergebnisse von KLIK green: Im Bereich Energie sparten die Kliniken am meisten Emissionen. Allerdings waren sie in diesem Bereich auch besonders aktiv.

Den erneuerbaren Energien kommt ebenfalls eine wichtige Rolle in der Klimabilanz zu. Die Universitätsmedizin Essen verbraucht im Jahr etwa 50 000 Megawatt Stunden Strom – so viel wie 12 500 Einfamilienhäuser. 2021 hat das Klinikum auf Ökostrom umgestellt und spart jährlich rund 20 000 Tonnen CO2. „Das war bisher unsere effektivste Maßnahme“, berichtet Tobias Emler. Gleichzeitig sei es die teuerste gewesen. Es ist naheliegend, dass der Energiebereich eng mit dem Klimaschutz zusammenhängt. Narkosegase sind dagegen weniger als Klimakiller bekannt.

Aber auch sie haben einen Treibhauseffekt und sind um ein Vielfaches schädlicher als CO2. Wobei es auch hier Unterschiede gibt: So können Kliniken bereits viel erreichen, wenn sie auf das Gas mit der geringsten klimaschädlichen Wirkung umstellen. Noch besser: Narkosemittel, die die Behandler direkt ins Blut geben oder Filter, die die Gase in der ausgeatmeten Luft der Patientinnen und Patienten recyceln. Denn zu den 5,2 Prozent, die der deutsche Gesundheitssektor zu den klimaschädlichen Emissionen des Landes beiträgt, kommen die Narkosegase noch hinzu. Weltweit betrachtet, machen sie Schätzungen zufolge mindestens zusätzlich 0,6 Prozent aus.

Klimamanager Emler kennt das Problem mit den Narkosegasen seit KLIK green. Er habe das Thema gleich aufgegriffen: Im vergangenen Jahr hat das Essener Klinikum an sechs Anästhesiegeräten ein Recyclingsystem getestet. „Jetzt warten wir auf ein Angebot des Herstellers für unsere 80 Narkosegeräte“, sagt Emler. Allerdings kostet das auch Geld. „Dafür gibt es derzeit keine finanzielle Unterstützung. Deshalb müssen wir als Krankenhaus in Vorleistung gehen.“

Ein Beispiel dafür, wie wirksam Recycling sein kann, liefert das deutlich kleinere Krankenhaus Salem in Heidelberg: Die Klinik hat ihre Narkosegeräte nachgerüstet und spart so jährlich fast 130 Tonnen CO2- Äquivalente.

Bei der Universitätsmedizin Essen soll außerdem die Ernährung nachhaltiger werden. Dafür setzt sich Professor Gustav Dobos ein. Er leitet das Zentrum für Naturheilkunde und Integrative Medizin. Sie müssten mehrere 10 000 Mahlzeiten im Jahr entsorgen, erklärt Dobos. „Wechselt ein Patient die Station, kann es sein, dass zweimal Essen für ihn bestellt wird. Oder die Patientin braucht keins, weil sie nüchtern bleiben muss.“ Seine Abteilung unterstützt bei der Einsparung von Lebensmittelverschwendung. Auch Schulungen für das Personal seien hier wichtig.

Dobos möchte noch mehr erreichen: „Die Ernährung in Krankenhäusern ist zu ungesund und fleischlastig: Sie enthält zu wenig Gemüse, Hülsenfrüchte und Ballaststoffe.“ Deshalb plane die Klinik eine Umstellung auf eine pflanzenbasierte und klimafreundliche Ernährung: „Wir reduzieren das Fleischangebot von aktuell dreimal täglich, sieben Tage pro Woche, auf dreimal pro Woche.“ Auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt, Fleisch und Wurst nicht täglich zu essen. Dobos betont zudem die Vorteile für Patientinnen und Patienten: „Eine pflanzliche Ernährung ist gesund. Vor allem ist sie ein wichtiger Baustein in der Therapie von Zivilisationskrankheiten wie Diabetes mellitus Typ 2, Bluthochdruck und Erkrankungen der Herzkranzgefäße.“ Die Umstellung koste zwar Geld, jedoch könne das Klinikum Kosten sparen, wenn es weniger Nahrung wegwerfe oder kleinere Fleischportionen serviere. Dobos kritisiert zudem generell das Finanzierungssystem für Kliniken, das sogenannte Fallpauschalensystem. Das führe zu Kostendruck und Einsparungen. So war laut einer Studie von 2019 ein zentrales Problem von Krankenhausküchen der hohe Kostendruck.

Hinter effektiven Klimaschutzmaßnahmen stehen auch immer Menschen. Klimamanager Emler sagt darum: „Wir haben mehr als 10 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die müssen alle mit im Boot sein und Nachhaltigkeit gleich selbst mitdenken.“ Dafür veranstalte er zum Beispiel Aktionstage für Mitarbeitende und informiert per Newsletter oder der eigenen Website, was Kolleginnen und Kollegen gerade umsetzen und wie sie im Arbeitsalltag nachhaltiger handeln können. Auch Schulz von KLUG betont: „Es ist unerlässlich, möglichst viele Mitarbeiterinnen für das Thema zu gewinnen. Und natürlich die Klinikleitung.“

Die Angestellten zu sensibilisieren und an ihr Verhalten zu appellieren, ist das eine. Das andere ist, ihnen mit Angeboten entgegenzukommen. In Essen setzen sie dafür unter anderem bei der Mobilität an. „Wir bauen gerade einen Fahrradparkplatz mit 230 Stellplätzen.“ Emler möchte mehr, doch das klappt derzeit nicht: „Wir würden gerne allen ein Leasing für Fahrräder anbieten. Aber aufgrund der Tarifverträge am Uniklinikum dürfen wir das nicht.“

Ein paar Einrichtungen haben sich auch ein Ziel gesetzt, bis wann sie klimaneutral werden möchten: Das Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe zum Beispiel möchte das bis 2030 schaffen, die Dr. Becker Klinikgruppe bis 2050. Die eigenen Emissionen zu berechnen sei aber komplex, sagt Schulz von KLUG. Einer der Gründe: Einrichtungen sind auch für indirekte Emissionen verantwortlich – sie machen sogar etwa zwei Drittel der Gesamtemissionen aus. Kliniken kaufen zum Beispiel Waren wie Medikamente und medizinische Geräte oder nutzen Dienstleistungen. Hier entstehen entlang der Lieferkette Emissionen. Sie zu messen ist nicht einfach. „Es gibt aber immer bessere Instrumente dafür“, sagt Schulz.

Die Universitätsmedizin Essen trägt dieses Jahr Daten zusammen. „Mittel- bis langfristig wollen wir eine Treibhausgasbilanz aufstellen“, so Klimamanager Emler. Sie haben einen Antrag gestellt, um Unterstützung von einem externen Dienstleister zu erhalten. Fördermittel gibt es zwar, sie zu finden ist aber oft schwer. Und: „Wir sind für Projekte zur Nachhaltigkeit nicht freigestellt. Alle machen das zusätzlich zu
ihrer Arbeit.“ Auch BUND-Expertin Dickhoff kennt die Probleme: „Die Finanzierung ist ein großes Thema.“ Deshalb fordert sie unter anderem, Programme für Fördermittel zu vereinfachen und ein Zeitkontingent für Klimamanager zu schaffen. KGNW-Vertreter Beiteke verweist auf die ohnehin bereits klammen Kassen vieler Krankenhäuser. „In den meisten Kliniken gibt es Finanzierungslücken – allein um die Substanz der Gebäude zu erhalten. Da sind Investitionen in den Klimaschutz noch nicht eingerechnet.“

Für Schulz können neben den institutionellen Schritten auch die individuellen Entscheidungen einen Unterschied machen: „Wer wenig tierische Produkte isst und Fahrrad fährt, tut etwas fürs Klima und die eigene Gesundheit. Und wer Pulverinhalatoren für die Asthmabehandlung nutzt, spart gegenüber Dosieraerosolen viele Treibhausgase.“ Im Gesundheitssystem sieht er durch die Beschlüsse des Deutschen Ärztetags eine Art Mobilisierung. Sie haben für das Gesundheitswesen das Ziel eines klimaneutralen Sektors bis 2030 gesetzt. Schulz sagt deshalb: „Es ist wichtig, den aktuellen Ehrgeiz zu bündeln. Am besten treten die Kliniken in einen Wettbewerb – wer zuerst klimaneutral ist.“ Denn im Moment hätten die meisten noch nicht viel erreicht. „Es gibt nur einzelne Vorreiterkliniken in Deutschland. Andere Länder wie zum Beispiel England sind viel weiter.“

Die Universitätsmedizin Essen möchte sich jetzt konkrete Ziele setzen. „Am Ende muss das Klimaneutralität sein. Allerdings müssen wir den Weg dahin noch definieren“, sagt Emler. Dafür wünscht er sich von der Politik zeitnah mehr Unterstützung.


Quellen:

  • BUND e.V.: KLIK green - Projektbeschreibung . https://www.klik-krankenhaus.de/... (Abgerufen am 19.04.2022)
  • BUND e.V.: KLIK-Datenbank. https://www.klik-krankenhaus.de/... (Abgerufen am 19.04.2022)
  • BUND Berlin e.V.: Abschlusspressekonferenz KLIK green - Krankenhaus trifft Klimaschutz. https://www.youtube.com/... (Abgerufen am 29.03.2022)
  • Health Care Without Harm. Health care’s climate footprint: how the health sector contributes to the global climate crisis and opportunities for action. September, 2019.

  • Health Care Without Harm. Health care’s climate footprint: Appendix C Health Care Emissions National Snapshots. September, 2019.

  • BUND Berlin e.V.: Klimaschutz und Narkosegase. https://www.bund-berlin.de/... (Abgerufen am 13.04.2022)
  • co2online: Stromverbrauch im 4-Personen-Haushalt: Infos & Stromspartipps. https://www.co2online.de/... (Abgerufen am 11.04.2022)
  • Krankenhaus Salem der Evang. Stadtmission Heidelberg: Grünes Krankenhaus. https://www.krankenhaus-salem.de/... (Abgerufen am 13.04.2022)
  • Ärzteblatt: „Nur, wenn jeder die Umstellung verinnerlicht, kann sie auch nachhaltig sein“. https://www.aerzteblatt.de/... (Abgerufen am 13.04.2022)
  • Dr. Becker Klinikgesellschaft: Die Dr. Becker Unternehmensgruppe verpflichtet sich umfassenden Nachhaltigkeitszielen bis 2025 – und darüber hinaus. https://dbkg.de/... (Abgerufen am 13.04.2022)
  • Bundesärztekammer: 125. Deutscher Ärztetag, Beschlussprotokoll. https://www.bundesaerztekammer.de/... (Abgerufen am 13.04.2022)
  • Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz: Nationale Klimaschutzinitiative KLIK green. https://www.bmuv.de/... (Abgerufen am 22.04.2022)